RG, 19.06.1920 - I 5/20
1. Ist eine gothaische Gewerkschaft nach preußischem Rechte nichtig, wenn sie in Preußen Bergbau betreibt und daselbst einen Verwaltungssitz, in Gotha aber nur einen formellen Sitz hat?
2. Wann ist die Haftung des Verkäufers für Mängel im Recht beim Weltpapierhandel, insbesondere beim Kuxenhandel ausgeschlossen?
Tatbestand
Der Kläger kaufte von der Beklagten am 30. März 1911 100 Kuxe der Gewerkschaft Leo in Gotha zum Preise von 6507 M. Er mußte in den Jahren 1911 bis 1913 an Zubußen 22500 M zahlen. Mit der Klage fordert er von der Beklagten Rückzahlung des Kaufpreises und Ersatz der Zubußen. Der Klaganspruch wird darauf gestützt, daß die Gewerkschaft Leo nichtig sei, weil sie trotz ihrer Errichtung in Gotha zu ihrem Sitz die Stadt Hannover bestimmt habe, und daß weiter die Gewerkschaft sich im Zustande der Liquidation befinde, wovon der Kläger beim Abschluß des Kaufes nichts gewußt habe.
Das Landgericht gab der Klage zur Höhe des Kaufpreises statt; im übrigen schwebt die Sache noch in erster Instanz.
Das Oberlandesgericht wies die Berufung der Beklagten zurück. Ihrer Revision wurde stattgegeben aus folgenden Gründen.
Gründe
"Das Berufungsgericht hat den ersten Klagegrund, die behauptete Nichtigkeit der Gewerkschaft, für unbegründet erachtet. Hierin ist ihm zuzustimmen. Die Nichtigkeit der Gewerkschaft wurde vom Kläger im Anschluß an die Entscheidung RGZ. Bd. 92 S. 73 daraus hergeleitet, daß die Gewerkschaft in Gotha gegründet und daselbst vom Bergamte bestätigt worden sei, daß sie aber in ihrer Satzung zu ihrem Sitz nicht Gotha, sondern Hannover gewählt habe. Mit Recht hat das Berufungsgericht diesen Klagegrund zurückgewiesen. Es hat festgestellt, daß die Gewerkschaft nach ihrer Satzung ihren Sitz in Gotha und daneben einen Verwaltungssitz in Hannover hat. Daß derartige gothaische Gewerkschaften rechtsbeständig sind, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts. Nur für andersartig gebildete Gewerkschaften, für solche nämlich, die ihren Sitz nicht im bisherigen Herzogtum Sachsen-Koburg-Gotha haben, kann die - für Preußen in RGZ. Bd. 92 S. 73 bejahte - Frage der Nichtigkeit in den übrigen deutschen Ländern aufgeworfen werden. Die Gewerkschaft Leo aber hat ihren Sitz in Gotha. Daß sie daneben einen Verwaltungssitz in Hannover gewählt hat, ist zulässig und beeinträchtigt nicht ihre Rechtsbeständigkeit (J. W. 1918 S. 305 Nr. 8). Auch daß die Gewerkschaft in Gotha keine Verkaufsstelle, keine Bureauräume u. dgl. hat, würde nicht entgegenstehen. Übrigens ist § 108 des Gothaischen Berggesetzes v. 23. Oktober 1899, auf der die Entscheidung des Berufungsgerichts über den Sitz der Gesellschaft zunächst beruht, nicht revisibel. Es könnte freilich in