RG, 23.11.1917 - III 217/17

Daten
Fall: 
Ausbietungsgarantie
Fundstellen: 
RGZ 91, 213
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
23.11.1917
Aktenzeichen: 
III 217/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG III Berlin
  • KG Berlin

Inhalt und Rechtswirkung einer Ausbietungsgarantie. Zum Grundsatze der Naturalrestitution. Begriff des Schadens.

Tatbestand

Der Klägerin stand auf einem Grundstück in Berlin-Reinickendorf, hinter der für eine Bank eingetragenen ersten Hypothek von 56.000, eine Darlehenshypothek von 11.000 M zu. Die Firma K. u. F., deren Alleininhaber jetzt der Beklagte ist, hatte sich laut schriftlicher Urkunde vom 17. Juli 1911 verpflichtet, "für den Fall, daß dieses Pfandgrundstück zur Subhastation kommen sollte, die Forderungen der Klägerin an Kapital, Zinsen und Kosten voll herauszubieten und der Gläubigerin für jeden Schaden, welchen sie durch die Nichterfüllung dieser Verpflichtung etwa erleiden sollte, aufzukommen". Dagegen hatte die Klägerin versprochen, "falls die Firma K. u. F. das Grundstück erstehen sollte, ihr oder ihrer Order unter Beibehaltung der Ausbietungsgarantie die dann noch im Besitze der Klägerin befindliche Hypothek zu den im Grundbuch eingetragenen Bedingungen weiter zu belassen, auch auf Kautionsbestellung zu verzichten". Der Beklagte wurde durch Schreiben der Klägerin vom 22. Oktober 1914 und vom 17. Mai 1915 von der auf Antrag der ersten Hypothekars am 31. Juli 1914 angeordneten Zwangsverwaltung des Grundstücks und von dem wiederum auf Antrag der ersten Hypothekarin am 14. Juni 1915 stattfindenden Zwangsversteigerungstermine benachrichtigt, je unter Hinweis auf seine Ausbietungsverpflichtung. Der Schlußsatz des Schreibens vom 17. Mai 1915 lautete: "wir richten hierdurch die Aufforderung an Sie, unsere Hypothekenforderungen und die der ersten Hypothekengläubigerin an Kapital, Zinsen und Kosten voll herauszubieten. Sollten Sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen, so müßten wir Sie für allen Schaden, der daraus entsteht, in Anspruch nehmen." Im Zwangsversteigerungstermine vom 14. Juni 1915 erschienen nur Vertreter der betreibenden ersten Hypothekarin und der Klägerin, der Beklagte nicht. Das einzige Gebot war das der Klägerin mit 57.000 M; zu diesem wurde ihr das Grundstück zugeschlagen. An die erste Hypothekarin und an Kosten hatte sie 7765,25 M zu zahlen; mit ihrer eigenen Hypothek sowie mit Zinsen vom 1. April 1914 bis 20. Juli 1915 im Betrage von 646,25 M fiel sie aus.

Die Ende Juli 1915 erhobene Klage fordert vom Beklagten, die Auflassung des Grundstücks entgegenzunehmen, Zug um Zug gegen die Auflassung 8411,50 M (= 7765,25 + 646,25 M) an die Klägerin zu zahlen und die Wiedereintragung der Darlehnshypothek von 11.000 M zu den alten Bedingungen zu bewilligen. Die Vorinstanzen haben den Beklagten verurteilt; seine Revision blieb ohne Erfolg.

Gründe

"Die Revision wendet gegen die Begründung des angefochtenen Urteils ein, der vom Berufungsrichter anerkannte Schadensersatz- (nicht Erfüllungs-) Anspruch könne zur Herstellung des Zustandes, den die Klage erstrebe und die Instanzurteile bewirken wollten, gar nicht führen. Der Beklagte sei nur zum Ausbieten der Hypothek, nicht zum Erstehen des Grundstücks verpflichtet gewesen. Die Klägerin habe das Grundstück vermöge der ihr obliegenden Schadensabweisungspflicht erworben und könne vom Beklagten nur den ihr dadurch, daß sie das Grundstück erwarb und behält, erwachsenen Schaden ersetzt verlangen. Ein solcher Schaden sei jedoch, was vom Berufungsrichter zu prüfen gewesen wäre, durch die infolge des Erwerbes des Grundstücks in dessen Wert erlangten Vorteile ausgeglichen.

Diese Angriffe gehen fehl.

