RG, 29.11.1918 - III 277/18

Daten
Fall: 
Ruhegehaltsversprechen
Fundstellen: 
RGZ 94, 157
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
29.11.1918
Aktenzeichen: 
III 277/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Unterliegt das einem Dienstverpflichteten gegebene Ruhegehaltsversprechen der Formvorschrift des § 761 BGB?

Tatbestand

Der Ehemann der Klägerin war lange Jahre hindurch bis zu seinem Austritt am 1. Juli 1907 zuletzt als Braumeister im Dienste der Rechtsvorgänger der Beklagten zu 1, des Brauereiinhabers O. und dann der Aktiengesellschaft W. Br. Nach der Behauptung der Klage ist ihm einige Zeit vor dem Austritte mündlich die Zusage eines lebenslänglichen Ruhegehalts gegeben worden. Tatsächlich hat er auch ein solches bis 1. Oktober 1910 bezogen. Mit der Klage wird die Bezahlung des Ruhegehalts bis zum Tode des Ehemanns der Klägerin (10. Juni 1915) verlangt. Das Landgericht wies die Klage wegen mangelnden Beweises der Zusagen ab. Das Berufungsgericht wies die Berufung zurück, weil das Ruhegehaltsversprechen einen Leibrentenvertrag darstelle, der mangels der schriftlichen Form nichtig sei. Auf die Revision ist dieses Urteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden aus folgenden Gründen:

Gründe

... "Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Rechtsauffassung ausgeführt: wenn auch, wie dies schon in RGZ. Bd. 80 S.208 dargelegt sei, ein einem Angestellten gegebenes Ruhegehaltsversprechen für die Regel keinen Leibrentenvertrag begründe, so rechtfertige doch die Sachlage des vorliegenden Falles eine Ausnahme. Es handle sich nicht um die Zusage eines Ruhegehalts in einem Dienstvertrage, bei dem das Ruhegehalt als eine gehaltsgleiche Vergütung durch die Dienstleistungen noch zu erdienen und von diesen abhängig sei. Vielmehr sei das Ruhegehaltsversprechen gegen Aufgabe der Rechte aus dem Dienstvertrage zu dessen Ablösung erteilt worden, und es habe den Bediensteten ohne weiteres in die Rechte auf den Bezug des Ruhegehalts eingesetzt, ohne daß diese Rechte von Gegenleistungen des Bediensteten, insbesondere seinen Dienstleistungen, abhängen sollten.

Diese Ausführungen des Berufungsgerichts verkennen den Begriff und die Voraussetzungen des Leibrentenvertrags. Er ist ein eigenartiger Vertrag, der dem Versprechensempfänger ein Grundrecht auf eine Rente verschafft, aus dem sich die Ansprüche auf die einzelnen Bezüge ableiten. Wesentlich ist hierbei, daß dieses Grundrecht lediglich nach Maßgabe des Vertrags unabhängig und losgelöst von sonstigen Beziehungen und Verhältnissen der Parteien gewährt wird. Deshalb hat auch das Reichsgericht eine Leibrente dann verneint, wenn gemäß den Vereinbarungen der Parteien an Stelle ursprünglicher Schadensersatz- oder Erbansprüche lebenslängliche Renten festgesetzt wurden (RGZ. Bd. 89 S. 259; Bd. 91 S. 6); denn die wahre Grundlage dieser Rentenversprechen waren die schon vor dem Vertragsschlusse vorhandenen Ansprüche auf Schadensersatz und aus Erbrecht. Ähnlich verhält es sich mit dem einem Angestellten gegebenen Ruhegehaltsversprechen. Ein solches Versprechen wird dem Angestellten als Gegenleistung für seine Dienste gegeben. Hierbei ist es gleichgültig, ob das Versprechen während der Dienstzeit oder bei deren Ablauf erfolgt. Auch die nachträgliche Vergütung, selbst die für ursprünglich unentgeltliche Dienste, ist keine Schenkung (RGZ. Bd. 75 S. 327). Das Ruhegehaltsversprechen steht also in engem Zusammenhange mit dem Dienstverhältnis und wird nicht selbständig und unabhängig von den Dienstleistungen gewährt. Es widerstreitet auch durchaus der Verkehrsauffassung, derartige Ruhegehaltsversprechen als Leibrentenverträge aufzufassen, und der Verkehrsauffassung kommt, wie schon RGZ. Bd. 80 S 208 betont hat, für die Begrenzung des Begriffs dieser Verträge deshalb eine besonders wesentliche Bedeutung zu, weil nach der Begründung des Gesetzes die nähere Begriffsbestimmung der Wissenschaft und Praxis überlassen worden ist. Der vorliegende Fall läßt keine besonderen Umstände erkennen, die die Annahme eines Leibrentenvertrags rechtfertigen könnten. Das Ruhegehaltsversprechen ist auch dann eine nachträgliche Vergütung für die in langer Dienstzeit vom Erblasser der Klägerin geleisteten Dienste, wenn es ohne dessen weitere künftige Leistungen zwecks Ablösung des Dienstvertrags gegeben wird. Übrigens ergibt sich aus der von den Beklagten vorgelegten Urkunde vom 3. Juni 1907, daß der Erblasser der Klägerin bei seinem Austritt ein Wettbewerbsverbot auf sich genommen hat. Hiernach war das behauptete Ruhegehaltsversprechen kein Leibrentenvertrag und bedurfte nicht der gesetzlichen Schriftform." ...