Frage kommen, ob eine Vereinigung, die ein in Preußen belegenes Bergwerk betreibt und von einem in Preußen belegenen Orte aus verwaltet, nach preußischem Rechte ungeachtet einer entgegengesetzten Bestimmung der Satzung als in Preußen ansässig anzusehen ist - für welchen Fall die Gewerkschaft mangels Genehmigung durch die preußischen Behörden als in Preußen nichtig angesehen werden müßte. Diese Frage ist in der Entscheidung des Reichsgerichts J.W, 1920 S. 49 Nr. 12 zu 2 aufgeworfen, aber nicht beantwortet worden, weil es sich um einen nicht in Preußen, sondern in Hamburg geschlossenen Kauf handelte. Im allgemeinen gilt derjenige Ort als Sitz einer Vereinigung, der in der Satzung als Sitz bestimmt ist, und zwar trifft diese Regel auch dann zu, wenn es sich um die Wahl eines nur formellen Sitzes handelt. Nun kommt allerdings in Frage, ob jene Regel auch dann gilt, wenn die Bestimmung eines anderweitigen Sitzes nur zu dem Zwecke getroffen ist, um gesetzliche Beschränkungen desjenigen Staats, in welchem der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Betätigung der Vereinigung liegt, zu umgehen. Die preußische Gesetzgebung hat durch das Gesetz vom 23. Juni 1909 Vorsorge gegen derartige Umgehungen getroffen; dieses bestimmt, daß Gewerkschaften, die in einem andern Bundesstaat ihren Sitz haben, zum Erwerbe von Bergwerkseigentum der Genehmigung bedürfen. Diese Maßnahme ist als ausreichend für die Wahrung der preußischen Interessen angesehen worden; es könnte zu weitgehend scheinen, auch noch die Nichtigkeit der Gewerkschaft anzunehmen, wenn der außerpreußische Sitz nur ein formeller ist. Diese Frage bedarf hier jedoch keiner Entscheidung. Denn Voraussetzung ist immer, daß eine Umgehung der preußischen Bestimmungen wirklich bezweckt war. Dafür fehlt es hier an ausreichendem Beweise. Zwar ist es auffallend, daß die Gewerkschaft Leo am 8. Oktober 1905 auf Grund eines bei Ruhla belegenen Braun- und Eisensteinbergwerks zwischen zwei in Elgersburg und Langensalza wohnhaften Grubenbesitzern gegründet ist, daß zum Grubenvorstand ein in Hannover wohnender Bankier erwählt ist, daß dann schon am 13. November 1903 Kaligewinnungsverträge auf die Gewerkschaft übertragen und gleichzeitig jene beiden Grubenbesitzer - bis dahin die alleinigen Gewerken - wieder ausgetreten sind. Aber aus diesen Umständen kann doch nicht mit Sicherheit auf den Zweck einer Umgehung der preußischen Gesetze bei Gründung der Gewerkschaft geschlossen werden. Auch der preußische Minister für Handel und Gewerbe hat in seinem Erlasse vom 17. Januar 1908 anerkannt, daß sich in der Praxis die Feststellung, ob eine sog. Kaufgewerkschaft vorliegt, nur schwer treffen läßt (vgl. Brassert. ABG. 2. Aufl. § 94 S. 368 flg). ...
