RG, 15.12.1917 - I 146/17

Daten
Fall: 
Eigentumsübertragung nach Beschlagnahme
Fundstellen: 
RGZ 92, 34
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
15.12.1917
Aktenzeichen: 
I 146/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Mannheim
  • Oberlandesgericht Karlsruhe

Wird durch eine gemäß § 4 der Verordnung des Bundesrats vom 24. Juni 1915 über die Sicherstellung von Kriegsbedarf (RGBl. S. 357) angeordnete Beschlagnahme die nachträgliche Eigentumsübertragung auf Grund eines vor der Beschlagnahme abgeschlossenen Kaufes gehindert?

Tatbestand

Die im Großherzogtum Baden wohnende Klägerin hatte der Beklagten, die in B. in Bayern ihren Sitz hat, deren Geschäftsinhaber aber in Württemberg ansässig sind, 3000 kg weißen Faden verkauft. Die Beklagte hatte die bei ihr am 21. März 1916 angekommene Ware am 24. März unter Widerspruch der Klägerin dieser als nicht probemäßig zur Verfügung gestellt, sich jedoch nach mehrfachen Verhandlungen zwecks gütlicher Beilegung des Streites am 30. Mai damit einverstanden erklärt, die Ware, die sich bereits in ihrem Besitz" befand, zu einem um 10 M für je 100 kg ermäßigten Preise zu behalten. Durch Telegramm vom 1. April 1916 erklärte sich die Klägerin mit dem Vorschlage der Beklagten einverstanden. Mit Wirkung vom gleichen Tage an wurde jedoch seitens des Kommandierenden Generals in Karlsruhe, des Generalkommandos des XIII. (Württemb.) Armeekorps und der drei Bayrischen Armeekorps die Beschlagnahme baumwollner Spinnstoffe und Garne für ihre Bezirke durch gleichlautende Verfügungen angeordnet. Nunmehr lehnte die Beklagte die Bezahlung mit der Begründung ab, daß infolge der Beschlagnahme das Eigentum an der von ihr beanstandet gewesenen Ware nicht mehr auf sie übergehen könne.

Das Landgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung, weil die Ware von ihr zu Unrecht zur Verfügung gestellt sei. Ohne auf diese Frage einzugehen, wies das Oberlandesgericht die Berufung der Beklagten mit der Begründung zurück, die Beschlagnahme habe keine Bedeutung für die Parteien gehabt, weil die Besitzübertragung an der Ware auf die Beklagte schon vor der Beschlagnahme geschehen sei und der die Veräußerung verbietende § 4 der Verfügungen der Generalkommandos sich lediglich auf das obligatorische Kaufgeschäft beziehe, nicht aber auch die Eigentumsübertragung auf Grund eines vor der Beschlagnahme erfolgten Verlaufs untersage. Das Reichsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

(Nachdem ausgeführt worden ist, daß im vorliegenden Falle die Verfügungen der Kommandierenden Generale der drei Bayr. Armeekorps hätten angewandt werden müssen, wird fortgefahren.) "Das angefochtene Urteil verstößt gegen die revisibeles Recht schaffende Verordnung des Bundesrates vom 24. Juni 1915 über die Sicherstellung von Kriegsbedarf. Nach § 4 dieser Verordnung sind die im § 1 bezeichneten Behörden befugt, Gegenstände, die auf Grund des § 1 der Verordnung der Inanspruchnahme unterliegen können, zu beschlagnahmen. Die Beschlagnahme hat die Wirkung, daß die Vornahme von Veränderungen an den von ihr berührten Gegenständen verboten ist und rechtsgeschäftliche Verfügungen über sie nichtig sind. Auch wird nach § 6 der Verordnung bestraft, wer unbefugt einen beschlagnahmten Gegenstand ... verkauft oder kauft oder ein anderes Veräußerungs- oder Erwerbsgeschäft über ihn abschließt.

