RG, 20.02.1880 - II 203

Daten
Fall: 
Einklagen fälliger Zinscoupons österreichischer Teilschuldverschreibungen
Fundstellen: 
RGZ 1, 59
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
20.02.1880
Aktenzeichen: 
II 203
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Handelsgericht München l./J.
  • Handelsappellationsgericht München

Ist das österreich. Ges. v. 24. April 1874 auf Fälle anwendbar, wo fällige Zinscoupons österreich. Teilschuldverschreibungen eingeklagt werden?

Tatbestand

G. klagte 945 fällige Zinscoupons von Schuldverschreibungen der Kaiserin Elisabeth-Bahn, welche nach Wahl des Inhabers in Wien mit 5 fl. österreichischer Währung (Silber) oder in Süddeutschland mit 5 fl. 50 kr. süddeutscher Währung zu zahlen waren, bei dem H.G. München l./J. ein, behauptend, er habe bei dem als Zahlstelle bestimmten Bankhause Rothschild & Söhne in Frankfurt a./M. Zahlung zu 10 Mark für den Coupon verlangt, jedoch nicht erhalten.

Die Bahn wendete ein, nach dem Kuratorengesetze vom 24. April 1874 sei die Klage unstatthaft, jedenfalls bestehe nur die Verpflichtung, in österreichischer Währung zu zahlen und könnten äußersten Falles keine Zinseszinsen verlangt werden.

In zweiter Instanz wurde die Bahn zur Zahlung der Hauptsumme verurteilt, der Anspruch auf Prozeßzinsen jedoch abgewiesen. Die beiderseits erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wurde in erster Beziehung verworfen, in zweiter Beziehung für begründet erklärt aus folgenden Erwägungen:

Gründe

"Zunächst ist zu prüfen, ob das österreichische Gesetz vom 24. April 1874, seine Anwendbarkeit im allgemeinen vorausgesetzt, den vorliegenden Fall treffe.

Zweck jenes Gesetzes war es, dem fühlbaren Mißstande zu begegnen, der darin liegt, daß das Vertragsverhältnis zwischen den Inhabern von Teilschuldverschreibungen und ihrem Schuldner vielfach ein gemeinsames Handeln aller Inhaber erfordert, insbesondere auch zu Streitfragen Anlaß geben kann, welche nur einheitlich zu entscheiden sind, deren gesonderte, den einzelnen Inhabern gegenüber erfolgende Aburteilung wenigstens große Rechtsnachteile und Unzuträglichkeiten im Gefolge hätte, während andererseits es unmöglich ist, alle einzelnen Interessenten zu ermitteln, um sie zu Rechtshandlungen beizuziehen oder als Kläger bezw. Beklagte in den Rechtsstreit zu ziehen.

Deshalb verfügt es, daß in Fällen dieser Art nicht der einzelne, sondern nur die Gesamtheit auftreten könne, und ordnet, um dies zu ermöglichen, die Ernennung eines unter richterlicher Aufsicht handelnden Kurators an, welcher für den gegebenen Fall die Gesamtheit zu vertreten habe.

Für die Frage, welche Fälle das Gesetz treffen wolle, ist offenbar §. 1 desselben maßgebend, welcher bestimmt, es sei in allen Fällen, in welchen sich ergebe, daß die Rechte der Besitzer von Teilschuldverschreibungen wegen des Mangels einer gemeinsamen Vertretung gefährdet, oder die Rechte eines anderen in ihrem Gange gehemmt würden, ein gemeinsamer Kurator zu bestellen. Zwar scheint §. 9 des Gesetzes, welcher den einzelnen Besitzern das Recht selbständiger Geltendmachung ihrer Rechte entzieht, weiter zu gehen, da er allgemein von "Angelegenheiten, welche gemeinsame Rechte der Besitzer betreffen" spricht, allein offenbar ist er nur im Zusammenhalte mit §. 1 auszulegen, also dahin zu verstehen, daß von "gemeinsamen Rechten im Sinne des §. 1" gesprochen werden sollte. Unmöglich kann angenommen werden, §. 9 begreife Fälle, die nicht unter §. 1 fallen, d. h. es könne Fälle geben, in denen zwar die Bestellung eines Kurators nicht statthaft, dennoch aber den einzelnen Besitzern die selbständige Verfolgung ihrer Rechte verwehrt sei.

Was nun den Sinn besagter Bestimmung des §. 1 anbelangt, so ist zu beachten, daß ein in die Rechte der Besitzer von Teilschuldverschreibungen tief eingreifendes Gesetz in Frage steht, dasselbe daher streng auszulegen und auf solche Fälle zu beschränken ist, welche es seinem Zwecke und Wortlaute nach unzweifelhaft treffen wollte.

