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RG, 23.03.1880 - IVa 767/80

Daten
Fall: 
Verpflichtung des zur Leistung einer Handlung Verurteilten bei subjektiver Unmöglichkeit der Leistung
Fundstellen: 
RGZ 2, 202
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
23.03.1880
Aktenzeichen: 
IVa 767/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • KreisG Salzwedel
  • Appellationsgericht Magdeburg

1. Inhalt der Verpflichtung des zur Leistung einer Handlung Verurteilten bei subjektiver Unmöglichkeit der Leistung.
2. Wird die Verpflichtung des Verkäufers, im Falle der Arglist oder des groben Versehens dem Käufer, welchem die Sache entwährt worden, das volle Interesse zu leisten, durch die Fassung des §. 155 1.5 A.L.R. ausgeschlossen?

Tatbestand

Der Kläger kaufte von dem Beklagten im Jahre 1873 eine Ackerparzelle, erhielt dieselbe übergeben und errichtete darauf ein Haus. In der Folge entstanden Differenzen unter den Parteien. Der Kläger konnte die Auflassung der Parzelle nicht erlangen. Die Ehefrau des Beklagten als Miteigentümerin des Ackerhofes, von dem die Parzelle abverkauft war, weigerte sich den Kauf zu genehmigen. In einem Vorprozesse erstritt 1876 der Kläger die rechtskräftige Verurteilung des Beklagten zur Auflassung der Parzelle. Dagegen wurde in einem von dem gegenwärtigen Beklagten und dessen Ehefrau wider den jetzigen Kläger ebenfalls im Jahre 1876 erhobenen Prozesse der jetzige Kläger als Beklagter rechtskräftig verurteilt, das Grundstück, soweit solches nicht mit Gebäuden von ihm besetzt worden, an den jetzigen Beklagten und dessen Ehefrau als Kläger gegen Rückzahlung des Kaufpreises herauszugeben. Das letztere Urteil wurde im Wege der Zwangsvollstreckung zur Ausführung gebracht. Die Ausführung des zuerst gedachten Urteiles konnte nicht erzwungen werden. Der Kläger liquidierte darauf im vorliegenden Prozesse sein Interesse, nämlich Ersatz des Betrages der Wirtschaftserschwernisse, die ihm als Besitzer der bebauten Areale durch die erzwungene Herausgabe des umliegenden Landes künftig entstehen würden.

In erster Instanz wurde die Klage abgewiesen, in zweiter Instanz der Anspruch auf das volle Interesse an sich für begründet erkannt und der Beklagte demgemäß verurteilt. Auf die Revision des Beklagten stellte das Reichsgericht das Urteil erster Instanz wieder her. Aus den Gründen:

Gründe

"Die Klage des Vorprozesses, in welcher der Kläger um Verurteilung des Beklagten zur Auflassung der ... Grundstücksparzelle gebeten hat, stellt sich als Klage auf Erfüllung des um die fragliche Parzelle geschlossenen Kaufvertrages dar. Der Klage ist stattgegeben und die Einrede des Beklagten, daß er zur Auflassung außer stände sei, weil seiner Ehefrau das Miteigentum an dem Grundstücke zustehe, ist verworfen worden. Der Appellationsrichter hat in dieser Hinsicht erwogen, daß ein Kaufvertrag dadurch, daß die verkaufte Sache nicht Eigentum des Veräußerers sei, keineswegs ungültig werde, wie sich aus den in den §§. 136 ff. A.L.R. I. 11 enthaltenen Vorschriften über die Gewährleistung wegen Ansprüche dritter Personen ergebe. Im Urteil dritter Instanz ist außerdem bemerkt, daß, wenn der Beklagte nicht imstande wäre, die Auflassung zu beschaffen, einer Entschädigungsforderung gegen denselben nichts im Wege stehen würde. Die Auflassung hat nicht erreicht werden können, und der Kläger verlangt mit der gegenwärtigen Klage ... sein Interesse. Dabei geht er davon aus, daß das an Stelle der zu leistenden Handlung tretende Surrogat, wenn seinem Gläubigerrechte Genüge geschehen soll, von gleichem Vermögenswerte sein muß, wie die Handlung selbst. Der Anspruch des Klägers auf das volle Interesse ist auch in dem Urteile zweiter Instanz ... für begründet erkannt worden.

