RG, 18.06.1920 - II 65/20

Daten
Fall: 
Bedeutung des § 15 Nahrungsmittelgesetz
Fundstellen: 
RGZ 100, 39
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
18.06.192
Aktenzeichen: 
II 65/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Hamburg, Kammer für Handelssachen
  • Oberlandesgericht Hamburg

Welche Bedeutung hat die Vorschrift des § 15 des Nahrungsmittelgesetzes über die zwingend angeordnete Einziehung für die Frage, ob der Verstoß gegen § 12 das Rechtsgeschäft nichtig macht?

Tatbestand

Die Klägerin kaufte etwa 100 Ztr. Kaffee-Ersatz für 175 M den Zentner und erhielt 632 Sack als Kaffee-Ersatz von der Beklagten geliefert. Am 2. Dezember 1918 teilte der Magistrat zu Berlin der Klägerin mit, daß dieser von ihr zur Bestandaufnahme angemeldete Kaffee-Ersatz vom Medizinalamt der Stadt Berlin als "genußunfähig" erklärt worden sei, auch eine Kommission von Fachleuten ihn "als für die Ernährung völlig unbrauchbar" befunden habe. Die Klägerin benachrichtigte die Beklagte hiervon sowie von der seit dem 16. März 1918 erfolgten Beschlagnahme von 3000 kg mit Brief vom 5. Dezember 1918. Sie forderte fernerhin die Beklagte auf, die noch bei ihr vorhandene Ware, nämlich 3000 Kg, zurückzunehmen und ihr von dem gezahlten Kaufpreis 10830,30 M zurückzuzahlen, weil der geschlossene Kaufvertrag nichtig sei. Ausweislich des Gutachtens des Dr. J. verstoße der Kaffee-Ersatz gegen das Nahrungsmittelgesetz. Die Beklagte hat die Zurücknahme der Ware und die Zurückzahlung des Kaufpreises abgelehnt. Die auf letztere gerichtete Klage ist durch Urteil des Landgerichts abgewiesen worden.

Die Klägerin hat Berufung eingelegt und zur Begründung geltend gemacht, daß der Verkauf und die Lieferung des hier streitigen Produktes gegen das Nahrungsmittelgesetz und gegen die Kaffee-Ersatzmittelverordnung vom 6. Dezember 1919 verstoße und nichtig sei. Ferner sei die Beklagte auch wegen des Verstoßes gegen ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. zum Schadensersatz verpflichtet, der Ersatz aber bestehe in der Rückzahlung des für etwas Wertloses gezahlten Kaufpreises. Sie hat sich auf das Gutachten Sachverständiger dafür bezogen, daß die Ware auch gesundheitsschädlich und überhaupt kein Kaffee-Ersatz sei. Die Berufung der Klägerin ist zurückgewiesen worden. Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen

Das Berufungsgericht geht davon aus, daß ein Verkauf von Nahrungsmitteln, der gegen die Vorschriften der §§ 10 Nr. 2 und 11 des Nahrungsmittelgesetzes vom 14. Mai 1879 verstößt, nicht nichtig sei, weil das Verbot des Verkaufs nur gegen den einen der beiden Vertragschließenden, nicht gegen das Rechtsgeschäft als solches gerichtet und die angedrohte Einziehung der Ware nach § 15 in diesem Falle zwar zulässig, aber nicht zwingend geboten sei. Dagegen sei ein Verkauf, der gegen die Vorschrift des § 12 Nr. 1 verstoße, um deswillen als nichtig zu erachten, weil das dort ausgesprochene Verbot als gegen das Rechtsgeschäft selbst gerichtet anzusehen sei, da hier in § 15 die Einziehung der Ware zwingend vorgeschrieben werde. Das Berufungsgericht läßt daher die Entscheidung über die Nichtigkeit des Kaufvertrags über den Kaffee-Ersatz davon abhängen, ob sein Genuß die menschliche Gesundheit zu schädigen geeignet gewesen sei oder nicht (§ 12), und kommt zur Klagabweisung. weil es feststellt, daß sich aus dem Gutachten des Dr. J. ergebe, der Kaffee-Ersatz sei nicht gesundheitsschädlich gewesen.

Nur gegen diese tatsächliche Feststellung richten sich diese Angriffe der Revision, Es kann aber dahingestellt bleiben, ob die Annahme des Berufungsgerichts, daß der Kaffee-Ersatz nicht gesundheitsschädlich gewesen sei, ausreichend durch die Bezugnahme auf das Gutachten des Dr. J. begründet ist oder nicht, da schon der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts nicht gebilligt werden kann. Es ist nicht zutreffend, daß die Nichtigkeit des Geschäfts davon abhängt, ob die in § 15 vorgeschriebene Einziehung bei einem Verstoß gegen die Vorschriften der §§ 12 bis 14 zwingend vorgeschrieben oder bei einem Verstoß gegen die §§ 10 und 11 nach dem Ermessen des Richters zugelassen ist. Es ist daran festzuhalten, daß der Regel nach das Rechtsgeschäft im ganzen, der Vertrag als solcher nach § 134 BGB. nicht nichtig ist, wenn ein gesetzliches Verbot nur die eine Seite der Beteiligten in ihren Handlungen beeinflussen und vom Abschluß eines Vertrags abhalten will, und nur nichtig wird, wenn das Verbot sich gegen beide Teile richtet. Ein trotzdem geschlossenes Rechtsgeschäft soll regelmäßig der privatrechtlichen Wirksamkeit nicht schon darum entzogen sein, weil nur dem einen Teil dessen Eingehung untersagt ist. Diese Regel trifft aber sowohl dann zu, wenn der Verkauf des Kaffee-Ersatzes gegen §§ 10 und 11, als wenn er gegen § 12 des Nahrungsmittelgesetzes verstößt. Auch bei gesundheitsschädlichen Nahrungsmitteln ist nur das Verkaufen, Feilhalten und Inverkehrbringen, also lediglich die Tätigkeit der einen Vertragspartei, verboten und unter Strafe gestellt, nicht das Ankaufen seitens der anderen Vertragspartei.