Nach der vom Berufungsrichter über den Verlauf des Versteigerungstermins getroffenen Feststellung würde der Beklagte, wenn er in Erfüllung seiner Vertragspflicht die Hypothek der Klägerin voll herausgeboten hätte, zu diesem seinem Gebote das Grundstück zugeschlagen erhalten haben; die Klägerin hätte ihre Hypothek zu den alten Bedingungen stehen lassen. Eben dieser Zustand, der ohne die Vertragsverletzung des Beklagten (ohne den ihn zum Ersatze verpflichtenden Umstand) bestehen würde, wird durch das Berufungsurteil hergestellt. Die Revision verkennt, daß "das Prinzip der Wiederherstellungspflicht in erster Linie die Verpflichtung zur Naturalrestitution in sich schließt" (Motive zum Entwurfe des BGB. Bd. 2 S. 20, Kommissionsprotokolle Bd. 1 S. 296). daß § 249 BGB. den "Grundsatz der Naturalrestitution an die Spitze stellt" (Prot. Bd. 2 S. 512), und daß die Naturalrestitution durch das Berufungsurteil recht eigentlich erreicht wild. Die Klägerin und der Beklagte werden so gestellt, wie wenn dieser seiner Vertragspflicht nachgekommen wäre, nicht kraft eines eben infolge der Nichterfüllung des Beklagten nicht mehr möglichen Erfüllungsanspruchs, sondern kraft des richtig verwirklichten Schadensersatzanspruchs der Klägerin. Das Ergebnis dieser Verwirklichung des Schadenersatzanspruchs ist dem durch die Erfüllung erreichbaren Ergebnisse wirtschaftlich gleich; dieser Erfolg des Schadensersatzanspruchs ist gerade der von § 249 bezweckte. In den Rahmen der richtigen Naturalrestitution gehört auch, daß die Klägerin die Einwilligung zur Wiedereintragung ihrer Hypothek auf dem dem Beklagten gemäß dem Berufungsurteil aufgelassenen Grundstücke verlangt. Sie kann dies verlangen, nicht, wie der Berufungsrichter meint, weil die Wiedereintragung für den Beklagten weniger lästig ist als die Auszahlung des Hypothekenbetrags, sondern weil sie nach dem Vertrage vom 17. Juli 1911 verpflichtet war, ihre Hypothek auf dem vom Beklagten in Verfolg seiner Ausbietung erworbenen Grundstücke weiter stehen zu lassen, also Auszahlung des Hypothekenbetrags diesfalls gar nicht zu beanspruchen hatte; eine Klagforderung auf Auszahlung ihrer Hypothek neben dem Verlangen auf Übernahme des Grundstücks wäre eine Zuvielforderung gewesen. Die von der Klägerin verlangte und ihr zugesprochene Naturalrestitution war möglich geworden dadurch, daß sie das Grundstück selbst erstand. Dazu war sie durch § 254 Abs. 2 BGB. nicht verpflichtet (vgl. RGZ. Bd. 65 S. 61, Bd. 80 S. 161). Darüber, daß die Klägerin ihrerseits eine Ausbietungsverpflichtung gegenüber der ersten Hypothekarin hatte und deshalb bieten mußte, hat der Berufungsrichter nichts festgestellt. Wohl aber war die Klägerin auf dem Boden des Ausbietungsvertrags zwischen ihr und dem Beklagten diesem gegenüber zum Bieten auf das Grundstück und zum Erstehen desselben berechtigt. Sie tat damit das, was der Beklagte hätte tun sollen, und ermöglichte so erst dem seine Ausbietungspflicht nicht erfüllenden Beklagten die Erfüllung wenigstens seiner Naturalrestitutionspflicht. Diese Naturalrestitution ihrerseits dem Beklagten zu ermöglichen, war der Klägerin durch ihr dringendstes Interesse geboten. Denn im Falle des Erstehens des Grundstücks durch einen ihre Hypothek nicht ausbietenden Dritten lief sie Gefahr, jede Sicherheit aus dem Grundstücke zu verlieren, indem sie weder den Hypothekenbetrag aus einem baren Kaufgeld ausbezahlt erhielt, noch ihre Hypothek erhalten blieb. So wäre sie auf die persönlichen Ansprüche gegen den Schuldner ihrer hypothekarisch gesichert gewesenen Darlehnsforderung und gegen den Beklagten als den Schadenersatzpflichtigen beschränkt worden. Die Erhaltung der Sicherheit aus dem Grundstücke war aber gerade der offensichtliche Zweck des Vertrags vom 17. Juli 1911, und die Erfüllung des Vertrags hätte das Grundstrick in die Hand des Beklagten gebracht. Eben dies - den Vertragszweck zu erreichen und das Grundstück in die Hand des Beklagten zu bringen - beabsichtigte die Klägerin, als sie das Grundstück am 14. Juni 1915 erstand; schon im Juli 1915 hat sie die gegenwärtige Klage auf Naturalrestitution gegen den Beklagten erhoben. Es verstößt also gegen Treu und Glauben im Verkehr, wenn der Beklagte einwendet, die Erstehung des Grundstücks durch die Klägerin sei ihm gegenüber unberechtigt gewesen oder sei doch eine nur den Rechtskreis der Klägerin berührende Handlung. Diese Handlung war vielmehr eine durchaus vertragsmäßige, nämlich dem richtigen und redlichen beiderseitigen Vertragswillen entsprechende, um die spätere Ersatzerfüllung im Wege der Naturalrestitution vorzubereiten und zu ermöglichen. Ebenso unbegründet ist der Vorwurf, die Klägerin hätte wenigstens ihre Hypothek voll ausbieten sollen. Der Berufungsrichter meint, die Klägerin habe nicht weiter, als sie tat, zu bieten brauchen, nur um den vom Beklagten zu ersetzenden Ausfall zu verringern. Der Beklagte hatte aber keineswegs einen Ausfall zu ersetzen, sondern, wie es in der Urkunde vom 17. Juli 1911 lautet, "voll herauszubieten und für jeden Schaden, welchen die Klägerin durch die Nichterfüllung dieser Verpflichtung etwa erleiden sollte, aufzukommen." Um eine Verringerung des zu ersetzenden Ausfalls handelte es sich also nicht, sondern es handelte sich nur um die Vorbereitung der Naturalrestitution. Zu diesem Behufe aber war es gleichgültig, ob die Klägerin ihre Hypothek voll ausbot und dann vom Beklagten die Übernahme des mit ihrer Hypothek belasteten Grundstücks verlangte, oder ob sie ihre Hypothek nicht ausbot und die Übernahme des Grundstücks sowie Wiedereintragung ihrer erloschenen Hypothek forderte. Beides führt zu demselben Ergebnis.

