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RG, 15.12.1917 - III 312/17

Daten
Fall: 
Bühnenvertrag
Fundstellen: 
RGZ 91, 328
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
15.12.1917
Aktenzeichen: 
III 312/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • KG Berlin

Verstößt es gegen die guten Sitten, wenn sich ein Theaterunternehmer im Bühnenvertrag ausbedingt, daß er einseitig zur Verlängerung des Vertrags berechtigt sein soll?

Tatbestand

Durch Vertrag vom 23. November 1913 (sog. Friedensvertrag) verpflichtete die Klägerin den Beklagten als Schauspieler und Sänger für ihre drei Berliner Theater auf die Zeit vom 1. September 1914 bis 31. August 1919 gegen ein Monatsgehalt von 240 M im ersten Vertragsjahr und gegen Spielhonorar zum gewährleisteten Betrage von 1920 M, worauf abschläglich 160 M monatlich zu zahlen waren. Dem Beklagten war es in dem Vertrage verboten, sich an irgendeiner nicht von der Bühnenleitung veranstalteten öffentlichen Aufführung oder an einer von Vereinen veranstalteten Vorstellung ohne vorgängige schriftliche Genehmigung der Bühnenleitung zu beteiligen. Die letztere hatte ferner bei Krieg das Recht zur Auflösung des Vertrags nach achttägiger Kündigung. Von diesem Rechte machte die Klägerin bei Ausbruch des Krieges allen ihren Schauspielern gegenüber Gebrauch. Am 30. September 1914 schloß sie dann unter Aufhebung der früheren Anstellungsverträge mit den Schauspielern einen neuen Vertrag, den sog. Kriegsvertrag, durch den sie diese für die Monate Oktober und November 1914 zu Vergütungen wieder annahm, die auf 75 % oder - bei Gagen von mindestens 240 M - auf 50 % herabgesetzt waren. Zugleich bedang sie sich die Befugnis aus, bis zum 20. November und ebenso bis zum 20. eines jeden folgenden Monats, solange der Betrieb und die Gagenzahlung in der Spielzeit 1914/1915 fortdauere, zu erklären, daß sie die Abmachung um einen weiteren Monat verlängere. Am 24. Oktober 1914 wurde dem Beklagten ein Schein zur Unterschrift vorgelegt, der die Erklärung enthielt, er räume der Klägerin bis zum 28. Februar 1915 das Recht ein, den Friedensvertrag vom 1. September 1915 ab wieder in Kraft treten zu lassen. Der Beklagte lehnte zunächst die Unterzeichnung des Scheines ab, unterschrieb ihn aber etwa acht Tage später. Durch Erklärung vom 17. November 1914, die von den Schauspielern schriftlich bestätigt wurde, machte die Klägerin von ihrem Rechte der Verlängerung des Kriegsvertrags für den Monat Dezember Gebrauch.

Ende November 1914 trat der Beklagte in Anstellungsverhandlungen mit dem Deutschen Theater in Berlin, die zum Abschluß eines Vertrags für die Zeit vom 1. Januar 1915 bis 31. August 1917 führten. Die Klägerin erhob hiergegen am 12. Dezember 1914 Widerspruch, weil er ihr gegenüber noch gebunden sei. Am 11. Dezember 1914 focht er seine Unterzeichnung des Scheines vom 24. Oktober 1914 als durch widerrechtliche Drohung erzwungen an. Durch Schreiben vom 15. dess. Monats erklärte die Klägerin, daß sie den Kriegsvertrag bis zum 28. Februar 1915 verlängere und sich vorbehalte, darüber hinaus bis zum Schlusse der laufenden Spielzeit eine weitere Vertragsverlängerung eintreten zu lassen, sowie daß sie schon jetzt von ihrem Rechte Gebrauch mache, den Friedensvertrag vom 1. September 1915 ab wieder in Kraft treten zu lassen; sie ersuche zugleich um umgehende Erklärung, daß der Beklagte sowohl seine Anstellung bis zum 28. Februar 1915 als auch den Friedensvertrag vom 1. September 1915 an als in Kraft befindlich anerkenne. Da der Beklagte demgegenüber das Recht der Klägerin zur Verlängerung des Kriegsvertrags über den 31. Dezember 1914 hinaus und zur Wiederinkraftsetzung des Friedensvertrags bestritt, erhob sie Klage mit dem Antrag, ihn zu verurteilen, bei Vermeidung von Strafe bis zum 31. August 1919 an keiner anderen Bühne als ihren drei Theatern ohne ihre vorherige schriftliche Genehmigung aufzutreten.

Der Beklagte trug widerklagend auf die Feststellung an, daß er der Klägerin weder auf Grund der Abmachung vom 30. September 1914 noch auf Grund der vom 24. Oktober 1914 zu irgendwelchen Dienstleistungen verpflichtet und demgemäß an die Klägerin nicht über den 1. Januar 1915 hinaus vertragsmäßig gebunden sei.

In allen drei Rechtszügen ist zugunsten des Beklagten erkannt worden.

Gründe

"Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen und der Feststellungswiderklage entsprochen, weil sowohl der Kriegsvertrag vom 30. September 1914 als auch das durch Unterzeichnung des Scheines vom 24. Oktober 1914 getroffene Abkommen unwirksam sei, und zwar beide wegen Verstoßes gegen die guten Sitten, das letztere auch auf Grund der Anfechtung wegen Drohung. Ob in dem letzten Punkte dem Vorderrichter beizupflichten ist, bedarf keiner Prüfung und Entscheidung, da der § 138 BGB. auf beide Vereinbarungen mit Recht für anwendbar erachtet ist.

