RG, 16.03.1880 - II 222/79
1. Können vertragswidrige Lieferungen, wenn sie als genehmigt zu gelten haben, den Rücktritt des Wirtes vom Bierabnahmevertrage begründen?1
2. Umwandlung der ursprünglichen Klage auf Erfüllung durch Abnahme des Bieres in die Klage auf Entschädigung.
Tatbestand
Zwischen dem Brauer L. und dem Wirte Fl. war für das Sudjahr 1877/78 ein Bierabnahmevertrag geschlossen worden. Mitte November erklärte Fl. seinen Rücktritt vom Vertrage, weil ihm verdorbenes, ja sogar gesundheitsschädliches Bier geliefert worden sei. B. klagte am 27. Dezember 1877 auf Vertragserfüllung, wurde jedoch durch Urteil erster Instanz vom 16. August 1878 mit Rücksicht auf die schlechte Beschaffenheit des bis Mitte November gelieferten Bieres mit der Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz änderte Kläger sein Begehren dahin, daß er nur noch Schadensersatz verlangte. Das Handelsappellationsgericht erkannte diesem Begehren gemäß, indem es die Frage, ob das gelieferte Bier schlecht gewesen, dahin gestellt ließ und erklärte, jedenfalls habe Beklagter durch Annahme, Ausschank und Bezahlung des Bieres die Lieferungen genehmigt. Die erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wurde verworfen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Die Behauptung, es hätte die Anwendung des Art. 347 H.G.B. nur dazu führen können, die betreffenden Lieferungen für sich als genehmigt zu erachten, keineswegs aber habe dem Beklagten das Recht abgesprochen werden dürfen, auf Grund der schlechten Beschaffenheit des gelieferten Bieres spätere Lieferungen zurückzuweisen, d. h. vom Vertrage zurückzutreten, erscheint unbegründet. Wenn der Beklagte die fraglichen Lieferungen im Sinne des Art. 347 Abs. 2 H.G.B. genehmigte, so war hiermit, was diese Lieferungen anbelangt, der Vertrag seitens des Klägers erfüllt, hieraus aber ergiebt sich von selbst, daß das Rücktrittsrecht, welches Art. 355 H.G.V. dem Käufer nur für den Fall des Verzuges in der Erfüllung giebt, sowie auch jedes andere aus dem bürgerlichen Rechte etwa herzuleitende Rücktrittsrecht, auf die angeblich schlechte Beschaffenheit jener Lieferungen nicht gegründet werden konnte2. Nur aus dem späteren Verhalten des Klägers konnte der Beklagte den Grund zum Rücktritte vom Vertrage entnehmen; er mußte daher abwarten, wie die ferneren Lieferungen ausfallen würden. Eine Präsumtion dafür, daß, weil die früheren Lieferungen schlecht waren, auch die späteren schlecht sein würden, bestand nicht, im vorliegenden Falle aber war dies nicht einmal als wahrscheinlich zu erachten, da die früheren Lieferungen altes Bier zum Gegenstande hatten, während es sich bei den späteren Lieferungen nur um neues Bier handeln konnte. ...
Eine weitere Rüge beruht auf der Behauptung, daß die ursprüngliche Erfüllungsklage unstatthafter Weise in eine Klage auf Entschädigung wegen Nichterfüllung umgewandelt worden, übrigens auch Kläger seiner Pflicht, die Ware nach Art. 343 H.G.B. zu verkaufen oder aufzubewahren, nicht nachgekommen sei. In dieser Beziehung ist vorerst die Anschauung, von welcher der Appellrichter ausgeht, klar zu stellen.