Dieser Auffassung ist indeß nicht beizutreten ... Das A.L.R. enthält über die Folgen der subjektiven Unmöglichkeit der Vertragserfüllung - abweichend vom römischen Rechte - in den §§. 40-69 I, 5 und den §§. 153 ff. 1.11 Bestimmungen, nach denen ein Anspruch auf das volle Interesse keineswegs in allen den Fällen begründet ist, in welchen das Recht die Gültigkeit und Verbindlichkeit eines Vertrages anerkennt, der Vertrag aber wegen von Anfang an vorhanden gewesener Unmöglichkeit der Erfüllung unerfüllt bleiben muß. Daraus geht hervor, daß nach preußischem Rechte ein zur Vertragserfüllung verurteilendes Erkenntnis, wenn eine unmögliche Handlung Gegenstand der Vertragserfüllung und der dem Beklagten im Urteile gemachten Auflage ist, ergehen kann, ohne daß darum ein Anspruch des Klägers auf das volle Interesse begründet zu sein braucht. Und es muß weiter geschlossen werden, daß bei einem auf eine subjektiv unmögliche Handlung des Beklagten gerichteten Urteile die Frage, ob der Kläger das volle Interesse als Surrogat der Handlung zu fordern berechtigt ist, nur in der Art entschieden werden kann, daß das im Prozesse streitig gewesene Rechtsverhältnis darauf geprüft wird, ob sich aus demselben der Interesseanspruch rechtfertigt. - Die Anforderung, die näheren Bestimmungen für den Anspruch auf das Interesse aus dem streitig gewesenen Rechtsverhältnisse selbst herzunehmen, wird auch in dem Urt. d. Ob.-Trib.'s v. 30. Okt. 1871 ( Striethorst Arch. Bd. 84 S. 133 ff.) und in anderen Entscheidungen desselben Gerichtshofes (Entsch. Bd. 22 S. 160; Striethorst Arch. Bd. 52 S. 309, Bd. 71 S. 223) anerkannt.

Von dem eingenommenen Gesichtspunkte aus ist außer den oben angegebenen Entscheidungsgründen der den Beklagten zur Auflassung verurteilenden Erkenntnisse zweiter und dritter Instanz in Betracht zu ziehen, daß gleichzeitig mit dem erwähnten Prozesse ein zweiter Prozeß verhandelt und entschieden worden ist, in welchem der Beklagte und seine Ehefrau als Kläger gegen den jetzigen Kläger als Beklagten mit dem Ansprüche auf Rückgewähr des verkauften Grundstückes, soweit dasselbe nicht durch Inädifikation Eigentum des jetzigen Klägers geworden, aufgetreten sind und ein obsiegliches Urteil erstritten haben, das inzwischen zur Vollstreckung gelangt ist.

Werden diese beiden Urteile zusammengehalten, so ergiebt sich, daß der streitige Anspruch nach den in den §§. 136 ff. A.L.R. I. 11 enthaltenen Vorschriften beurteilt werden muß, welche die Verpflichtung des Verkäufers, den Käufer gegen Ansprüche Dritter auf die verkaufte Sache zu vertreten, und den Umfang der Verpflichtungen des Verkäufers bei gänzlicher oder teilweiser Entwährung der Sache bestimmen. Die Frage, ob danach der Fall der Entwährung für den Käufer einen Anspruch auf das volle Interesse überhaupt begründen kann, ist wegen der Fassung des §. 155 ebenda streitig. Die Kontroverse muß aus den dem Erk. des R.O.H.G.'s vom 8. Oktober 1874 (Entsch. Bd. 14 S. 226 ff,) beigegebenen Gründen (vgl. auch Urt. des Ob.-Trib.'s v. 30. Mai 1872, Striethorst Arch. Bd. 85 S. 181) dahin beantwortet werden, daß, wenn Arglist oder grobes Versehen auf Seite des Verkäufers beim Abschlüsse des Vertrages vorgelegen hat, das volle Interesse zu vergüten ist. Es fragt sich also, ob eine derartige dolose oder kulpöse Pflichtverletzung auf Seite des Beklagten vorhanden ist."

Hierauf folgt die Darlegung, daß unter den vorliegenden Umständen diese Frage zu verneinen sei.