RG, 04.06.1920 - II 361/14
1. Zum Begriff der "unrichtigen Angabe" im Sinne des § 3 UWG. ("Sardinen"; "norwegische Sardinen").
2. Fassung und räumliche Tragweite des Unterlassungsurteils.
Tatbestand
Die Klägerinnen betreiben Handel mit Sardinen und behaupten, daß das Wort Sardinen nur den an den atlantischen Küsten Frankreichs, Spaniens und Portugals sowie den im Mittelmeere gefangenen Fischen der Species clupea pilchardus gebühre. In Norwegen, an dessen Küsten der pilchardus nicht vorkomme, werde eine andere Art der Gattung clupea, nämlich der sprattus (Sprotte) gefangen, in ähnlicher Weise wie die französische sardine à l'huile in Öl und in kleinen Blechdosen verpackt und unter der unrichtigen Bezeichnung Sardine vertrieben. Die Beklagten brächten dieses Produkt in Deutschland in den Handel. Hierauf gestützt, erhoben die Klägerinnen Ende März 1912 Klage mit den Anträgen, den Beklagten bei Strafe zu verbieten. a) aus Norwegen stammende Fische unter der Bezeichnung "Sardines in Tomatoes" oder "in Tomato" in den Handel zu bringen, b) aus Norwegen stammende Fische in Dosen der überreichten Art feilzuhalten, die mit der Aufschrift "Sardines in Tomato(es)" und mit den darunter gesetzten Worten "Preserving Co. Nor Stavanger Norway" oder "Kopervik Norway" versehen sind.
Die Beklagten erwiderten, Sardine sei jedenfalls, jetzt eine allgemeine Bezeichnung für einen kleinen kopflosen, in Öl konservierten und in kleinen Dosen verpackten Fisch der verschiedenen Clupeaarten. In Norwegen werde der sprattus, dort Brisling genannt, dazu verwendet. Auch in andern Ländern, wie Deutschland, Rußland, Portugal, Spanien, Nordamerika, Chile, Indien, Japan und Neuseeland, bestehe eine große Sardinenindustrie. Die Arten der Fische seien überall verschieden, sie würden aber immer Sardinen genannt. Die Beklagten forderten daher widerklagend die Feststellung, daß sie berechtigt seien, norwegische Brislinge in konserviertem Zustand unter der Bezeichnung als norwegische Sardinen oder bei Hinzufügung des norwegischen Fabrikationsortes unter der Bezeichnung als Sardinen feilzuhalten und zu verkaufen.
Der erste Richter erkannte nach den Anträgen der Klägerinnen. In der Berufungsinstanz fügten die Beklagten der Widerklage noch den Eventualantrag hinzu, festzustellen, daß sie berechtigt seien, norwegische Brislinge in konserviertem Zustand unter der Bezeichnung als "Norwegian smokes sardines" in Deutschland feilzuhalten und zu verkaufen. Das Oberlandesgericht bestätigte jedoch das erste Urteil und wies auch den Eventualantrag der Widerklage ab. Die Revision hatte keinen Erfolg.
Gründe
... "Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist "Sardine" zoologisch und historisch die Bezeichnung für culpea pilchardus, und zwar sowohl für den lebenden Fisch wie für die Konserven, die aus diesem, in jüngerem Alter gefangenen, getrockneten und in Öl gelegten Fisch in kleinen geschlossenen Dosen hergestellt und als sardine à l'huile den Handel gebracht werden. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Fabrikation der clupea pilchardus zu Sardinen in Öl habe in Frankreich etwa 1820 begonnen; viele Jahrzehnte hindurch sei nur diese Ware unter der Bezeichnung sardines à l'huile bekannt geworden. Sie habe sich in diesen Jahren ihren Weltruf erworben und es sei bis etwa 1880 niemandem in den Sinn gekommen, unter sardines à l'huile etwas anderes als clupea pilchardus zu vermuten. Dieser Zustand sei unverändert geblieben, nachdem seit etwa 1870 auch Spanien und Portugal, an deren Küsten der pilchardus ebenfalls gefangen wurde, den Fang dieses Fisches und dessen gleiche Zubereitung aufnahmen. Wenn dort oder auch in Frankreich andere Fischarten in den Dosen verpackt und als Sardinen feilgehalten wurden, so sei das als Mißbrauch empfunden worden und habe die allgemeine Auffassung über die Bedeutung des Wortes Sardine nicht verändert. Seit etwa 1880 hätten die Norweger begonnen, dort gefangene Brislinge in Dosen in Öl zu legen und in zunehmendem Maße, zum Teil unter der Bezeichnung Sardiners, zu verbreiten. Es sei aber nicht erwiesen, daß dadurch die bis dahin bestehende Auffassung über die Bedeutung des Wortes Sardine sich dahin erweitert habe, daß nunmehr, d. h. zur Zeit der Erhebung der gegenwärtigen Klage, in Deutschland unter Sardinen allgemein Konserven von kleinen kopflosen, in Öl zubereiteten Fischen verstanden würden. Aus den gerichtlichen Gutachten gehe jedenfalls so viel hervor, daß der weitere Begriff des Wortes Sardine von sehr großen Kreisen nicht gebraucht werde. Vergegenwärtige man sich, wie viele Jahre hindurch das Wort Sardine unangefochten als mit clupea pilchardus gleichbedeutend angesehen und in welch verschwindend geringem Umfang es ohne Zusatz für aus Norwegen stammende Ware gebraucht wurde, so rechtfertige sich die Feststellung, daß die Beklagten, wenn sie ihre aus Sprotten hergestellte Ware Sardinen nannten, damit eine unrichtige Angabe über die Beschaffenheit oder den Ursprung der Ware machten. Die Ortsbezeichnung Nor Stavanger Norway oder Kopervil Norway auf den zu den Akten überreichten Dosen stehe nicht in Verbindung mit sardines, trete auch in Größe und Form hinter der Warenbezeichnung sardines zurück, die sich als die eigentliche Bezeichnung für die Beschaffenheit des Inhalts der Dosen darstelle. Die hierin liegende unrichtige Angabe sei bei der größeren Beliebtheit, dem höheren Werte und der durchschnittlich besseren Qualität der Sardine geeignet, den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen. Nach § 3 UWG. habe daher das Landgericht mit Recht der Hauptklage stattgegeben und den zweiten Teil der Widerklage abgewiesen.
