RG, 10.01.1919 - II 220/18
1. Zum Begriff der Tatsache im Sinne von § 14 UWG. und § 824 BGB.
2. Handelt der Patentinhaber auf seine Gefahr, wenn er öffentlich vor Patentverletzungen warnt und dabei dem Patent eine Auslegung gibt, die später von den Gerichten als zu weitgehend befunden wird?
Tatbestand
Die Beklagte ist Inhaberin des eine Sprechmaschine betreffenden Patentes 154180 mit Zusatzpatent 156419. Der Anspruch des Hauptpatentes lautet: "Sprechmaschine, dadurch gekennzeichnet, daß der Schalltrichter in einem entsprechend hohen, die Sprechmaschine tragenden tischartigen Gestell so eingebaut ist, daß die Schallöffnung desselben innerhalb des Gestelles am Fuße des letzteren ausmündet, während das andere, engere Ende des Trichters mit einem die Schalldose tragenden hohlen verschwenkbaren Schallarm in an sich bekannter Weise durch ein Kugelgelenk verbunden ist." Das Zusatzpatent hat folgenden Anspruch: "Sprechmaschine mit einem in das Gestell derselben eingebauten Schalltrichter nach Patent 154180, dadurch gekennzeichnet, daß der Schalltrichter einen ovalen Querschnitt hat und dicht unter dem Boden des Apparatgehäuses wagerecht liegend angeordnet ist, zum Zweck, die Dimensionen des Apparates gering zu machen und dem letzteren seinem Äußeren nach die gewöhnliche Form einer Sprechmaschine geben zu können."
In den Jahren 1912 und 1913 vertrat die Beklagte die Auffassung, daß die Patente ganz allgemein die Anordnung des Schalltrichters unten im Apparatgehäuse schützten. Unter die Erfindung sollten daher u. a. auch die von der Klägerin vertriebenen Apparate fallen, bei denen eine nicht metallene Schallvorrichtung einen Teil des Gehäuses selbst bildet. Von dieser Auffassung ausgehend, erließ sie mündlich sowie namentlich durch die Presse Warnungen an Fabrikanten und Händler, mit sog. trichterlosen Apparaten in die Patente einzugreifen.
Teils vor, teils nach diesen Veröffentlichungen ergingen auf Patentverletzungsklagen der jetzigen Beklagten Urteile des Landgerichts I Berlin, die die Patente in ähnlich weitem Sinne auslegten; durch Urteil vom 13. Mai 1911 trat auch das Kammergericht einer solchen Auslegung bei. Dagegen entschied das Kammergericht in einer Sache gegen die jetzige Klägerin am 8. Oktober 1913, daß die Erfindung auf die konkrete Ausführungsform des Apparates beschränkt sei; das Wesentliche liege in der gesicherten Unterbringung des Schalltrichters in einem die Maschine tragenden besonderen Gestelle. Dieses Urteil wurde vom I. Zivilsenat des Reichsgerichts am 25. Februar 1914 bestätigt.
Am 25. August 1914 erhob die Klägerin die gegenwärtige Klage auf Zahlung von 400000 M Schadensersatz. Sie warf der Beklagten vor, durch ihre Warnungen gegen § 14. §§ 3, 13 Abs. 2, § 1 UWG., § 1 Gew. O., §§ 823 flg. BGB. verstoßen zu haben. Die Beklagte bestritt die Voraussetzungen dieser Vorschriften, da sie weder unrichtige Tatsachen behauptet habe noch schuldhaft vorgegangen sei.
Beide Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Auch die Revision blieb erfolglos.
Gründe
"Die von der Klägerin beanstandeten Preßartikel sind enthalten in der Fachzeitschrift "Offizielle Grammophon-Nachrichten", und zwar in der Nr. 1 vom 1. Januar 1912, Nr. 9 vom 1. September 1912, Nr. 3 vom 1. März und Nr. 4 vom 1. April 1913. Die Beklagte gibt dann die Formeln verschiedener zu ihren Gunsten ergangener Urteile wieder, teilweise auch Stellen aus den Entscheidungsgründen; sodann legt sie die Patente aus und erklärt, Verletzungen nicht dulden zu wollen. In der Nummer vom 1. April 1913 findet sich auch eine Bemerkung über Anrufung staatsanwaltschaftlicher Hilfe. Ebenso hat ein Angestellter der Beklagten in einer Versammlung des Bundes der Sprechmaschinenhändler Deutschlands mit Anzeigen beim Staatsanwalt gedroht.
