RG, 19.06.1917 - III 25/17
Haben beim Tode eines von mehreren Mietern oder Pächtern dessen Erben ein Kündigungsrecht?
Tatbestand
Der Beklagte hat im Jahre 1915 die in seinem Hause zu Nürnberg zum Betrieb einer Kaffeewirtschaft eingerichteten Räume an J. Kl. und E. Z. bis zum Jahre 1925 um den anfänglichen Jahreszins von 11.000 M verpachtet. Kl. ist am 25. April 1916 gestorben. Die Kläger, seine Erben, kündigten die Pacht am 30. Juni 1916 auf 1. Oktober 1916, der Beklagte nahm die Kündigung nicht an.
Mit der Klage verlangten die Kläger die Feststellung der Beendigung des Vertragsverhältnisses der Parteien auf dem 1. Oktober 1916. Das Landgericht wies die Klage ab, das Berufungsgericht wies die Berufung zurück. Auf die Revision der Kläger ist das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen worden aus folgenden Gründen:
Gründe
"Das Bürgerliche Gesetzbuch hat nach § 569 im Falle des Todes des Mieters sowohl dessen Erben als dem Vermieter das Recht zur Kündigung des Mietverhältnisses unter Einhaltung der gesetzlichen Frist gewährt. Dasselbe Kündigungsrecht kommt auch beim Tode des Pächters dessen Erben zu, dem Verpächter dagegen ist es versagt (§§ 581, 596 BGB.). Durch die Einräumung dieses Kündigungsrechts ist das Bürgerliche Gesetzbuch im Anschluß an das Preußische Allgemeine Landrecht vom Standpunkte des gemeinen Rechtes und anderer Gesetzgebungen abgewichen, die dem Tode des Mieters oder Pächters keinen Einfluß auf den Bestand des Miet- oder Pachtverhältnisses gewährten. Der gesetzgeberische Grund des Kündigungsrechts war, wie die Entstehungsgeschichte erkennen läßt (Mot. II S.416, Prot. II S. 218 flg., KommissVer. S. 1281), die Erwägung, daß der Tod des Mieters oder Pächters vielfach eine tiefgreifende Veränderung der häuslichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit sich bringe, daß die gewährte Kündigungsbefugnis meist den Absichten der Parteien entspreche und daß die Befugnis in hohem Maße geeignet sei, zufällige Härten und Unbilligkeiten auszugleichen. Eine ausdrückliche Bestimmung für den Fall, daß mehrere Mieter oder Pächter gemeinschaftlich den Vertrag geschlossen haben, ist im Gesetzbuche nicht getroffen worden. Es wird zwar an den erwähnten Stellen der Entstehungsgeschichte der besondere Fall der gemeinschaftlichen Miete durch Ehegatten erörtert; die Entscheidung der Frage ist jedoch der Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen worden.
Das Berufungsgericht hat für den vorliegenden Fall das Kündigungsrecht der Erben des verstorbenen einen Pächters verneint und dargelegt: Der § 569 BGB. bezwecke die Lösung des ganzen Mietverhältnisses. Diese könne aber durch die Kündigung der Erben des einen Mieters nicht herbeigeführt werden, weil der überlebende Mieter ein Kündigungsrecht nicht habe und weil die Erben des andern das Kündigungsrecht nicht allein für sich ausüben könnten. Denn die Kündigung sei ein unteilbares Recht und könne, wie der Rücktritt (§ 356 BGB.), nur von allen und gegen alle Vertragsgenossen ausgeübt werden. Diese Darlegung entspricht der im Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung.1
Dieser ist jedoch nicht beizutreten.
Die Anwendung der für den Rücktritt in § 356 BGB. getroffenen Bestimmung ist nicht gerechtfertigt. Kündigung und Rücktritt sind begrifflich verschiedene Rechtshandlungen. Während die Kündigung das Schuldverhältnis für die Zukunft beendet, bedeutet der Rücktritt die Erklärung, daß das wirksam eingegangene Geschäft als nicht geschlossen zu erachten sei (BGB. Bd. 83 S. 400). Eine entsprechende Anwendung des in § 356 BGB. für den Rücktritt ausgesprochenen Grundsatzes der Unteilbarkeit der Rechtsausübung auf die Kündigung verbietet sich deshalb, weil dieser Grundsatz im Gesetze nur für bestimmte einzelne Rechtshandlungen, wie neben dem Rücktritt für die Wandelung, den Wiederkauf, den Vorkauf und für einzelne andere Fälle (§§ 1066 Abs. 2, 1082, 1258 BGB.) vorgeschrieben ist. So hat auch das Reichsgericht anläßlich der Beurteilung der Frage, ob das Anfechtungsrecht im Sinne von § 123 BGB. von mehreren Käufern oder Verkäufern nur gemeinschaftlich ausgeübt werden könne, die entsprechende Anwendung verneint (Jur. Wochenschr. 1907 S.301; RGZ. Bd. 56 S. 423).
