RG, 29.11.1920 - VI 213/20
1. Gilt die Beschränkung der BRV. vom 20. Mai 1915 (RGBl. S. 292) auf Rechtsfolgen, die nach dem 31. Juli 1914 eingetreten sind, auch für den Bereich der Hypothekenverordnung vom 8. Juni 1916 (RGBl. S. 454) ?
2. Sind Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung Rechtsfolgen im Sinne dieser Hypothekenverordnung ?
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem für die Beklagte eine Hypothek von 65000 M eingetragen ist. Auf diese sind 2500 M bezahlt. Die ihr zugrundeliegende notarielle Schuldurkunde vom 14. Januar 1911 besagt in § 4:
"Die Zinszahlungen und die Rückzahlung des Kapitals seitens des Schuldners haben zum festen Kurse von 123,50 M Schweizerfranken für je 100 Reichsmark zu erfolgen, zu welchem Kurse auch die Auszahlung des Kapitals an uns erfolgt ist. Die Eintragung dieser Bestimmung in das Grundbuch soll nicht erfolgen".
Nachdem die Beklagte im Februar 1914 wegen rückständiger Raten und Zinsen die Anordnung der Zwangsversteigerung und durch Beschluß vom 4. August den Beitritt zu dieser wegen des Kapitals erwirkt hatte, hinterlegte der Kläger 62500 M und erhob Klage auf Erteilung einer löschungsfähigen Quittung sowie Herausgabe des Hypothekenbriefs. Er ist der Auffassung, daß die Beklagte auf Grund des § 4 der Schuldurkunde 100 M für je 123,50 Fr zu beanspruchen habe. Die Beklagte hingegen bestritt den Standpunkt, für je 100 M habe ihr der Kläger in Zürich 123,50 Fr zu zahlen, und hat widerklagend beantragt, ihn dementsprechend zu verurteilen.
Das Landgericht hat zwischen dinglicher und persönlicher Haftung unterschieden und 1. auf die Klage hin die Beklagte verurteilt, Zug um Zug gegen Zahlung von 62500 M dem Kläger Löschungsbewilligung zu erteilen, 2. auf die Widerklage den Kläger als persönlichen Schuldner verurteilt, an die Beklagte zu zahlen:
a) 83033,70 Schweizerfranken nebst 5 % Zinsen von 77187,50 Fr seit 1. April 1919 oder denjenigen Betrag in Mark, der sich für obige Frankensumme nach dem am Tage der Zahlung geltenden Kurse ergibt,
b) 318,08 Fr nebst 4 % Zinsen seit 23. Mai 1919 oder diejenige Summe in Mark, die sich nach dem am Tage der Zahlung geltenden Kurse ergibt, abzüglich der zu 1 gedachten 62500 M.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, jedoch erkannt, daß von den zu 2 a und b genannten Beträgen 62500 M in Abzug zu bringen seien, und dem Kläger für die Zahlung der 77187,50 Fr oder derjenigen Summe, die sich nach dem am Tage der Zahlung ergebenden Kurse ergibt, eine Zahlungsfrist von einem Jahre, wegen der weiteren Beträge und der Zinsen eine solche von 6 Monaten bewilligt.
Das Berufungsurteil ist auf die Revision des Klägers aufgehoben worden aus folgenden Gründen:
Gründe
(Es werden zunächst die Angriffe der Revision, daß die Forderung der Beklagten auf Zahlung in Schweizerfranken der Schuldurkunde widerspreche und gegen die guten Sitten verstoße, verworfen. Sodann wird fortgefahren:)
... Der Kläger hatte weiter eingewandt, das Amtsgericht habe die Zwangsversteigerung des Grundstücks eingestellt; damit sei ihm eine Frist bewilligt und die Fälligkeit der Forderung der Beklagten beseitigt. Mangels Fälligkeit sei aber die Widerklage unzulässig.
Das Berufungsgericht hat diesen Einwand zurückgewiesen, da die Forderung der Beklagten schon vor dem 31. Juli 1914 fällig geworden sei, die Hypothekenverordnung vom 8. Juni 1916 aber dann nicht Platz greife, wenn die Rechtsfolgen bereits vor dem 31. Juli 1914 eingetreten seien. Andernfalls erlange der Schuldner einen Vorteil, den er ohne den Krieg nicht gehabt haben würde, und das habe der Gesetzgeber nicht gewollt; er habe nur den durch den Krieg verursachten Schwierigkeiten abhelfen wollen. Deshalb könne auch dem Eventualantrage des Klägers - der dahin ging, es solle im Urteile angeordnet werden, daß die Rechtsfolgen, die wegen der nicht rechtzeitigen Zahlung der seinerzeit fällig gewordenen Forderung der Beklagten eingetreten seien, als Fälligkeit des Kapitals, Erhöhung der Zinsen, Anordnung der Zwangsverwaltung sowie der Zwangsversteigerung, als nicht eingetreten gelten, daß auch eine Frist gemäß § 1 der Verordnung vom 8. Juni 1916 bewilligt werde - nicht stattgegeben werden. Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung seien im übrigen nicht zu den Verzugsfolgen zu rechnen, die "als nicht eingetreten gelten" könnten.
Hierzu rügt die Revision mit Recht, daß das Berufungsgericht die Bedeutung der Hypothekenzinsverordnung vom 8. Juni 1916 verkannt habe.