Im Anschluß an die Entscheidung des erkennenden Senats RGZ. Bd. 88 S. 437 setzt das Berufungsgericht zunächst auseinander, daß hierin die Behauptung einer unrichtigen (unwahren) "Tatsache" im Sinne des § 14 UWG. oder des § 824 BGB. nicht zu finden ist. Bestimmte Handlungen, durch die die Patente verletzt sein sollen, sind gar nicht angegeben. Die Beklagte hat die Schlußfolgerungen mitgeteilt, die sie aus den Patentschriften und aus den bis dahin ergangenen Gerichtsentscheidungen auf den Umfang der Patente zog. Das ist die Wiedergabe einer logischen Urteilstätigkeit, nicht aber die Behauptung von Tatsachen. Mit Unrecht meint die Revision, die Beklagte habe den Anschein erweckt, als ob ihre Ansicht über den Schutzumfang von den Gerichten endgültig festgestellt sei. Von den Urteilen des Reichsgerichts vom 2. Dezember 1911 in den Nichtigkeitsklagen der L. Aktiengesellschaft heißt es in den Artikeln vom 1. Januar und 1. September 1912 nur, die Klagen seien abgewiesen, das entgegengehaltene Material für unerheblich erachtet worden, die Patente beständen demnach zu Recht. Was dann über den Schutzumfang der Patente gesagt wird, gibt sich durch Wortfügung und Druckanordnung (besondere Absätze) deutlich als subjektive Ansicht der Beklagten. Es wäre auch im höchstem Maße auffallend, wenn diese in Artikeln, die sich an ein sachverständiges Publikum wandten, hätte behaupten wollen, das Reichsgericht habe im Nichtigkeitsprozeß den Umfang der Patente festgestellt. Anlangend ferner die Urteile des Landgerichts I Berlin vom 1. November 1910 und des Kammergerichts vom 13. Mai 1911 in der Sache gegen die Firmen L. und B., so liegt die Behauptung einer unrichtigen Tatsache nicht um deswillen vor, weil die damaligen Gerichte über den Schutzumfang natürlich nur mit Bezug auf die Klage gegen die genannten beiden Beklagten entschieden hatten. Auch diese Selbstverständlichkeit bedurfte Fachleuten gegenüber keiner Hervorhebung. Ebenso verhält es sich mit dem Vorwurf, in der Nummer vom 1. März 1913 fehle ein Hinweis darauf, daß die beiden Urteile des Landgerichts I Berlin vom 7. Februar 1913 in den Sachen gegen Bi. & Fr. und gegen die jetzige Klägerin noch nicht rechtskräftig waren. Das Berufungsgericht bemerkt mit Recht, es habe auf der Hand gelegen, daß Landgerichtsurteile vom 7. Februar 1913 (dieses Datum wird in Verbindung mit Bi., wenn auch nicht mit der jetzigen Klägerin in dem Artikel erwähnt) am 1. März desselben Jahres, dem Erscheinungstage der Nummer, noch keine Rechtskraft erlangt haben würden. Von einer Behauptung der unrichtigen Tatsache daß das Gegenteil der Fall sei, ist also keine Rede.
Die übrigen Klagegründe verneint das Berufungsgericht, weil die Beklagte ohne Verschulden und in gutem Glauben an ihr Recht gehandelt habe. Es erwägt, es möge zu weit gegangen sein, wenn sie die Patente dahin auslegte, daß allein schon die Verlegung des Schalltrichters nach unten und zwar so, daß das Triebwerk entweder über dem Trichter oder neben oder in ihm zu liegen kam, geschützt sei. Sie könne sich aber auf die Urteile vom 7. Februar 1913 berufen, die diese Ansicht geteilt hätten. Der Umstand, daß der Apparat der jetzigen Klägerin keinen Schalltrichter aus Metall und kein tischartiges Gestell aufwies, sei damals für unerheblich erklärt worden, da es genüge, daß der Raum zwischen dem Traggestell für das Triebwerk und dem Boden des Apparates zur Unterbringung des Trichterersatzes ausreiche. Wenn die geschäftsplanmäßig mit der Entscheidung der Patentstreitigkeiten betraute 16. Zivilkammer des Landgerichts I Berlin eine so weitgehende Auslegung des Patentes 154180 vertreten habe, könne nicht festgestellt werden, daß der Beklagten die Unrichtigkeit dieser Auslegung bekannt oder aus Fahrlässigkeit