RG, 10.02.1880 - II 106/79
1. Besteht neben den Rechten, welche die Artt. 334-356 H.G.B. gewähren, auch noch die Auflösungsklage aus Satz 1184 Lad. Landr. (Art. 1184 Code civ.)?
2. Erfordert diese Klage eine Verzugsetzung?
Aus den Gründen
"Zunächst bietet sich die Frage dar, ob in vorliegendem Falle die Bestimmungen der Artt. 355 und 356 H.G.B. oder der Satz 1184 bad. Landr. maßgebend seien.
Der Tendenz des H.G.B.'s, durch seine Bestimmungen einheitliches Recht für ganz Deutschland zu schaffen und hiermit dem Kaufmanne eine sichere Richtschnur für sein Verhalten zu geben, entspricht es, die Artt. 354-356 H.G.B. dahin aufzufassen, daß in den dort bezeichneten Fällen, d. h. wenn der Käufer mit der Zahlung oder der Verkäufer mit der Lieferung der Ware im Verzuge ist, dem Kontrahenten nur diejenigen Rechte zustehen sollen, welche das H.G.B. verleiht, also die abweichenden Bestimmungen der Landesgesetze ganz außer Betracht bleiben. Ebenso zweifellos erscheint es jedoch anderseits, daß in Fällen, wo die Voraussetzungen der Artt. 354-356 nicht vorliegen, bei Mangel bezüglicher Bestimmungen des H.G.B.'s die Landesgesetze maßgebend bleiben, insbesondere also auch das durch Satz 1184 a. a. O. für den Fall der Nichterfüllung von Vertragspflichten gewahrte Auflösungsrecht seine Geltung behält. Es tritt dies sofort klar hervor, wenn man an Fälle denkt, wo es sich nicht um Unterlassung einer Zahlung oder Lieferung, sondern um Zuwiderhandlung gegen Vertragspflichten sonstiger Art handelt, z. B. die Verpflichtung, während gewisser Zeit Waren fraglicher Art anderen nicht zu verkaufen oder von anderen nicht zu kaufen.
In vorliegender Sache erscheint der Fall, welchen Art. 355 H.G.B. vorsieht, nicht gegeben.
Die Klage auf Aufhebung des Kauf- beziehungsweise Lieferungsvertrages wird vom Käufer darauf gegründet, daß der Verkäufer zwar zwei Lieferungen bethätigt, jedoch nicht die vertragsmäßige Ware geliefert und zudem bestimmt erklärt habe, eine andere Ware als diese auch in Zukunft nicht liefern zu wollen. Ein Verzug des Verkäufers ist nach den hier maßgebenden Bestimmungen des badischen Landrechtes (S. 1139) weder betreffs der bereits gelieferten Ware noch betreffs der zukünftigen Lieferungen anzunehmen. Bei dieser Sachlage steht dem Käufer das Rücktrittsrecht nach Art. 355 H.G.B. nicht zu, kann ihm aber das minder wirksame Auflösungsrecht des L.R.'s S. 1184 nicht verweigert werden, falls die Voraussetzungen desselben gegeben erscheinen.
In letzterer Beziehung ist nun zu bemerken, daß das Gesetz (L.R. S. 1146) zwar das Verlangen eines Schadensersatzes der Regel nach von einer Verzugssetzung abhängig macht, nicht aber auch die Auflösungsklage des L.R.'s S. 1184. Begehrt daher ein Kontrahent bloß die Aufhebung des Vertrages, ohne damit Schadensersatzansprüche zu verbinden, so genügt es zur Begründung dieser Klage, daß der Zeitpunkt, wo der Gegner erfüllen sollte, eingetreten war, diese Erfüllung aber in gehöriger Weise nicht erfolgt ist. Indem das Gesetz dem Richter die Befugnis giebt, auch eine spätere Erfüllung noch als wirksam anzuerkennen, ja sogar im Urteile selbst noch eine Nachfrist zur Erfüllung zu gewähren, erscheint den Rücksichten, welche unter Umständen der Gegenkontrahent beanspruchen kann, genügende Rechnung getragen."...