RG, 25.02.1880 - I 41/80
Ist nach preußischem Rechte bei Versicherungen eigenen Lebens auf den Todesfall zu Gunsten Dritter die Erlangung des Klagerechtes bezüglich der Versicherungssumme von dem Beitritte gemäß A.L.R. I. 5 §. 75 ff. abhängig? Kann in solchen Fällen die Versicherungssumme als Gegenstand des Nachlasses des Versicherungsnehmers betrachtet werden?
Aus den Gründen
Der Appellationsrichter geht von der Bestimmung der Lebensversicherungspolice vom 4. Dezember 1868, nach welcher sich die versichernde Gesellschaft Royal Belge verbindlich gemacht hat,
gemäß den beigefügten allgemeinen Bedingungen etc. nach dem Tode des Versicherungsnehmers H. H. die Summe von 3000 Thlrn. an dessen Ehegattin F. geb. S. und dessen Kinder zu zahlen,
sowie davon aus, daß diese Bestimmung bis zum Tode des H. unverändert in Kraft geblieben ist, sodann aber die Beklagte als Nachlaßgläubigerin des H. im Wege der Exekutionsvollstreckung gegen die Kläger als Erben, die persönlich für die Schuld nicht aufzukommen hatten, sich von der Versicherungssumme 1216 M. und Zinsen mit Cessionsrecht hat überweisen und von der versichernden Gesellschaft auf Grund der Cession hat zahlen lassen.
Der Appellationsrichter folgert sodann hieraus, daß das Gezahlte dem eigenen Vermögen der Kläger widerrechtlich entzogen worden sei und erstattet werden müsse, und begründet die Widerrechtlichkeit der Handlungsweise der Beklagten mit der Ausführung, daß bei den zu Gunsten Dritter erfolgten Versicherungen des eigenen Lebens auf den Todesfall grundsätzlich und nach dem Zusammenhange des Gesetzes - §§. 1968. 2089. 2280. 2293 A.L.R. II. 8 - abweichend von den allgemeinen Vertragsregeln - §§. 74. 75 A.L.R. I. 3 - die Versicherung, das ist die Versicherungssumme, unmittelbar dem Versicherten - Dritten - und nicht dem Nachlasse des Versicherungsnehmers gehören solle, daß dafür auch die Judikatur des ehemaligen preußischen Obertribunals, wenigstens in Beziehung auf dergleichen zu Gunsten von Frau und Kindern erfolgten Versicherungen, spreche, und daß daher auch im vorliegenden Falle mit Rücksicht auf die unverändert gebliebene Benennung der Empfänger letztere als unmittelbare Forderungsberechtigte anzusehen seien und das Objekt ihres Anspruches nicht dem Angriffe der Nachlaßgläubiger unterliege.
Gegen die Erwägung ist die vorab zu erledigende Beschwerde wegen Verletzung des §. 207 A.L.R. I. 16 erhoben, weil ein Zwang gegen die zahlende Gesellschaft nicht geübt worden. Der den Klägern abgezwungene Gegenstand ist aber die Forderung selbst, welche durch die Zahlung realisiert worden ist, und da die getilgte Forderung nicht zurückgegeben werden kann, ist das dafür Gelöste zurückzugeben. Der weitere Angriff rügt Verletzung der §§. 74. 75. 153. I. 5; 1968. 2089. 2280. 2293. II. 8 A.L.R. und des Rechtsgrundsatzes: daß das einem dem Lebensversicherungsvertrage nicht beigetretenen Dritten laut Police zugedachte Recht auf die Versicherungssumme nach dem Tode des Versicherungsnehmers einen Bestandteil dessen Nachlasses bilde. -
Bei der Beurteilung dieses Angriffes ist festzuhalten, daß es sich nur um die rechtliche Bedeutung des hervorgehobenen Inhaltes des Versicherungsvertrages und der Police handelt, und Willenserklärungen oder statutarische Bestimmungen, welche diese Bedeutung beeinflussen könnten, nicht unterstellt sind. Steht nun danach wesentlich nur die Wirkung der Verpflichtung der Gesellschaft, gegen Zahlung der bestimmten Prämien nach dem Tode des Versicherungsnehmers die Versicherungssumme an Witwe und Kinder zu zahlen, in Frage, so ist allerdings kein Anlaß, den Vertrag gegen die übereinstimmende Auffassung der Parteien und des Appellationsrichters nicht als einen zu Gunsten Dritter geschlossenen - §, 75 fg. A.L.R. I. 5 - zu betrachten, gegeben, die Zuwendung ist eine bedingungslose; der bei solchen Verträgen zu ihrer Vollwirkung geforderte Beitritt der Begünstigten würde aber nach den bekannten Ausführungen des preußischen Obertribunals bei dem vorliegenden Vertrage in Gemäßheit der §§. 75. 153 a. a. O. auch nicht gefehlt haben, weil die Teilnahme der Witwe und der Kinder an dem Vertrage durch den Ehemann und Vater gültig vermittelt worden ist. Denn auch in Beziehung auf die streitig gebliebene damalige Selbständigkeit einzelner Kinder können die für das Vertretungsrecht des Vaters geltend gemachten Argumente (Entscheid. des Obertribunals Bd. 71 S. 22 fg.; Förster, Theorie etc. I. 415) durch die hinsichtlich dieses Punktes in Einzelfällen schwankend gewesene Praxis nicht als beseitigt gelten.