Fälle dieser Art sind im Gesetze selbst (§§. 1, 4, 14, 15) angeführt und ist es dabei für Auslegung desselben nicht ohne Bedeutung, daß man nötig fand, den Fall des Konkurses besonders hervorzuheben, obgleich gerade dieser Fall nicht leicht Anlaß zu Zweifeln geben konnte. Ein Fall, der unzweifelhaft unter das Gesetz fällt, ist ferner der, wenn die Art und Weise einer Verlosung in Frage steht, da klar ist, es könne diese Frage nicht den einzelnen gegenüber verschieden gelöst werden; ebenso kann auch kein Zweifel bestehen betreffs jener Fälle, wo es sich darum handelt, Rechtshandlungen vorzunehmen, bei welchen alle Besitzer beteiligt sind, also nach allgemeinen Principien mitzuwirken hätten, z. B. eine die gefährdeten Rechte der Besitzer wahrende Vereinbarung zu treffen (vgl. Sammlung bayr. Entsch. für Handels- und Wechselrecht Bd. III. S. 821).

In vorliegender Sache erscheint es unnötig, die Frage, wie im Sinne des Gesetzes die Grenzlinie zu ziehen sei, eingehend zu prüfen, denn, wie weit man auch den Kreis der unter das Gesetz zu ziehenden Fälle ausdehnen möge, so viel erscheint außer Zweifel, daß der vorliegende Fall vom Gesetze nicht getroffen würde. Es handelt sich in demselben um die Einklagung bestimmter fälliger Zinscoupons und zwar in Geltendmachung der besonderen Rechte, welche Kläger dadurch erworben haben will, daß er für dieselben Zahlung in Frankfurt a./M. verlangt hatte. Unerfindlich ist, wie durch die selbständige Einklagung dieser Zinsforderung die Rechte, sei es des Klägers selbst, sei es der anderen Besitzer von Teilschuldverschreibungen oder Coupons gefährdet sein könnten, noch weniger aber kann davon die Rede sein, daß die Rechte eines anderen in ihrem Gange gehemmt würden.

Es wird nun im Anschlusse an die Ausführungen der Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 23 Nr. 72 S. 205 und Bd. 25 Nr. 11 S. 41 dargelegt, daß Zahlung nach Maßgabe des Reichsmünzgesetzes vom 9. Juli 1873 gefordert werden kounte, und dann weiter bemerkt:

"Nach vorstehenden Erörterungen ist das in Frage stehende Zahlungsgeschäft in allen seinen Richtungen dem in Frankfurt a./M. geltenden Rechte unterworfen; es muß daher auch die Frage, ob und welche Verzugszinsen im Falle verzögerter Zahlung zu entrichten seien, nach jenem Rechte beurteilt werden. (Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 24 Nr. 102 S. 388.)"

Nach einem Frankfurter Gesetze vom 2. Februar 1864 können dort Zinsen aus Zinsen vom Tage der Klagzustellung an gefordert und zugesprochen werden, das die Frage beherrschende örtliche Recht steht daher dem Verlangen des Klägers zur Seite. Fraglich ist nur, ob nicht infolge der Bestimmungen des bayerischen Landrechtes (Tl. II. cap. III. §. 21) dem bayerischen Richter verboten war, die nach Frankfurter Recht geschuldeten Zinsen zuzusprechen.

Unzweifelhaft enthielten diese Bestimmungen eiu absolutes, auf Gründen der öffentlichen Ordnung beruhendes Verbot des Anatozismus, und ebensowenig besteht Zweifel darüber, daß dieses Verbot nicht bloß das Ausbedingen, sondern auch das Nehmen von Zinseszinsen traf, insbesondere das Zusprechen von Prozeßzinsen nicht gestattete.

Wären daher diese Bestimmungen jetzt noch unverändert in Geltung, so müßte der Ansicht des Appellationsrichters beigepflichtet werden; allein diese Voraussetzung trifft nicht zu, denn das Gesetz vom 5. Dezember 1867 Art. 1 hebt die in Beziehung auf vertragsmäßige Festsetzung der Verzinslichkeit verfallener Zinsen bestehenden Verbote und Beschränkungen auf. Zwar läßt diese Gesetzesbestimmung im übrigen das Verbot des Anatozismus fortbestehen, allein es möchte sich fragen, ob sich nicht infolge derselben die Natur der bezüglichen Bestimmungen des Landrechtes wesentlich geändert habe, und ob es jetzt noch als etwas den guten Sitten oder der öffentlichen Ordnung Widerstreitendes betrachtet werden könne, von verfallenen Zinsen wiederum Zinsen zu nehmen, wenn es sogar gestattet ist, solche Zinsen zu bedingen und zwangsweise einzutreiben. Jedenfalls ist anzuerkennen, daß in Fällen, wo dasjenige Gesetz, welchem sich die Kontrahenten nach ausdrücklich ausgesprochenem oder stillschweigend präsumiertem Vertragswillen unterworfen haben, das Recht Zinsen verfallener Zinsen zu verlangen gewährt, es dem bayerischen Richter nicht verwehrt sein könne, diese Zinseszinsen zuzusprechen."...