Die Frage, ob in einem Bühnenvertrage dem Theaterunternehmer rechtswirksam die Befugnis eingeräumt werden kann, einseitig den Vertrag zu verlängern oder ihn beliebig zu kündigen, ist nicht, wie in dem Schrifttum1 mehrfach geschieht, allgemein zu verneinen oder zu bejahen, sondern nach den Umständen des Falles zu entscheiden. Hier muß mit dem Berufungsrichter, dessen eingehenden Ausführungen im wesentlichen beizupflichten ist, die Einräumung des einseitigen Verlängerungsrechts des Kriegsvertrags an die Klägerin als dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widersprechend erachtet werden, und zwar trotz der von der Revision hervorgehobenen Kriegsverhältnisse und der dadurch geschaffenen Lage der Klägerin als Theaterunternehmerin. Bei der erheblichen Herabsetzung der Vergütung des Beklagten auf die Hälfte der in dem Friedensvertrage vereinbarten Sätze, auf nur 200 M monatlich, war seine einseitige Bindung eine zu weitgehende Beschränkung seiner wirtschaftlichen Selbständigkeit zugunsten der Klägerin. Es stand danach völlig im Belieben der Klägerin, die Entwickelung der Theaterverhältnisse in der Kriegszeit für die Dauer der laufenden Spielzeit auf Kosten der Schauspieler auszunutzen, diese trotz einer Besserung der Verhältnisse zu drückenden Lohnbedingungen an ihren Theatern festzuhalten und an der Erlangung günstigerer Anstellungsbedingungen zu hindern, bei einer Verschlechterung der Verhältnisse aber durch Nichtverlängerung des Vertrags die Schauspieler oder auch nur, trotz Fortsetzung ihres Theaterbetriebs, den einzelnen Schauspieler brotlos zu machen. Dem berechtigten Interesse der Klägerin konnte, auch wenn sie sich für die ganze Spielzeit verpflichtete, durch eine Vertragsbestimmung Rechnung getragen werden, die sie zur Lösung des Vertrags berechtigte, wenn sie durch die Kriegsverhältnisse zur Schließung des Theaters veranlaßt werden sollte, sofern die. Klägerin ihr Interesse durch die gesetzliche Vorschrift des § 626 BGB. nicht genügend gewahrt erachtete.

Enthält aber der Kriegsvertrag einen Verstoß gegen die guten Sitten, so ist auch die damit im Zusammenhange stehende Vereinbarung vom Oktober 1914, durch die der Klägerin das einseitige Recht zur Erneuerung des Friedensvertrags eingeräumt wurde, aus dem gleichen Grunde nichtig. Denn durch sie wurde die Einschränkung der wirtschaftlichen Selbständigkeit der Schauspieler, die jenen als unsittlich hinstellt, noch erhöht, indem zu der Unsicherheit der Verhältnisse für die laufende Spielzeit nun auch die Unmöglichkeit für den Beklagten hinzutrat, sich rechtzeitig für die folgenden Jahre seinen Unterhalt zu sichern. Daneben verwertet das Berufungsgericht auch mit Recht den Umstand, daß die Klägerin dem Beklagten für die Einräumung des Rechtes, den Friedensvertrag wieder in Kraft zu setzen, kein Entgelt gewährte. Schließlich fällt auch die durch die Eidesweigerung feststehende Tatsache ins Gewicht, daß der eine Mitinhaber der Klägerin den Beklagten durch die Drohung zur Unterzeichnung des Scheines bestimmt hat, wenn er nicht unterschreibe, habe die Klägerin kein Interesse mehr an ihm, sie seien geschiedene Leute. Wenn auch ein Rechtsgeschäft nicht deshalb allein gegen die guten Sitten verstößt, weil es durch Drohung erzwungen ist, so ist dies doch neben dem Inhalte des Geschäfts bei der Frage der Anwendbarkeit des § 138 zu verwerten.

Die Revision ficht nun allerdings die Feststellung des Berufungsgerichts an, daß der Beklagte nach dem 26. Februar 1915 nicht mehr auf die Erlangung einer Anstellung für die folgenden Spieljahre habe rechnen können. Ihre hiergegen gerichteten Angriffe sind jedoch nicht begründet." ...

  • 1. Vgl. Lotmar, Der unmoralische Vertrag (1896) S.69 flg.; Lotmar Arbeitsvertrag Bd. 1 (1902) S. 555 flg., bes. S. 556 Anm. 3; Oper, Deutsches Theaterrecht (1897) S. 203 Anm. 8, S. 204 flg. Anm. 11; Marwitz, Der Bühnenengagementsvertrag (1902) S. 149 Anm. 12; Beust, Der Bühnenengagementsvertrag (1911) S. 62, 263 flg.; Felisch u. Leander, Rechtsprechung des Deutschen Bühnenschiedsgerichts (1911) S. 72 flg.; Seelig, Reichstheatergesetz (1913) S. 17 flg., 20, 25, 82 flg.; Wolff, Entwurf eines Reichstheatergesetzes (1913) S. 44 flg., 65; Goldbaum, Rechte und Pflichten des Schauspielers (1914) S. 45 flg. Anm. 125 flg.; Urban, Von der Notwendigkeit und dem Inhalt eines Reichstheatergesetzes (1915) S. 44 flg., 73 flg., 81 flg. D. E.