Das Berufungsgericht prüft sodann die sonst noch mit der Widerklage in Anspruch genommenen Bezeichnungen "norwegische Sardinen" oder "Norwegian smoked sardines". Es bespricht die auseinandergehenden Meinungen der Sachverständigen, kommt aber auch hier zu einem den Beklagten ungünstigen Ergebnis. Sachlich beständen zwischen den beiden Fischarten die größten Unterschiede. Der norwegische Fisch sei goldgelb, der französische silbern; bei jenem hafte die dünne Haut am Fleische, bei diesem sei sie schuppig und leicht abzulösen; der französische Fisch habe fettes, saftiges Fleisch, der norwegische Fisch sei mager und trocken; der französische schmecke milde, der norwegische habe einen geräucherten Geschmack. Es sei kaum denkbar, daß das Publikum diese ihm doch gewohnten Eigenschaften der Sardine so preisgeben sollte, daß es mit dem gleichen Namen ein anderes, offenbar minderwertiges Fabrikat bezeichne. Der Händler, der das Interesse habe, möglichst viel abzusetzen, möge diese Wortbildung befördern; der Verbraucher, soweit er sich um die Qualität der Ware kümmere, werde sich schwer dazu entschließen. Die deutschen Fabrikanten, die Sprotten in Öl legten, hätten sich bislang gescheut, ihr Fabrikat "Deutsche Sardinen" zu nennen. Die bislang übliche Bezeichnung sei "geräucherte Sprotten in Öl". Aus Portugal und Spanien in Deutschland eingeführte und in Weißblechdosen verpackte Sprotten würden von deutschen Sardinenimporteuren als Sprotten bezeichnet. Man habe also in Händler- und Fabrikantenkreisen noch eine Empfindung für eine gewissenhafte Unterscheidung zwischen Sprotten und richtigen Sardinen. Die Beweisaufnahme habe ferner ergeben, daß weite Kreise der Konsumenten das Wort Sardine nur mit der aus Frankreich, Portugal oder Spanien stammenden Ware verbänden. Die beinahe zaghafte Art, in der die Norweger zu dem Worte Sardinen gelangt seien, indem sie von "geräucherten Sprotten in Öl" zu "Norsk rögede Sardines", von diesen zu "norwegische Sardinen" und von letzterem zu "Sardinen in Öl" übergingen, spreche dafür, daß auch sie die Bezeichnung als unnatürlich und für die Ware eigentlich nicht passend empfunden hatten. Den Beklagten zufolge würden "norwegische Sardinen", in großem Umfang über Hamburg exportiert. Es sei begreiflich, daß die billigere Ware mit dem schön klingenden Namen für den Vertrieb in Ländern mit weniger kritischem Publikum sehr geeignet sei. Die Exporteure würden deshalb dazu neigen, an der Bezeichnung "norwegische Sardinen" keinen Anstoß zu nehmen. Ihre Meinung sei aber kein Anzeichen für die Auffassung der deutschen Verbraucher. In diesen letzteren Kreisen sei die durch die Geschichte und die gewohnte Beschaffenheit der französischen Sardine begründete Auffassung noch so weit und so fest vertreten, daß keinesfalls festgestellt werden könne, daß der Verkehr die in sich unrichtige Bezeichnung "norwegische Sardine" der "geräucherte Sardine" für die unter dieser Bezeichnung vertriebene Ware angenommen habe.