Indem derselbe erklärt, es könne, nachdem inzwischen das Sudjahr abgelaufen sei, keine Rede mehr davon sein, den Bierabnahmevertrag zu erfüllen, giebt er klar zu erkennen, daß er davon ausgeht, Vertragsgegenstand seien nach dem Willen der Kontrahenten nur die ordnungsmäßigen Bierlieferungen innerhalb des bestimmten Sudjahres gewesen, so daß also spätere Lieferungen als Vertragserfüllung nicht in Betracht kommen könnten. Verträge dieser Art, bei welchen ausnahmsweise die Zeit der Erfüllung von wesentlicher Bedeutung ist, können auch außer dem Falle des Fixgeschäftes (Art. 357 H.G.B.) vorkommen - vergl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 5 Nr. 104 S. 437 - wenn der Vertragswille ersichtlich auf eine Stimulation dieses Sinnes gerichtet ist. In vorliegendem Falle hat der Appellrichter letzteres offenbar aus der besonderen Natur des Bierabnahmevertrages gefolgert, bei welchem darauf gerechnet ist, daß das Bier zur Zeit, für welche es gebraut ist, auch konsumiert werde, daß insbesondere eine Nachlieferung nach Beendigung des Sudjahres, also zur Zeit, wo der Wirt präsumtiv bereits einem anderen Brauer gegenüber verpflichtet ist, nicht mehr erfolgen werde.
Prüft man von diesem Standpunkte die Nichtigkeitsbeschwerde, so kann zunächst kein Zweifel darüber bestehen, daß der in Frage stehende Entschädigungsanspruch prozessualisch zulässig war. . . .
Was das Materielle der Sache anbelangt, so kann zunächst nicht davon die Rede sein, daß die nach Art. 334 H.G.B. getroffene Wahl in unstatthafter Weise geändert worden sei. Selbst vorausgesetzt, es sei der Fall des Art. 354 gegeben, und es hätte Kläger, das dort gewählte Wahlrecht ausübend, die Vertragserfüllung gewählt, so würde hieraus nicht folgen, daß er darauf verzichtet habe, im Falle später die Erfüllung durch Schuld des Beklagten vereitelt werden oder nicht erzwingbar sein sollte, Entschädigung wegen Nichterfüllung zu verlangen.
Allein der Fall des Art. 354, welcher Verzug des Käufers mit Zahlung des Kaufpreises voraussetzt, ist nicht einmal gegeben, jedenfalls aber gründet sich der geltend gemachte Entschädigungsanspruch nicht auf Ausübung des Wahlrechtes nach Art. 354, sondern darauf, daß der Beklagte die begehrte Erfüllung durch sein fortgesetztes vertragswidriges Verhalten unmöglich gemacht habe.
Für einen Fall dieser Art hat auch die Bestimmung des Art. 354, daß derjenige, welcher unter den dort gegebenen Voraussetzungen statt der Erfüllung Schadensersatz wegen Nichterfüllung wählt, diesen Schadensersatz durch einen unter Beobachtung der Vorschriften des Art. 343 vorzunehmenden Verkauf der Ware liquidieren müsse, keine Geltung, sind vielmehr nur die bezüglichen allgemeinen Principien maßgebend.
Allerdings hatte Kläger, sofern durch die Rücktrittserklärung des Beklagten in Verbindung mit dem Lieferungserbieten des Klägers ein Annahmeverzug begründet erscheinen konnte (Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 16 Nr. 107 S. 422) das Recht, die für den Beklagten bestimmten Bierquantitäten sofort nach Eintritt des Verzuges gemäß Art. 343 H.G.B. zu verkaufen, um sich der Sorge für deren Aufbewahrung zu entschlagen, allein es war dies nur ein Recht, keineswegs eine Pflicht, und könnte ihn wegen Nichtausübung dieses Rechtes umsoweniger ein Vorwurf treffen, als er bei der Eigentümlichkeit des Vertragsverhältnisses die in den verschiedenen Zeitpunkten für Rechnung des Beklagten zu verkaufenden Quantitäten Bier nur annäherungsweise schätzen, nicht aber mit einiger Sicherheit ermessen konnte.
Wenn geltend gemacht wird, Beklagter hätte, falls er nicht verkaufen wollte, jedenfalls der ihm durch Art. 343 auferlegten Verpflichtung zur Aufbewahrung der Ware genügen müssen, so ist zu bemerken, daß eine Verpflichtung, Bier für den Beklagten bereit zu halten, nur so lange bestehen konnte, als die Vertragserfüllung thunlich war. War die Zeit, binnen welcher allein im Sinne des Vertrages die Erfüllung möglich war, verstrichen, so brauchte Kläger für Bestellungen des Beklagten kein Bier mehr bereit zu halten. Eben deshalb erscheint es auch (abgesehen von der Schadensliquidation) völlig gleichgültig, ob und wie Kläger über die ursprünglich für den Beklagten bestimmten Quantitäten Bier anderweitig verfügte."