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RG, 29.11.1918 - III 855/18

Daten
Fall: 
Vereinbarungen der Allgemeinen Ortskrankenkasse
Fundstellen: 
RGZ 94, 144
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
29.11.1918
Aktenzeichen: 
III 855/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Rechtliche Beurteilung von Vereinbarungen, die eine Allgemeine Ortskrankenkasse mit einer besonderen Krankenkasse hinsichtlich der Übernahme von Angestellten der letzteren trifft, bevor es feststeht, ob es zu einer Vereinigung beider Kassen oder zu einer Schließung der besonderen Krankenkasse kommen wird.

Tatbestand

Der Ehemann der Klägerin war Angestellter der Ortskrankenkasse der Schneider, Schneiderinnen und verwandten Gewerbe zu B., welche anläßlich des Inkrafttretens des 2. Buches der Reichsversicherungsordnung am 1. Januar 1914 geschlossen wurde. In ihrem "Pensionsregulativ" waren Ruhegehaltsansprüche für die Angestellten und Fürsorgemaßnahmen für deren Witwen und Kinder vorgesehen. Die Mitglieder der geschlossenen Kasse fielen der Beklagten als der zur Allgemeinen Ortskrankenkasse des neuen Rechtes ausgestalteten früheren Allgemeinen Ortskrankenkasse zu B. zu. R. wurde von der Beklagten nach Maßgabe ihrer vom Oberversicherungsamte genehmigten Dienstordnung ohne Anrecht auf Ruhegehalt oder Hinterbliebenenfürsorge angestellt. Nach dem Tode ihres Ehemanns verlangte die Klägerin von der Beklagten eine Witwenrente. Das Versicherungsamt und das Oberversicherungsamt erklärten den Anspruch für unbegründet. Hierauf erhob die Klägerin Klage mit dem Antrag auf Zahlung einer Rente von jährlich 840 M. Sie stützte ihn auf die Behauptung, daß in einer gemeinsamen Sitzung von Vertretern der Vorstände der Allgemeinen Ortskrankenkasse zu B. als Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Ortskrankenkasse der Schneider usw. und zweier anderer Ortskrankenkassen beschlossen worden sei, die Angestellten der Ortskrankenkasse der Schneider usw. sollten unter Aufrechterhaltung ihres Anspruchs auf Ruhegehalt und Hinterbliebenenfürsorge von der Beklagten übernommen werden. Mit diesen Abmachungen vom 2. Mai 1913 habe sich der Vorstand der Allgemeinen Ortskrankenkasse in dem an den Vorstand der Ortskrankenkasse der Schneider usw. gerichteten Schreiben vom 28. Mai 1913 ausdrücklich einverstanden erklärt.

Das Landgericht und das Kammergericht wiesen die Klage ab. Die Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Die Reichsversicherungsordnung bezweckte unter anderem die Leistungsfähigkeit der Versicherungsträger zum Vorteile der Versicherten zu steigern. Das sollte durch Beseitigung der vielen kleinen besonderen Krankenkassen, durch Schaffung großer und kapitalkräftiger Verbände und durch eine damit verbundene Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung erreicht werden. Diese Absicht wäre von vornherein vereitelt worden, wenn die neuen Rechtsgebilde gezwungen gewesen wären, sämtliche, Angestellte der von Amts wegen geschlossenen oder auf Beschluß ihrer Ausschüsse aufgelösten Krankenkassen zu übernehmen. Deshalb sah sich der Gesetzgeber genötigt, unter Voranstellung der öffentlichen Interessen in die der Kassenangestellten und in deren wohlerworbene Rechte in einschneidender Weise einzugreifen. Nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 302 RVO. und des Art. 32 EG. sollten ihre - nicht bereits früher ablaufenden - Verträge mit den bisherigen Kassen 12 Monate nach Mitteilung des ihnen unverzüglich bekannt zu gebenden Auflösungs- oder Schließungsbeschlusses enden (vgl. KommBer. zu Art. 32 EG., Drucks. des Reichstags 12. Leg.-Per. II. Sess. 1909/11 Nr. 1052). Damit war allen weiteren Ansprüchen der Angestellten, insbesondere solchen auf Ruhegehalt und Hinterbliebenenfürsorge, der Boden entzogen.