Die Revision wendet ein, in der vorstehenden Begründung trete die Auffassung zutage, als ob der weitere Begriff der Sardine der Entscheidung nur dann zugrunde gelegt werden dürfte, wenn er bei allen deutschen Händlern und Verbrauchern gebräuchlich wäre. Das Berufungsgericht habe prüfen müssen, in welchem Sinne der größere Teil der Bevölkerung das Wort gebrauche. Nur das quotenmäßige Überwiegen der einen oder der andern Auffassung könne den Ausschlag dafür geben, welche Auffassung im Volke im allgemeinen herrsche. Dieser Angriff geht fehl. Richtig ist nur, daß es zur Anwendung des § 3 UWG. nicht genügt, wenn nur vereinzelte Personen eine von der allgemeinen abweichende Auffassung haben und daher zufolge der Angabe der Gefahr einer Täuschung ausgesetzt sind. Wohl aber genügt es, wenn dadurch ein Teil des Publikums getäuscht werden kann (vgl. RGSt. Bd. 44 S. 261; Urt des RG. (Zivilsenat) vom 7. März 1916 II 448/15 in Markenschutz und Wettbewerb Bd. 15 S. 355). Das stellt das Berufungsgericht im vorliegenden Falle fest, denn es sagt, daß ganze "Kreise" mit dem Worte Sardine den engeren Begriff verbinden. Auch läßt es deutlich erkennen, daß diese engere Auslegung gerade bei denjenigen Personen, auf die es ankommt, bei den Verbrauchern und Inlandshändlern verbreitet ist, während für das gegenteilige Verständnis die keinesfalls maßgebenden Exporteure eintreten. Schließlich kommt in Betracht, daß die Beklagten einen Wechsel der ursprünglichen Bedeutung behaupten. Solange nicht ein anderes klar erhellt, ist man in solchen Fällen berechtigt, bei dem Wortsinne stehen zu bleiben und anzunehmen, daß die Angabe diesem Wortsinn entsprechend auch von dem Durchschnittspublikum verstanden wird (vgl. RGSt. Bd. 40 S. 440 mit Nachw.)... .
Jedenfalls, meint die Revision, seien die mit der Widerklage verfochtenen Bezeichnungen "norwegische Sardinen" oder doch wenigstens "Norwegian smoked sardines" für zulässig zu erachten. Auch das kann nach den getroffenen Feststellungen nicht zugegeben werden. Wenn das Reichsgericht das Wort "Pilsener" in Verbindung mit einer außerpilsener Braustätte für unverleitlich erklärt hat, so beruht das auf der durch den Zusatz bewirkten Klarstellung, daß es sich nicht um eine Herkunfts-, sondern um eine Beschaffenheitsangabe handelt. Dagegen schließt die Bezeichnung "norwegische Sardinen" nur den Gedanken an "französische Sardinen", nicht auch den andern Gedanken aus, daß der in Norwegen konservierte Fisch eine wirkliche Sardine, clupea pilchardus, sei. Das liegt auch bei Norwegian smoked sardines nicht anders. Für allgemein bekannt hält das Berufungsgericht nur, "daß die mild schmeckende französische Sardine niemals geräuchert wird", nicht aber, daß der in Norwegen geräucherte und in kleinen Dosen mit Öl konservierte Fisch keine Sardine ist.
Endlich bemängelt die Revision die Fassung des Urteils: es zu unterlassen, die Fische unter den streitigen Bezeichnungen "in den Handel zu bringen" oder "feilzuhalten". Allerdings werden diese Worte in § 3 UWG. nicht gebraucht, vielmehr richtet sich dort das Verbot nur gegen das "Angabenmachen". Indessen liegt nur ein Unterschied in der Fassung vor. Die Beibehaltung der von den Vorinstanzen gewählten Fassung empfiehlt sich wegen ihrer Kürze sowie deshalb, weil sie mit Art. 274 Abs. 2 des Friedensvertrags übereinstimmt (vgl. Isay, private Rechte im Friedensvertrage S. 137). Beschwert werden die Beklagten dadurch nicht. Das Berufungsgericht, das absichtlich nur den deutschen Sprachgebrauch untersucht hat. wollte ihnen sicherlich nicht verbieten, Sprotten unter der Bezeichnung als "norwegische Sardinen" von Hamburg aus nach außerdeutschen Ländern zu exportieren, die mit dem Worte Sardine den weitergehenden Begriff verbinden. Die Revision glaubt das Gegenteil entnehmen zu müssen aus der Rechtsprechung zu § 4 PatG., wonach patentierte Gegenstände schon dadurch in den inländischen Verkehr gebracht werden, daß sie der Patentinhaber von dem inländischen Produktionsort aus nach dem Ausland ausführt (vgl. RGZ. Bd. 51 S. 139). Aber die für die Patentausübung und für den Wettbewerb in räumlicher Beziehung maßgebenden Gesichtspunkte sind nicht dieselben. Wenn die beanstandete Angabe auf inländische Personenkreise gar nicht berechnet ist und ihnen nicht zur Kenntnis kommt, so kann über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Angabe nicht das Urteil des Inlandes entscheiden. Das Gesagte wird zum Schutze gegen Mißverständnisse hinreichen."