RG, 23.11.1917 - III 241/17

Daten
Fall: 
Bestimmung einer Nachfrist
Fundstellen: 
RGZ 91, 164
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
23.11.1917
Aktenzeichen: 
III 241/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Lyck
  • OLG Königsberg

Genügt die bei der Bestimmung einer Nachfrist abgegebene Erklärung, daß der Erklärende sich für den Fall des Ablaufs der Frist den Rücktritt vorbehalte, der Vorschrift des § 326 Abs. 1. BGB.?

Tatbestand

Durch notariellen Vertrag vom 11. November 1911 verkauften die Kläger an Sch. ein Teilgrundstück mit der Abrede, daß die Auflassung sobald als möglich, spätestens bis zum 15. Mai 1912, erfolgen sollte. Sch. forderte durch Schreiben seines Rechtsanwalts vom 3. September 1912 die Kläger auf, ihm vertragsgemäß das Grundstück bis zum 1. Oktober 1912 aufzulassen, anderenfalls er sich vorbehalte, von dem Kaufgeschäfte zurückzutreten; durch Schreiben vom 10. Oktober 1912 erklärte er seinen Rücktritt vom Vertrage. Eine daraufhin von den Klägern gegen Sch. erhobene Klage auf Entgegennahme der Auflassung wurde abgewiesen und auf die Widerklage wurde festgestellt, daß der Kaufvertrag infolge des Rucktritts rechtsunwirksam sei. Das Urteil erlangte Rechtskraft, weil der jetzige Beklagte, der als Prozeßbevollmächtigter der Kläger mit der Einlegung der Berufung beauftragt war, die Berufungsfrist versäumte.

Die Kläger beanspruchen nunmehr von dem Beklagten einen Teil des Schadens, der ihnen angeblich durch dieses Verschulden erwachsen ist. In beiden Rechtszügen abgewiesen, legten sie Revision ein; diese hatte Erfolg.

Aus den Gründen

"Bei Prüfung der Frage, ob die Kläger durch die Versäumung der Berufungsfrist in dem Vorrechtsstreit einen Schaden erlitten haben, ist davon auszugehen, daß bei rechtzeitiger Einlegung der Berufung das Berufungsgericht die richtige, d. h. diejenige Entscheidung gefällt haben würde, welche das jetzt über den Schadensersatzanspruch erkennende Gericht für richtig hält (vgl. RG. III. 568/10 Jur. Wochenschr. 1912 S. 51; RG. Ill. 159/13 Seufferts Arch. Bd. 69 Nr. 40; RG. III. 100/17 vom 25. September 1917). Das ist auch der Standpunkt des Vorderrichters, wenn er auch statt der subjektiven Ansicht des über den Schadenersatzanspruch urteilenden Gerichts irrig für entscheidend erklärt, ob objektiv eine den Klägern günstige Entscheidung mit der Berufung zu erzielen gewesen wäre. Ihm ist aber darin nicht beizupflichten, daß bei rechtzeitiger Einlegung der Berufung eine Abänderung des Landgerichtsurteils zugunsten der Kläger nicht zu erwarten gewesen sei, weil dieses mit Recht den Rücktritt des Sch. für wirksam erklärt habe.

Das Schreiben vom 3. September 1912, worin der Rechtsanwalt des Sch. in dessen Namen die Auflassung bis zum 1. Oktober 1912 fordert, entspricht nicht den Anforderungen, die § 326 BGB. an die Bestimmung der Frist zur Bewirkung der Leistung stellt. Danach muß mit der Fristsetzung die Erklärung verbunden sein, daß der Erklärende die Annahme der Leistung nach dem Ablaufe der Frist ablehne. Diese Erklärung braucht zwar nicht dem Wortlaute des Gesetzes angepaßt zu sein, sie muß aber deutlich ersehen lassen, daß der Erklärende seinen Anspruch auf Erfüllung, den er nach § 326 Abs. 1 Satz 2 nach dem fruchtlosen Ablaufe der bestimmten Frist nicht mehr geltend machen kann, für den Fall nicht rechtzeitiger Leistung endgültig aufgibt. Daß der Säumige dieses aus der Erklärung unzweideutig ersehen kann, erfordert neben dem Wortlaute der Zweck der Vorschrift, im Interesse der Verkehrssicherheit eine klare Rechtslage durch die Fristbestimmung zu schaffen. Dem entspricht der Inhalt des Briefes vom 3. September 1912 nicht; denn dort ist nur gesagt, daß Sch., falls die Auflassung nicht bis zum 1. Oktober 1912 erfolgen sollte, "es sich vorbehält", von dem Kaufgeschäfte zurückzutreten. Sch. entscheidet sich also nicht schon jetzt dahin, daß er nach dem fruchtlosen Verstreichen der Frist die Entgegennahme der Auflassung ablehnen werde, sondern erklärt nur, er werde sich nach dem 1. Oktober 1912 darüber entscheiden, ob er die Auflassung noch entgegennehme oder von dem Vertrage zurücktrete.

Da schon aus diesem Grunde der Rücktritt des Sch. in dem Landgerichtsurteile des Vorrechtsstreits zu Unrecht für berechtigt erklärt ist und daher die Berufung gegen dieses Urteil Erfolg gehabt haben würde, ist das angefochtene Urteil aufzuheben, ohne daß es eines Eingehens auf die Frage bedarf, ob im Anschluß an die Rechtsprechung des V. Zivilsenats des Reichsgerichts (RGZ. Bd. 53 S. 75, Bd. 66 S. 431, Bd. 69 S. 106; Seufferts Arch. Bd. 61 Nr. 35; Jur. Wochenschr. 1913 S. 856) die Fristbestimmung auch deshalb für unwirksam zu erachten wäre, weil Sch. den Klägern weder einen Termin zur Auflassung bestimmt, noch ihnen die Bestimmung des Termins ausdrücklich überlassen und sich mit dieser Bestimmung im voraus einverstanden erklärt, noch auch sie aufgefordert hat, sich mit ihm innerhalb der Frist über den Auflassungstag zu einigen." ...