RG, 23.11.1917 - II 242/17
Kann die gesetzliche Regel, wonach eine Erhöhung der Leistungspflichten bei der offenen Handelsgesellschaft an die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter geknüpft ist, im Gesellschaftsvertrage wegbedungen werden? Genügt dazu schon die Bestimmung, daß Änderungen des Vertrags von einer gewissen Mehrheit beschlossen werden können?
Tatbestand
Die Klägerin unter I, Zuckerfabrik T. R. & Co., ist eine seit 1863 bestehende offene Handelsgesellschaft, der seit 1905 der Beklagte als Mitglied angehört. Nach dem Gesellschaftsvertrage war sie auf unbestimmte Dauer eingegangen; jedes Mitglied hatte für jeden übernommenen Gesellschaftsanteil 12 Morgen mit Rüben zu bestellen und die darauf gewonnenen Rüben an sie abzuliefern. In der Versammlung vom 11. Dezember 1913 wurde beschlossen, daß für den Anteil 16 Morgen bebaut und außerdem auch die Überrüben abgeliefert werden sollten; ferner wurde in einer Versammlung vom 3. Februar die Dauer der Gesellschaft bis zum 30. Juni 1930 festgesetzt. Für beide Beschlüsse stimmten die 64 Kläger unter II, die außer dem Beklagten den Mitgliederbestand der Gesellschaft ausmachten. Die Parteien stritten darüber, ob die Beschlüsse für den Beklagten verbindlich seien. Auf die Feststellung der Verbindlichkeit war die Klage, auf die der Unverbindlichkeit war die Widerklage gerichtet. Gegen die Ansicht, daß es der Einstimmigkeit sämtlicher Gesellschafter bedurft hätte, verwiesen die Kläger auf § 20 des Gesellschaftsvertrags: "nur bei Beschlüssen a) über Abänderung des Gesellschaftsvertrags ... ist eine Mehrheit von über 2/3, der Stimmen sämtlicher Mitglieder notwendig".
Während der erste Richter unter Abweisung der Klage nach der Widerklage erkannte, entschied umgekehrt das Oberlandesgericht im Sinne der Kläger. Die Revision des Beklagten hatte Erfolg.
Gründe
... "Im übrigen hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Vorschriften des § 707 BGB. oder des Art. 92 ADHGB., wonach die Gesellschafter die vereinbarten Beiträge nicht zu erhöhen brauchten, seien nachgiebiger Natur. Im vorliegenden Falle habe man etwas anderes vereinbart. Indem der Gesellschaftsvertrag Abänderungen des Vertrags mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Gesellschafter vorsehe, habe er auch die hier streitigen Änderungen erlaubt. Ohne Grund wolle das Landgericht Erhöhungen der Leistungspflichten von der Zustimmung aller Betroffenen abhängig machen. Das sei zwar für Gesellschaften m. b. H. in § 53 Abs. 3 GmbHG. sowie für Aktiengesellschaften in § 276 HGB. vorgeschrieben, lasse sich aber auf offene Handelsgesellschaften nicht entsprechend anwenden. Nach der allgemeinen Fassung des § 20 Nr. a des Gesellschaftsvertrags müsse vielmehr angenommen werden, daß alle Bestimmungen des Vertrags, soweit nicht zwingendes Recht entgegenstehe, durch Zweidrittelmehrheit geändert werden könnten.
Entgegen diesen Ausführungen bestreitet die Revision für Mitglieder einer offenen Handelsgesellschaft die rechtliche Möglichkeit, sich späteren, den Gesellschaftsvertrag abändernden Mehrheitsbeschlüssen im voraus zu unterwerfen. Mit Unrecht; die Zulässigkeit einer solchen Vereinbarung kann angesichts der Vertragsfreiheit und des § 317 BGB. nicht bezweifelt werden. Verfehlt ist es auch, wenn die Revision die Tatsache, daß eine Abmachung dieser Art hier stattgefunden hat, in Abrede nimmt. Wenn es heißt "für einen Beschluß über Abänderung des Gesellschaftsvertrags ist eine Mehrheit von Zweidrittel der Stimmen notwendig", so ist damit zugleich gesagt, daß bei Erreichung der erwähnten Mehrheit der Beschluß gültig sein soll. Eine Auslegung, wonach diese letzte Folgerung offen bliebe, wäre nur bei unerlaubtem Kleben am Wortlaut denkbar.