unbekannt gewesen sei. Dies um so weniger, als das Landgericht, obwohl ihm das abweichende Urteil des Kammergerichts vom 8. Oktober 1913 vorlag, in der das Patent 156419 betreffenden Entscheidung vom 23. Dezember 1913 an seinem Standpunkte mit eingehender Begründung festgehalten habe. Das Landgericht lehne es dort ausdrücklich ab, das Wesen des Zusatzpatentes in der konkreter Ausführungsform des Apparates, in der Unterbringung des Trichters in einem besonderen Gestelle, zu erblicken. Es lege Gewicht darauf, daß der Erfinder des Patentes 154180 der erste gewesen sei, "welcher die Vorteile des Schutzes des Trichters durch Ausnutzung des unter der Maschinerie vorhandenen Raumes unter Beibehaltung der gegebenen Grundfläche des Apparates und der Möglichkeit, dadurch einen großen Schalltrichter zu verwenden, erkannt" habe. Es führe aus, daß der Apparat der jetzigen Klägerin und der Firma Bi. & Fr. durch die Merkmale des Patentes 156419 gekennzeichnet sei. Der Umstand, daß die Veröffentlichungen der Beklagten vom 1. Januar und 1. September 1912 diesen Urteilen zeitlich vorangingen, hindere nicht, daß sich die Beklagte zum Nachweis ihres guten Glaubens auf die Urteile berufen könne. Denn jedenfalls folge aus ihnen, daß der Standpunkt der Beklagten möglich sei und sich vertreten lasse. Wenn die Klägerin, um die Schlechtgläubigkeit darzutun, auf die Verhandlungen verweise, die die Beklagte in den Jahren 1906 und 1907 mit der Firma E. H. Nachf. über den Erwerb des Patentes 154180 geführt habe, so gehe das fehl. Allerdings habe die Beklagte hier wiederholt erklärt, sie halte das Patent für wertlos und erwerbe es nur zu spekulativen Zwecken, um die Konkurrenz einzuschüchtern. Diese Äußerungen bewiesen aber nicht, daß sie wirklich der Ansicht sei, zu der sie sich bekannte. Vielleicht habe sie die zu kaufende Ware in ihrem Werte heruntergesetzt, um den Preis, zu drücken; möglich sei auch, daß sie sich später von der Bedeutung und dem Werte des erworbenen Patentes überzeugt habe.
Gegenüber diesen Erwägungen bleibt die Revision dabei, ein Verschulden sei deshalb anzunehmen, weil die Urteile vom 7. Februar 1913 bei den Veröffentlichungen vom 1. Januar und 1. September 1912 noch nicht vorhanden und bei den letzten beiden noch nicht rechtskräftig waren. Die Beklagte, meint sie, habe wissen müssen, daß die Frage, ob die Patente verletzt waren, im Auslegungsstreit erst durch die rechtskräftige Entscheidung gelöst werden könne. Wenn sie die beanstandeten Behauptungen über den Schutzumfang der Patente aufstellte, die Kundschaft einschüchterte und sogar mit dem Staatsanwalte drohte, so habe sie dies angesichts der Möglichkeit, daß das letztinstanzliche Urteil anders ausfiel, auf eigene Gefahr getan. Sie habe mit dem Eventualdolus gehandelt, daß ihre Auffassung sich schließlich als unrichtig erweisen könne. Der Grundsatz, daß Recht nur das sei, was der letzte Richter entscheide, gelte vornehmlich im Patentauslegungsstreite. Das Patent habe nur den Umfang, den ihm der letzte Richter zuspreche. Solange der Schutzumfang nicht rechtskräftig festgestellt sei, dürfe der Patentinhaber mit einer so einschneidenden Maßregel, wie sie die Einschüchterung der Kundschaft sei, nur dann vorgehen, wenn er durch sorgfältigste Prüfung die Überzeugung erlangt habe, daß seine Behauptung die Billigung der höchsten Instanz finden werde. In dieser Beziehung erhelle zugunsten der Beklagten nichts. Aus der Korrespondenz mit H. gehe im Gegenteile hervor, daß sie die Patente zunächst für wertlos gehalten habe; die Annahme einer späteren Sinnesänderung schwebe in der Luft. Die Patente seien auch niemals ausgeführt worden, da die Bauart unmöglich gewesen sei und die Beklagte von solchen Apparaten kein Stück abgesetzt haben würde.