Den zweiten Klagegrund hat das Berufungsgericht als begründet angesehen. Es hat angenommen, daß dem Kläger Kuxe einer werbenden Gewerkschaft hätten geliefert werden müssen; daß aber die Gewerkschaft Leo sich im Zustande der Liquidation befunden habe, hiervon dem Kläger nichts bekannt gewesen sei, auch nicht, wie Beklagte behaupte, ein Handelsbrauch bestehe, nach dem ein Verkäufer von Kuxen nicht auf Grund solcher Tatumstände verantwortlich gemacht werden könne, deren Vorhandensein sich aus Veröffentlichungen über den Zustand der Gewerkschaft ergibt. Ob diesen Ausführungen beizustimmen ist, bedarf keiner Erörterung. Denn das Berufungsgericht hat Tatumstände außer acht gelassen, die ohne weiteres ergeben, daß auch der zweite Klagegrund hinfällig ist. Der Sachverständige hat darauf hingewiesen, daß Bohrunternehmer in der Regel Kuxe einer Gewerkschaft erwerben müßten, wenn sie von dieser den Auftrag erhalten wollten, Bohrungen für sie auszuführen. So liegt die Sache auch hier. Die Beklagte hatte ausgeführt: die Kuxe seien dem Kläger nicht etwa von der Beklagten aufgedrängt, sondern er habe sie ausdrücklich gewünscht; sein Interesse am Erwerbe dieser Kuxe sei erweckt worden durch den Wunsch, die Ausführung der Bohrungen der Gewerkschaft übertragen zu erhalten. Diese Behauptung ist vom Kläger, wie folgt, zugestanden: es sei nicht richtig, daß er die Kuxe gewünscht habe, sondern er habe sie nehmen müssen, weil er sonst die Bohrung nicht bekommen hätte. Damit ist der Sachverhalt klargestellt. Kläger mußte die Kuxe erwerben, weil ihm andernfalls die Bohrung nicht übertragen worden wäre. Geht man hiervon aus, so ergibt sich, daß der Kläger die Beklagte nicht für Mängel der Kuxe in Anspruch nehmen kann. Der Regel nach haftet zwar der Verkäufer für den normalen Inhalt des übertragenen Rechtes. Wird ein Wertpapier zur Kapitalanlage oder in spekulativer Absicht gekauft, so wird der Zweck, den der Käufer mit dem Geschäfte verfolgt, vereitelt, wenn das im Wertpapiere verkörperte Recht einen Mangel aufweist. Das soll nach dem Gesetzeswillen nicht zu Lasten des Käufers gehen, und deshalb ist bestimmt, daß die Gefahr des Vorhandenseins eines solchen - wenn auch unbekannten - Mangels vom Verkäufer zu tragen ist. Von dieser Regel gibt es aber in besonders gearteten Fällen Ausnahmen. Im vorliegenden Falle war die Sachlage so, daß der Zweck, den der Kläger mit dem Ankauf der Kuxe verfolgte, nicht vereitelt worden ist. Als der Kläger die Kuxe erworben hatte, ist ihm die Bohrung übertragen worden, er hat sie ausgeführt und hat dafür den Anspruch auf den bedungenen Bohrlohn erhalten. Hinzu kommt, daß, wenn die Bohrung den erhofften Erfolg gehabt hätte, sich gute Gewinnaussichten für die Gewerkschaft eröffnet hätten, deren Kuxe zur Zeit des Kaufes, wie der Kaufpreis ergibt, nur 65 M wert waren. Dann hätte unschwer die liquidierende Gewerkschaft wieder in ein arbeitendes Unternehmen umgewandelt werden können (vgl. Staub, HGB. § 307 Anm. 2 und 3). Wollte man bei solcher Sachlage einen Rückgriff des Käufers gegen den Verkäufer zulassen, so hätte ersterer auf Kosten des letzteren spekuliert. Hatte die Bohrung Erfolg, so erzielte er Gewinn durch Wertsteigerung der Kuxe und durch seinen Anspruch auf den Bohrlohn. Mißglückte die Bohrung, so hielt sich der Kläger für seine notwendigen Auslagen, den Kaufpreis der Kuxe, am Beklagten schadlos. Dieses Ergebnis erscheint unzulässig, auch wenn es vom Kläger beim Kaufe der Kuxe nicht bezweckt war. Der Kläger muß sich bei solcher Sachlage so ansehen lassen, als habe er die Kuxe ohne Einstehen des Verkäufers für Mängel gekauft, weil er entschlossen war, sie sich auf jeden Fall zu verschaffen.
Daraus folgt, daß der Anspruch des Klägers unberechtigt ist.
Keiner Erörterung bedarf es, ob diese Grundsätze auch dann Anwendung zu finden haben, wenn die Nichtigkeit der Gewerkschaft und somit der Kuxe vorliegt; denn eine Nichtigkeit der Gewerkschaft ist hier nicht gegeben." ...