Aber es ist auch richtig, daß den Regeln der §§. 75 ff. A.L.R. I. 5 eine durchgreifende, für alle Rechtsverhältnisse der in Rede stehenden Art unbedingt maßgebende Bedeutung nicht beigelegt werden kann. Freilich ist hierbei davon abzusehen, daß der dem römischen Rechte entnommene Standpunkt des preußischen Rechtes, nach welchem das Recht des Begünstigten von dessen besonders bewilligten Beitritte zum Vertrage abhängen soll, von dem gemeinen deutschen Rechte sowohl, wie auch von den neueren partikulären und fremden Rechten längst verlassen ist ( Windscheid, Pandekten II. §. 316; Förster, Theorie etc. I. 375), und daß demselben auch namentlich bei Versicherungsverträgen die gemeine Übung widerspricht (vgl. Förster a. a. O. II. S. 405; Goldschmidt, Zeitschrift Bd. 12 S. 169 fg.; Hartmann, Centralorgan für Handels- etc. Recht II. 291), Aber die Beschaffenheit und der Zweck gewisser Vertragsverhältnisse, insbesondere solcher, bei denen die Zuwendung an Dritte durch den Tod des Zuwendenden dem Vertragszwecke und Inhalte nach eine definitive wird, läßt auch nach preußischem Rechte die Grundsätze der §§. 75. 76. 153 a. a. O. als unanwendbar erscheinen.
Die Lebensversicherungen auf den Todesfall bezwecken, daß der bestimmten Personen durch das Hinscheiden einer andern entstehende Vermögensverlust vergütet werde. Wenn eine Versicherung auf den eigenen Todesfall zu Gunsten Dritter genommen wird, so wird diesen letzteren das Kapital oder die Rente ausbedungen, für welche Prämien oder eine Einstandsumme bezahlt werden; sie erscheinen daher als die empfangsberechtigten Gläubiger der Versicherungssumme, der Nehmer der Versicherung hat sich selbst diese Summe nicht ausbedungen und kann sie vom Versicherer nicht beanspruchen. Allerdings ist der Versicherungsnehmer auch den nicht beigetretenen Dritten bei Lebzeiten der Regel nach zu nichts verbunden; er kann die Versicherung aufgeben, verwirken, die Police mit oder ohne Einwilligung des Versicherers übertragen, oder die Benennung des Begünstigten wechseln. Aber dadurch wird der Anspruch der in der Police Benannten nur ein bedingter, und wenn die Bedingung - das heißt eine Änderung der bemerkten Art - nicht eintritt, so ist ihnen auch sofort mit dem Tode des Versicherungsnehmers das Forderungsrecht auf die Versicherungssumme erwachsen, sie sind dem Versicherer gegenüber unwiderruflich die Empfangsberechtigten. Auf die Erben des Nehmers kann dieser dem Erblasser selbst nicht zustehende Anspruch nicht übergegangen sein, sondern höchstens das vertragsmäßige Recht, die Zahlung an die Begünstigten zu fordern. Ein Hindernis, daß letztere sie selbst fordern, besteht aber nicht mehr, da eine Änderung des Willens des Erblassers ausgeschlossen und unmöglich ist.
Dem entsprechend lauten denn auch die in der Beschwerde bezogenen §§. 2280. 2283 fg. A.L.R. II. 8 dahin, daß die Zahlung der Versicherungssumme bei ihrer Fälligkeit an denjenigen geschehen müsse, auf dessen Namen die Police lautet, oder dem sie von diesem cediert worden ist und daß der so legitimierte Inhaber der Police, eventuell nach erbrachter Todeserklärung, die versicherte Summe vom Versicherer fordern könne; von einem vorherigen formgerechten Beitritte zum Versicherungsvertrage ist die Zahlungspflicht und das Recht auf Zahlung nicht abhängig gemacht. Keinenfalls sind daher diese Vorschriften durch die Annahme, daß die Versicherungssumme aus der hier vorliegenden Police den darin benannten Zahlungsempfängern zugestanden habe, verletzt, während die §§. 2068. 1968 a. a. O. davon, wem die Versicherungssumme zustehe, gar nicht handeln. Der geltend gemachte Rechtsgrundsatz endlich geht für die Fälle, in denen nicht den Erben als solchen die Versicherungssumme zugewendet ist, fehl, wie Vorstehendes ergiebt; soll letztere den Erben und der Erbschaft zufallen, so muß dies aus dem Vertrage und der Police erhellen. Die hiervon abweichende Meinung ( Dernburg, Lehrbuch II. 640) beruht auf der unmotivierten Voraussetzung, daß eine Versicherung mit der Verpflichtung, an Dritte zu zahlen, überhaupt nicht als Vertrag zu Gunsten Dritter aufzufassen sei. In dem vorliegenden Falle ist eine Bestimmung, welche als Zuwendung der Versicherungssumme an den Nachlaß aufgefaßt werden könnte, nirgends unterstellt; in dem angeblichen streitigen Passus der Versicherungsbedingungen, nach welchen der Versicherungsnehmer die stipulierte Nutzanweisung, das ist die Benennung der Zahlungsempfänger, bis zur Annahme des Nutzens oder bis zum Tode des Versicherten zu widerrufen befugt sein soll, ist offenbar keine Erweiterung der Rechte der Erben, sondern nur ein Vorbehalt für die Person des Erblassers enthalten, der die entwickelte regelmäßige Rechtslage nur bestätigen kann, und im übrigen nach der Sachlage vollkommen wirkungslos geblieben ist."