Dieser Angriff kann keinen Erfolg haben. Ob die Patente ausgeführt worden sind, ist unerheblich; die Frage wird auch höchstwahrscheinlich mit der Meinungsverschiedenheit der Parteien über den Umfang des Schutzes zusammenfallen. Der Beweis, daß die Beklagte sie beim Erwerbe wirklich für wertlos gehalten habe, läßt sich nach Annahme des Berufungsgerichts nicht erbringen. Übrigens sind die Briefe, die die Klägerin für diese Schlußfolgerung verwertet, längst vor dem Beginne der Ankaufsverhandlungen geschrieben; die Beklagte bemühte sich damals um eine Lizenz und hat, als das fehlschlug, noch selbst die Nichtigkeitsklage angestrengt. Vor allem aber beruhen die Einwendungen der Revision auf einer starken Überschätzung der Bedeutung des richterlichen Urteils und werden dem guten Glauben des Patentinhabers nicht gerecht. Das Schlagwort "Recht ist, was der letzte Richter für Recht erkennt", ist aus der Wahrnehmung entsprungen, daß infolge der Schwäche der menschlichen Erkenntnis die Urteile der verschiedenen Instanzen, und zwar besonders in Patentverletzungssachen, nicht selten verschieden ausfallen. Aber auch in derartigen Streitigkeiten schafft das Gericht nicht Recht, sondern stellt nur fest, was nach dem Gesetze Recht ist. Es ist ganz verfehlt, aus jenem Schlagworte rechtliche Folgerungen zu ziehen, wie z. B. die, daß ein Patentinhaber über den Umfang seines Patente nichts Sicheres wissen könne, bevor nicht in einem Verletzungsprozesse des I. Zivilsenat des Reichsgerichts gesprochen habe. Vielmehr kann er für sich allein ebensogut das Richtige finden wie später, wenn es zum Prozesse kommt, die höchste Instanz. Der Überzeugung, die er sich durch gewissenhafte Prüfung gebildet hat, darf er auch öffentlich Ausdruck geben. Es ist sein gutes Recht, vor der Begehung von Verletzungen zu warnen; er braucht nicht abzuwarten, bis solche begangen sind. Die gegenteilige Regelung würde vom Standpunkte des Gesetzgebers aus geradezu unbegreiflich sein. Da der Patentverletzer nur dann auf Schadensersatz haftet, wenn er den Eingriff in das Patent wissentlich oder in grober Fahrlässigkeit begeht (§ 35 PatG.), ist ein wirksamer Schutz der Patente ohne Warnungen des Inhabers vor Eingriffen überaus häufig nicht zu erzielen. Es versteht sich daher von selbst, daß der Inhaber bei solchen Warnungen nicht auf seine Gefahr handeln kann, derart, daß er der Konkurrenz schon dann für Schadensersatz aufkommen müßte, wenn seine Meinung über den Umfang der Patente demnächst von den Gerichten mißbilligt wird. Voraussetzung der Haftung ist vielmehr, daß ihm ein Verschulden zur Last fällt, in dem Sinne, den das Gesetz allgemein mit diesem Begriffe verbindet.
Im vorliegenden Falle hat das Berufungsgericht jedes Verschulden der Beklagten bedenkenfrei verneint. Mit der Feststellung der Überzeugung von ihrem Rechte fällt die Annahme eines Eventualdolus. Der Vorwurf der Fahrlässigkeit durfte als widerlegt angesehen werden im Hinblicke darauf, daß die auf dem Gebiete des Patentrechts besonders anerkannte 16. Zivilkammer des Landgerichts I Berlin wiederholt die gleiche Auslegung wie die Beklagte vertreten hat. Zugleich ist klar, daß das im guten Glauben an das Recht erfolgte Vorgehen keinen Verstoß gegen die guten Sitten enthält.
Hiermit erledigen sich die sämtlichen Gesetzesstellen, die die Klägerin außer § 14 UWG., § 824 BGB. noch angezogen hat (§3 mit § 13 Abs. 2 UWG., § 826 BGB., § 1 UWG., § 823 Abs. 2 BGB. mit § 1 GewO.). Zu dem durch die beiden letzten Paragraphen angedeuteten Gesichtspunkte der Störung des Gewerbebetriebes ist noch hervorzuheben, daß sich die Revision mit Unrecht auf das Urteil des VI. Zivilsenats des Reichsgerichts vom 3. Juli 1916 (Markenschutz, und Wettbewerb Bd. 16 S. 111) beruft. Dort handelte es sich um den Gebrauchsmusterschutz; das Urteil legt ausdrücklich Gewicht darauf, daß dieser Schutz ohne sachliche Vorprüfung erteilt wird und dem Inhaber nur ein formales, kein irgendwie gesichertes Recht verleiht. Beim Patente verhält sich dies anders (§§ 21 flg. PatG.)." ...