Da hiernach der Anspruch auf Naturalrestitution begründet ist, kann eine Schadenaufmachung und Schadenberechnung im Wege einer Vergleichung der von der Klägerin verlorenen und der von ihr durch die Erstehung des Grundstücks erlangten Werte oder Geldbeträge überhaupt nicht mehr in Frage kommen. Die Klägerin wollte und will den im Grundstücke liegenden Wert eben nicht behalten, sondern im Wege der Naturalrestitution dem Beklagten zuführen. In keiner Weise passen daher die Entscheidungen RGZ. Bd. 80 S. 163, Jur. Wochenschr. 1912 S. 791, 1914 S. 756, welche die Frage der Vorteilsausgleichung in dem Falle behandeln, daß der in der Zwangsversteigerung mit gewissen Beträgen ausfallende Gläubiger das Grundstück ersteht und behält. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat zutreffend ausgeführt, der Vertrag habe auch die Sicherung der Klägerin gerade gegen einen Selbsterwerb des Grundstücks bezweckt, es sei darum ein Schaden, daß sie wegen der Nichterfüllung des Beklagten das Grundstück nun doch erwerben mußte; vermöge der Vertragsfreiheit könnten die Parteien bestimmen, was zwischen ihnen Schaden sei. Dieser Erwägung bedarf es nicht, soweit die dem einen Teile durch die Vertragswidrigkeit des anderen vertragswidrig erwachsene Vermögensänderung kraft des Grundsatzes der Naturalrestitution rückgängig zu machen und, wie hier, auf den vertragswidrigen Teil zurückzuleiten ist; denn insoweit ergibt § 249 unmittelbar, daß eine vertragswidrige Vermögensänderung ein durch Zustandswiederherstellung zu ersetzender Schaden ist. Erst wenn nach §§ 250, 251 die Entschädigung in Geld geleistet werden muß, greift jene Erwägung ein. In diesem Falle kann der Begriff des Schadens kein anderer sein, als im Falle bei Naturalrestitution. Zielte der Vertrag gerade auf Verhütung einer bestimmten Vermögensänderung, so ist die infolge Vertragsbruchs dennoch eingetretene Vermögensänderung unter allen Umständen ein Schaden, für den der Vertragsbrüchige Teil aufzukommen hat. Vorliegend sollte der Vertrag die Klägerin allerdings auch davor sichern, das Grundstück selbst erwerben zu müssen. Ihr vertragsmäßig kundgegebenes, vom Beklagten gerade vertragsmäßig zu wahrendes Interesse war darauf gerichtet, die Last dieses Grundstücks nicht auf sich zu nehmen. Deshalb versagt jede Verteidigung des Beklagten dahin, die Klägerin, welche auch sonst Grundstücke in der Zwangsversteigerung zu nutzbringender Verwertung übernehme, habe damit rechnen müssen, auch dieses Grundstück in der Zwangsversteigerung zu erstehen, auch sei für sie weder die Verwaltung noch die Nutzung noch der Verkauf des Grundstücks schwierig. Ebenso ist jede Berufung auf den ihr angeblich durch den Selbsterwerb zugeflossenen Vermögensvorteil auch außerhalb des Gebiets der Naturalrestitution ausgeschlossen, weil und solange sie das Behalten des Grundstücks und damit den angeblich in dessen Werte liegenden Vorteil von sich ablehnt." ...