Die Bewilligung von Zahlungsfristen für eine Geldforderung war durch die Verordnungen vom 7. August 1914 (RGBl. S. 359) und 20. Mai 1915 (RGBl. S. 290) geordnet und betreffs der Zahlung des Kapitals einer Hypothek, Grundschuld oder der Ablösungssumme einer Rentenschuld durch die Verordnungen vom 22. Dezember 1914 (RGBl. S. 543) und 20. Mai 1915 (RGBl. S. 293) erweitert worden. Zur Beseitigung der Folgen der nicht rechtzeitigen Zahlung einer Geldforderung waren die Verordnungen vom 18. August 1914 (RGBI. S. 377) und 20. Mai 1912 (RGBl. S. 292) erlassen. Diese letzte erklärte Anordnungen betreffend Nichteintretens von Rechtsfolgen wegen Nichtzahlung oder nicht rechtzeitiger Zahlung einer Geldforderung dann für unzulässig, wenn diese Rechtsfolgen am 31. Juli 1914 bereits eingetreten waren. Diese Beschränkung ist aber durch die neue Verordnung vom 8. Juni 1916 über die Geltendmachung von Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden in Wegfall gekommen, die eine derartige Einschränkung nicht mehr enthält.
Die Begründung dieser Verordnung (Reichsanzeiger Nr. 137 vom 13. Juni 1916) besagt in ihrem Eingange, die Verhältnisse des Grundbesitzes hätten sich weiter verschärft. Um der vorhandenen Notlage abzuhelfen, bedürften die bisherigen Vorschriften in verschiedenen Richtungen der Ergänzung. Dabei erscheine es zweckmäßig, die neuen Vorschriften nicht im Wege einer Änderung der bisherigen Verordnungen zu treffen, sondern die in Betracht kommenden Rechtserleichterungen in einer das Gebiet des Realkredits erschöpfenden Verordnung zusammenzufassen. Hieraus ergibt sich, daß die Regelung der Materie ohne Rücksicht auf bereits bestehende Vorschriften neu, selbständig und erschöpfend erfolgen sollte. Wenn aber unter solchen Umständen eine Einschränkung in die Verordnung nicht aufgenommen worden ist, so ist für deren Bereich für sie überhaupt kein Raum. Dies geht auch unmittelbar aus § 19 der Verordnung hervor, der die Anwendung der Verordnung über die Folgen der nicht rechtzeitigen Zahlung einer Geldforderung vom 20. Mai 1915 (RGBl. S. 292), die in § 1 Abs. 2 die erwähnte Beschränkung enthält, für die in § 1 der vorliegenden Verordnung vom 8. Juni 1916 bezeichnete Ansprüche, zu denen auch der hier in Frage stehende gehört, ausschließt. Damit ist ausdrücklich ausgesprochen, daß die Einschränkung für die neue Verordnung keine Geltung besitzt.
Zu Unrecht macht aber die Revision geltend, auch die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung seien als Rechtsfolgen im Sinne des § 8 der Verordnung anzusehen. Die amtliche Begründung zu § 8 a. a. O. besagt, es entspreche schon der Absicht der bisherigen Vorschriften, die Beseitigung aller Verzugsfolgen, auch solcher, die auf Grund allgemeiner Vorschriften des bürgerlichen Rechtes einträten, zu ermöglichen. Eine Lücke habe sich darin fühlbar gemacht, daß gegenüber zahlreichen in Hypothekenurkunden vorgesehenen Verfallklauseln eine Beseitigung von Rechtsnachteilen nicht möglich sei. Oft trete nach den Vertragsbedingungen die vorzeitige Fälligkeit des Kapitals deshalb ein, weil die Zwangsverwaltung des Grundstücks eingeleitet sei oder weil die Zinsen einer im Range vorgehenden Hypothek nicht rechtzeitig gezahlt würden. In diesen Fällen habe die Verordnung über die Folgen der nicht rechtzeitigen Zahlung einer Geldforderung keine Anwendung finden können, da sie nur die Beseitigung solcher Rechtsnachteile zulasse, die darauf beruhten, daß der Schuldner den Gläubiger nicht oder nicht rechtzeitig bezahlt habe. Dem werde durch Ausdehnung der Vorschrift Rechnung getragen. Ergibt sich hieraus schon, daß lediglich Rechtsnachteile materieller, nicht prozessualer Natur als Rechtsfolgen im Sinne der Verordnung zu betrachten sind, daß also Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung keine Rechtsfolgen darstellen, so wird dies durch die Vorschrift des § 9 Abs. 3 a. a. O. bestätigt, in der ausdrücklich zwischen Rechtsfolgen und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen unterschieden und die vorläufige Einstellung der letzteren schon vor der Entscheidung über die Beseitigung der Rechtsfolgen zugelassen ist, wie denn auch die Aufhebung bereits erfolgter Vollstreckungsmaßnahmen in der Entscheidung, die die Beseitigung der Rechtsfolgen ausspricht, besonders anzuordnen ist.
Danach hat das Berufungsgericht die Anwendung der Verordnung vom 8. Juni 1916 auf den vorliegenden Fall zu Unrecht abgelehnt. Hiermit ist aber auch eine Prüfung der Rechtsfolgen der Fälligkeit der Forderung der Beklagten vom Standpunkte der Verordnung aus und ebenso ein Eingehen auf den Eventualantrag des Klägers zu Unrecht unterblieben.