Nach dem Sprachgebrauche des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der sich seither so eingebürgert hat, daß er auch bei der Auslegung der vom Bundesrat erlassenen Bekanntmachung mit herangezogen werden muß, zumal sich auch im § 4 Abs. 1 vorletzt. Satz dieser Bekanntmachung eine dem § 135 Abs. 1 Satz 2 BGB. wörtlich entsprechende Vorschrift findet, versteht man unter Beifügungen diejenigen Rechtsgeschäfte, durch die unmittelbar ein Recht übertragen, belastet, geändert oder aufgehoben wird. Im Verhältnis zum Begriff der Veräußerung - Übertragung des Eigentums oder eines sonstigen Rechtes - und der Belastung - Begründung eines dinglichen Rechtes an einem Gegenstande - ist der Begriff der Verfügung der umfassendere, indem er auch die Änderung und Aufhebung eines Rechtes in sich schließt. Schuldrechtliche Geschäfte als solche stellen, darüber ist man sich einig, keine Verfügung dar, sondern begründen nur eine Verpflichtung zur Vornahme einer solchen. Mit diesem Sprachgebrauche steht auch der Begriff des Veräußerungsverbots des § 185 BGB. im Einklange. Diese Auffassung vom Begriffe der rechtsgeschäftlichen Verfügung findet auch in der betreffenden Verordnung selbst sowie in ihrer Begründung eine Stütze. Die Anordnung enthält nach der Begründung einen Eingriff in die persönlichen Eigentumsverhältnisse im höheren Interesse der Gesamtheit; aus dieser Tatsache folgert Hagelberg in Gruchots Beitr. Bd. 60 S. 89 mit Recht, daß von der Beschlagnahme in erster Linie der Eigentümer betroffen wird, dessen Verfügungsrecht und tatsächliches Schaltungsrecht (§ 903 BGB.) aufgehoben wird, wofür Hagelberg sich mit guten Gründen auch auf den Wortlaut des § 4 Abs. 2 der Bekanntmachung stützt. Weil sich die Beschlagnahme gegen den Eigentümer wendet, ist grundsätzlich nunmehr die Erfüllung eines bereits vor der Beschlagnahme abgeschlossenen Lieferungsvertrags unmöglich ( Lehmann in Recht und Wirtschaft Bd. 15 S. 237). Zwar ist die Beschlagnahme nach § 1 Abs. 2 an den Besitzer der Gegenstände zu richten, und dieser ist nach § 4 Abs. 2 zu ihrer pfleglichen Behandlung und Verwahrung verpflichtet. Der Zweck der auf Grund der Verordnung getroffenen Anordnung besteht jedoch in dem Eigentumsübergang auf die in der Anordnung bezeichnete Person, und die Erreichung dieses Zweckes soll die Beschlagnahme durch Verhinderung eines Eigentumswechsels vom Zeitpunkte der Beschlagnahme an vorbereiten; letzteres aber kann wirksam nur dadurch geschehen, daß rechtsgeschäftliche Verfügungen der Zwischenzeit nichtig sind. Die Bedeutung der Beschlagnahme für den Eigentümer erhellt auch aus der Anordnung des Reichskanzlers vom 22. Juli 1915 ( Güthe u. Schlegelberger, Kriegsbuch Bd. 2 S.451), wonach bei der Festsetzung des Übernahmepreises durch das Schiedsgericht gemäß § 5 Abs. 2 stets der Eigentümer als Beteiligter zuzuziehen und gemäß § 6 zu laden ist, daneben möglicherweise (vgl. Abs. 3) noch andere Personen. Daraus, daß die Meldepflicht neben dem Eigentümer demjenigen, der die Vorräte in Gewahrsam hat, liegt, läßt sich nicht, wie das Berufungsgericht will, ein abweichender Standpunkt rechtfertigen."

(Es wird nun näher ausgeführt, daß die Verfügungen der Kommandierenden Generale im vorliegenden Falle in Gemäßheit der Anordnung des Bundesrats über die Sicherstellung von Kriegsbedarf vom 24. Juni 1915 ergangen sind, und dann fortgefahren:) "Ist seitens der im § 1 der Verordnung bezeichneten Behörden (hier der Generalkommandos) von bei Beschlagnahmebefugnis Gebrauch gemacht, so ist die Wirkung dieser Beschlagnahme für das ganze Reich einheitlich geregelt. Findet sich eine Bestimmung über die Beschlagnahmewirkung in den einzelnen Anordnungen der Generalkommandos, so handelt es sich entweder lediglich um eine Wiederholung der reichsrechtlichen Norm oder, soweit sie mit dieser in Widerspruch stehen würde (was übrigens, wie weiter ausgeführt wird, im vorliegenden Falle nicht in Frage kommt), um eine ungültige Vorschrift. Das Berufungsgericht hat also unter allen Umständen gegen die Verordnung des Bundesrats verstoßen, denn es hat für die Wirkung der Beschlagnahme nicht die dieser Verordnung zu entnehmenden Folgen berücksichtigt.

Das Berufungsgericht wird nun zu der Frage, ob die ursprüngliche Mängelrüge begründet und rechtzeitig erfolgt ist, Stellung nehmen müssen. Ist dies nämlich zu bejahen und deshalb das Eigentum an den übersandten Waren vor dem 1. April 1916 nicht auf die Beklagte übergegangen, so kann die Klägerin ihre durch den Kaufabschluß begründete Verpflichtung zur Eigentumsübertragung nach der am 1. April 1916 eingetretenen Beschlagnahme der Ware nicht mehr erfüllen und ist deshalb mit ihrem Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises abzuweisen. War die am 21. März 1916 übersandte Ware jedoch probemäßig, dann hatte die Klägerin bereits vor dem 1. April 1916 alles getan, was ihr vertraglich oblag; die Rechtsfolgen ergeben sich dann aus § 300 Abs. 2 in Verbindung mit § 324 Abs. 2 BGB."