Sollte somit die Schließung oder Auflösung der für einzelne Gewerbezweige bestehenden besonderen Kassen die Regel bilden, so sah das Gesetz doch ausnahmsweise, nämlich wenn sie den Anforderungen der §§ 240 bis 242 RVO. genügten, auch die Möglichkeit ihrer weiteren Zulassung (§ 239 a. a. O.) und in diesem Falle zugleich die ihrer Vereinigung mit der Allgemeinen Ortskrankenkasse ihres Bezirkes zu einem beliebigen Zeitpunkte vor (§ 268 a. a. O.). Erfolgte ein solcher Zusammenschluß, so ging die bisherige besondere Kasse nicht - wie bei ihrer Schließung oder Auflösung - als Rechtssubjekt unter, sondern fand in der aufnehmenden Kasse eine Rechtsnachfolgerin, auf welche ihre gesamten Rechte und Pflichten übergingen (§ 288 RVO.) und welche deshalb auch gehalten war, die Beamten und Angestellten der aufgenommenen Kasse zu denselben oder zu gleichwertigen Bedingungen zu übernehmen (§ 290 RVO.).

Das war die künftige Rechtslage, welcher sich die Kassen gegenübersahen, deren Abgesandte sich in der Sitzung vom 2. Mai 1913 zur Beratung ihrer durch das demnächstige Inkrafttreten der Reichsversicherungsordnung bedingten Umbildung eingefunden hatten. Sie ließ es von vornherein ausgeschlossen erscheinen, daß die Allgemeine Ortskrankenkasse den Angestellten der kleinen Kassen mehr Rechte zuzugestehen beabsichtigt hätte, als das Gesetz ihnen gab, und daß sie sich in deren Interesse mit Verpflichtungen hätte belasten wollen, welche dem Geiste und dem Zwecke der Reichsversicherungsordnung zuwiderliefen. Beiden entspricht aber die - übrigens wesentlich auf tatsächlichem Gebiete liegende und rechtlich nicht zu beanstandende - Feststellung des Kammergerichts, daß die Versammlungsbeschlüsse hinsichtlich der Angestelltenübernahme nur für den Fall hätten gelten sollen, daß eine Vereinigung der Kassen nach Maßgabe der §§ 268, 280 flg. RVO. möglich wäre und zustande käme. Ausdrücklich unter der gleichen Voraussetzung wird in dem Briefe vom 28. Mai 1913 das Einverständnis der damaligen Berliner Allgemeinen Ortskrankenkasse mit den Versammlungsbeschlüssen vom 2. des genannten Monats erklärt. Anders als diese selbst konnte daher das erwähnte Schreiben von der Schneiderkrankenkasse nicht aufgefaßt werden. Eine Vereinigung der beiden Kassen ist jedoch nicht erfolgt und konnte auch nicht erfolgen, weil die Schneiderkrankenkasse ihren Antrag auf Zulassung wieder zurückzog und demnächst vom Oberversicherungsamte geschlossen wurde. Die Bedingung für das Wirksamwerden der Beschlüsse vom 2. Mai 1913 ist daher nicht eingetreten, so daß es ohne Belang ist, ob diese lediglich vorbereitender Natur waren oder - sei es bereits am 2. Mai 1913 oder infolge des Briefes vom 28. Mai - zu einem bindenden Abkommen zwischen der Ortskrankenkasse und der Schneiderkrankenkasse geführt hatten.

Auch der Erblasser der Klägerin ist, wie sein Verhalten zeigt, nicht der Ansicht gewesen, daß von der Schneiderkrankenkasse mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten ein Vertrag zu seinen Gunsten geschlossen worden sei. Denn er hat sich am 2. Januar 1914 von der Beklagten zunächst für sechs Monate auf Probe anstellen lassen und sich so der Gefahr ausgesetzt, nach deren Ablaufe wieder entlassen zu werden. Bei seiner demnächstigen endgültigen Übernahme hat er sich der Dienstordnung der Beklagten unterworfen, obgleich er wußte, daß diese ihm einen Anspruch auf Ruhegehalt und Hinterbliebenenfürsorge nicht einräumte. Daß er während seiner Dienstzeit jemals mit der Behauptung aufgetreten sei, er könne Rechte aus seinem früheren Anstellungsvertrag oder aus einem zwischen der Schneiderkrankenkasse und der Allgemeinen Ortskrankenkasse zu Berlin getroffenen Abkommen gegen die Beklagte herleiten, ist von der Klägerin nicht geltend gemacht worden." ...