Das zwischen mehreren Mietern oder Pächtern mit dem Vermieter oder Verpächter begründete Rechtsverhältnis ist ein einheitliches; die Gebrauchsüberlassung an erstere ist regelmäßig eine unteilbare Leistung. Die Lösung eines solchen Rechtsverhältnisses nach dem Tode eines der Mieter oder Pächter kann daher nur eine einheitliche in dem Sinne sein, daß das Rechtsverhältnis auch für den überlebenden Mieter oder Pächter beendet wird. Die Fortsetzung des Verhältnisses durch einen der Mieter oder Pächter ist auf der Grundlage des ursprünglichen Verhältnisses nicht möglich. Würde sie stattfinden, so wäre, ähnlich wie in dem RGZ. Bd. 86 S. 60 entschiedenen Falle, die Begründung eines neuen Vertragsverhältnisses anzunehmen. Aus dieser Einheitlichkeit des Rechtsverhältnisses in Verbindung damit, daß § 569 dem überlebenden Mieter das Kündigungsrecht nicht gewährt, folgt jedoch noch nicht, daß eine Kündigung durch die Erben des verstorbenen Mieters unzulässig sei. Denn es besteht die Möglichkeit, daß nach dem Inhalt des Vertragsverhältnisses den Erben die Rechtsmacht zustehe, auch mit Wirkung für den Überlebenden die Kündigung zu erklären, und daß sich dieser zu seinen Gunsten oder Ungunsten die Kündigung gefallen lassen müsse, auch selbst das Kündigungsrecht gewinne. Ob eine solche Rechtslage gegeben sei, ist nicht nach allgemeinen Grundsätzen, sondern nach den gesamten Umständen des einzelnen Falles unter Beachtung des dem § 589 BGB. zugrunde liegenden Rechtsgedankens, der besonderen Natur des Rechtsverhältnisses und der Parteiabsichten zu entscheiden, ohne daß eine tatsächliche oder rechtliche Vermutung für die eine oder andere Auffassung Platz greift.
Zunächst ist das zwischen den mehreren Mietern oder Pächtern begründete Rechtsverhältnis zu untersuchen, und zu erörtern, ob sich nicht hieraus das Recht der Erben auf die Kündigung mit Wirkung für den andern Vertragsgenossen ergebe. Nach der einwandfreien Annahme des Berufungsgerichts bestand zwischen beiden Pächtern ein Gesellschaftsverhältnis. Gemäß § 727 BGB wird die Gesellschaft durch den Tod eines der Gesellschafter aufgelöst, wenn sich nicht aus dem Gesellschaftsvertrag etwas anderes ergibt. Im Falle der Auflösung der Gesellschaft durch den Tod eines Gesellschafters würde bei Bejahung der Unkündbarkeit des noch bis 1925 dauernden Pachtvertrags sich die Auseinandersetzung über die Gesellschaft noch jahrelang hinausziehen. Möglicherweise lassen sich auch aus der Art der Beteiligung der einzelnen Gesellschafter an der Gesellschaft und deren persönlicher und wirtschaftlicher Lage Schlüsse daraus ableiten, ob die Erben im Hinblick auf die gebotene gegenseitige Rücksichtnahme zur Kündigung mit Wirkung für den überlebenden Mitpächter befugt seien. Man denk an den Fall, daß die Erben kleine Kinder sind, während der Erblasser ein betriebsamer, tüchtiger Mann war, der gerade für die Ausübung des geschlossenen Gesellschafts- und Pachtvertrags besonders sachkundig und geeignet war. Weiterhin bedarf das Pachtverhältnis selbst einer Prüfung dahin, ob sich nicht aus dessen Gesamtumständen ein auch gegen den Verpächter wirksames Kündigungsrecht der Erben ergebe. Die Pacht gehört zu den Verträgen, die in besonderem Maße den Grundsätzen von Treu und Glauben unterworfen sind. In mannigfacher Beziehung muß bei der Pacht als einem auf eine gewisse Dauer eingegangenen Rechtsverhältnis der Veränderung der Umstände Rechnung getragen werden. Eine solche besonders schwerwiegende Veränderung bringt gerade der Tod des Mieters oder Pächters mit sich. Die hierauf beruhende Vorschrift des § 569 BGB. ist dazu bestimmt, Härten und Unbilligkeiten auszugleichen. Von diesen Gesichtspunkten aus ist zu erwägen, ob nicht auch der Verpächter, insbesondere wenn er das Verhältnis der mehreren Pächter unter sich kennt, die Lösung der ganzen Pacht sich ansinnen lassen müsse.
Da das Berufungsgericht bisher den Sachverhalt nach den besprochenen, für die Entscheidung erheblichen Richtungen noch keiner Erörterung unterzogen hat, so war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen."
- 1. Planck zu § 569 Anm. 3; Oertmann das. Anm. 2; Staudinger das. Anm. II 3; Enneccerus II S. 377; Dernburg II 2 S. 202; Crome S. 583; Mittelstein, Miete 3. Aufl. S. 62, 452; Arnold, Miete S. 127; Brückner das. S. 133; Niendorf das. S. 374; abweichend Fuld. Miete S. 157; Fränkel, Miete S. 65; Kahlenbach, BGB. zu § 569; vgl. auch Seufferts Archiv Bd. f. Rechtsanwendung 77 S.161.