Eine Ausnahme von dieser regelmäßigen Bedeutung eines nur die eine Vertragspartei treffenden Verbots ist auch nicht deshalb anzunehmen, weil die Rechtsfolge seiner Übertretung nicht nur Strafe, sondern auch Einziehung der Ware ist. Die Auffassung, daß aus diesem nur gegen den Verkäufer gerichteten Verbote dann wenigstens der Wille des Gesetzgebers zu entnehmen sei. das ganze Rechtsgeschäft sei rechtlich unwirksam, wenn gleichzeitig auch die Einziehung der Ware vorgeschrieben sei, wie sie in einigen Kommentaren vertreten wird (vgl. Rehbein, Erl. I 2. 3 zu § 134; Planck. Anm. 2 b zu § 134; Staudinger, Anm. 5 c), kann nicht als richtig anerkannt werden. Eine nachträgliche, nach dem Ermessen des Richters zulässige Einziehung kann unmöglich die Wirkung haben, das Geschäft rückwirkend von Anfang an nichtig zu machen. Aber auch eine zwingend vorgeschriebene Einziehung berechtigt noch nicht zu dem Schluß, daß das ganze Rechtsgeschäft unwirksam sein solle. Die Einziehung bringt den Verlust des Eigentums und wird verhängt entweder als Strafe für denjenigen, der ein Verbot übertreten hat, oder als präventivpolizeiliche Maßnahme und hat mit der Frage, ob ein Rechtsgeschäft über die einzuziehende Ware von vornherein der Rechtswirksamkeit entbehrt, überhaupt nichts zu tun. So ist z. B. nach § 15 BVO. gegen Preistreiberei vom 8. Mai 1918 die Einziehung der Gegenstände in den Fällen des § 4 zulässig, wo sich das Verbot der Überschreitung der Höchstpreise nach Nr. 1 ebenfalls nur gegen den Veräußerer richtet und den Erwerber straffrei läßt; hier aber ist anerkanntermaßen das Geschäft nicht nichtig (RGZ. Bd. 88 S. 250, Bd. 98 S. 294) und wird es auch nicht rückwirkend dadurch, daß von der Einziehungsbefugnis bes. § 15 BVO. Gebrauch gemacht wird. Es ist auch nicht richtig, daß bei zwingend vorgeschriebener Einziehung der Gegenstand von vornherein durch das Gesetz dem Verkehr entzogen sei und daher das Rechtsgeschäft sich auf einen verkehrsunfähigen Gegenstand richte. Denn die Einziehungsverfügung im Urteile hat nicht deklarativen Charakter in dem Sinne, daß sie eine schon vorhandene Verkehrsunfähigkeit, ein vorliegendes Verfallensein an den Staat nur feststellt, sondern konstitutive Wirkung, indem sie erst ein Verfallensein und eine Eigentumsentziehung begründet. Vorher, und namentlich bei verbotswidriger Eingehung eines Vertrags, war der Gegenstand noch nicht beschlagnahmt und noch nicht dem Verkehr entzogen. Das Geschäft betraf daher bei seinem Abschluß nicht einen dem Verkehr entzogenen Gegenstand.

Auch sonst liegt kein Grund vor, dem Verbot aus § 12 des Nahrungsmittelgesetzes im Hinblick auf die privatrechtliche Wirksamkeit des Geschäfts eine andere Bedeutung beizulegen als den Verboten aus §§ 10 und 11 dieses Gesetzes. Insbesondere kann der Umstand allein, daß der Gegenstand bei seinem Genusse geeignet ist, die menschliche Gesundheit zu beschädigen, noch nicht dazu führen, das über ihn abgeschlossene Rechtsgeschäft dann für unwirksam zu erklären, wenn der Gegenstand vom Käufer oder vom Verkäufer zum Nahrungs- oder Genußmittel bestimmt war. Denn nichts hindert den Käufer, diese ursprüngliche Bestimmung der Ware zu ändern, womit dann jeder rechtspolitische Grund dafür entfiele, das abgeschlossene Geschäft für nichtig zu erklären. Anders läge es nur, wenn beide Teile sich bei dem Vertragsschlusse der Gesundheitsschädlichkeit der Ware bewußt gewesen wären und aus diesem Grunde das Geschäft etwa nach S 138 BGB. als unsittlich und deshalb nichtig angesehen werden müßte. Dieser Fall liegt aber nach den Feststellungen nicht vor.