Gleichwohl muß der Revision stattgegeben werden, und zwar wesentlich aus den Gründen des ersten Richters. Es handelt sich nicht um entsprechende Anwendung des Rechtes der Aktiengesellschaften und Gesellschaften m. b. H. Vielmehr wird derselbe Gesetzesgedanke, der für jene Gesellschaftsformen sowie nach dem Urteile des erkennenden Senats (RGZ. Bd. 90 S. 403) für eingetragene Genossenschaften gilt, für die offenen Handelsgesellschaften durch Art. 92 ADHGB. (= § 707 BGB.) zum Ausdruck gebracht. Auch nach dieser Vorschrift soll nicht das Mehrheitsprinzip, sondern die Freiheit des einzelnen den Ausgangspunkt bilden. Gewiß ist das eine Vorschrift nachgiebiger Natur. Es steht den Gesellschaftern frei, ihre Unterordnung unter einen künftigen Mehrheitsbeschluß, wodurch die Beitragspflichten in bestimmter Richtung erhöht werden, schon im Gesellschaftsvertrage zu erklären. In dem Falle RG. II 648/13 (Gruchot Bd. 58 S. 965, Holdheim 1914 S. 152) war das z. B. geschehen. Im vorliegenden Falle aber haben die Gesellschafter nichts weiter getan, als daß sie in § 20 Nr. a des Vertrags Mehrheitsbeschlüsse über Abänderung des Gesellschaftsvertrags zugelassen haben. Das reicht nicht hin; es hätte auch der Wegbedingung der angeführten Gesetzesvorschrift bedurft. Da nach dieser Bestimmung die Frage der Beitragspflichten eine Sonderstellung einnimmt, kann die Zulassung von Abänderungsbeschlüssen nur auf die sonstigen im Gesellschaftsvertrage behandelten Gegenstände, wie die Organisation der Gesellschaft, die Inventur, die Aufnahme neuer und die Ausschließung alter Mitglieder, bezogen werden. Auch der Umstand, daß § 20 Nr. c des Vertrags "Beschlüsse über Beschaffung mehrerer Geldmittel außer dem Betriebskapital" erwähnt, beweist nicht, daß an Beschlüsse über Erhöhung der Beitragspflichten gedacht sein müßte; die Geldmittel können auch im Wege der Anleihe beschafft werden. Dazu kommt, daß die Angabe gewisser Grenzen verlangt werden muß, in denen sich der Erhöhungsbeschluß zu bewegen hätte; denn eine schrankenlose Unterwerfung des Schuldners unter den Willen des Gläubigers würde gegen die guten Sitten verstoßen (vgl. RGZ. Bd. 87 S. 265 flg.).
Verbleibt es somit dabei, daß eine Erhöhung der Beitragspflichten an die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter der Klägerin gebunden ist, so befindet sich diese in keiner schlimmeren Lage, als wenn sie, was dem Gegenstand ihres Unternehmens weit mehr entsprechen würde, eine Gesellschaft m. b. H. oder eine Aktiengesellschaft darstellte. Die §§ 212, 216. 276 HGB. sind eigens auf die Bedürfnisse der Rübenzuckerfabriken zugeschnitten, und dennoch verlangt § 276 für die nachträgliche Begründung wie auch, nach allgemein gebilligter Auslegung, für die Vermehrung der Leistungspflichten die Zustimmung aller betroffenen Aktionäre.
Hiernach mußte der Beklagte zustimmen. Seine Einwilligung oder Genehmigung war nicht nur erforderlich für den Beschluß vom 11. Dezember 1913, wodurch die Rübenbaupflicht von 12 auf 16 Morgen für den Anteil erhöht und die Ablieferung der Überrüben angeordnet wurde, sondern, wegen der jährlichen Lieferpflichten, auch für die am 3. Februar 1914 erfolgte Erstreckung der ursprünglich unbestimmten Dauer der Gesellschaft bis zum 30. Juni 1930. Nun hat er sich bei den Versammlungen durch seinen Bruder und Bevollmächtigten H. K., der das Gut von ihm gepachtet hatte, vertreten lassen. Daß dieser dem zweiten Beschlusse widersprochen hat, ist außer Streit und wird durch den Schluß des Versammlungsprotokolls vom 3. Februar 1914 bestätigt. Dagegen heißt es in dem Protokolle vom 11. Dezember 1913, der Statutenentwurf sei einstimmig angenommen worden. Indem sich die Kläger auf diese Urkunde stützen, behaupten sie im Gegensatze zum Beklagten, auch dessen Bruder habe damals zugestimmt. Ob das Berufungsgericht diese Behauptung durch das Zeugnis H. K.s für widerlegt betrachten will, ist nicht zu ersehen. Während daher im übrigen das erste Urteil wiederhergestellt werden muß, bedarf es insoweit der Zurückverweisung in die Instanz."