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RG, 25.11.1920 - VI 331/20

Daten
Fall: 
Reichsfuttermittelstelle
Fundstellen: 
RGZ 101, 20
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
25.11.1920
Aktenzeichen: 
VI 331/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG II Berlin
  • KG Berlin

Haftet die Reichsfuttermittelstelle, Geschäftsabteilung, Gesellschaft m.b.H. (Bezugsvereinigung der deutschen Landwirte) in Berlin für die Zahlungsfähigkeit eines Käufers, den sie einer Bezirkseinkaufsstelle, Gesellschaft m.b.H., zur Belieferung mit frischen Runkelrüben zugeteilt hat ?

Tatbestand

Die Klägerin, Bezirkseinkauf Hannover, Gesellschaft m.b.H., hat in der Zeit vom 5. März bis 24. August 1918 an die Firma G. & Co. in T. in zahlreichen Lieferungen frische Runkelrüben abgeführt. Die Lieferungen waren ihr von der Beklagten, der Reichsfuttermittelstelle, Geschäftsabteilung, Gesellschaft m. b. H. (Bezugsvereinigung der deutschen Landwirte), zugeteilt worden. Die Firma G. & Co. und deren Inhaber haben ihre Zahlungen eingestellt und sind mit einem erheblichen Teil des Kaufpreises im Rückstande geblieben. Für den Ausfall nimmt die Klägerin die Beklagte unter anderem mit der Behauptung in Anspruch, die Beklagte habe bei der Zuteilung gegen den Vertrag und gegen Treu und Glauben verstoßen und sich einer unerlaubten Handlung schuldig gemacht; denn sie habe die Zahlungsunfähigkeit der Firma G. & Co. gekannt oder sie wenigstens kennen müssen. Die Reichsstelle für Gemüse und Obst, Geschäftsabteilung, Gesellschaft m. b. H.. ist der Beklagten als Nebenintervenientin beigetreten.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin ist das Berufungsurteil aufgehoben worden.

Gründe

Das angefochtene Urteil geht davon aus, daß zwischen den Streitteilen kein Vertragsverhältnis, jedenfalls kein privatrechtliches, bestanden habe. Daher könne die Beklagte, meint das Urteil, nicht verpflichtet gewesen sein, sich um die Zahlungsfähigkeit der von ihr der Klägerin zur Belieferung zugewiesenen Firma G. & Co. zu kümmern. Sie habe der Klägerin lediglich vermöge ihrer Stellung in dem Bewirtschaftungsplan die Adressen angegeben, an die die Klägerin verkaufen konnte. Ein Zwang, an die genannte Firma zu liefern, habe für die Klägerin nicht bestanden. Sollte aber gleichwohl die Ablehnung der Lieferung nicht in dem freien Willen der Klägerin gelegen haben, dann sei die Lieferung nicht auf Grund einer vertraglichen Vereinbarung mit der Beklagten, sondern auf Grund der für die Bewirtschaftung erlassenen gesetzlichen oder behördlichen Anordnungen geschehen. Jedenfalls sei der Klägerin die Tätigkeit der Beklagten und ihre Stellung innerhalb der Durchführung der Bewirtschaftung bekannt gewesen, und sie habe schon deshalb nicht annehmen können, daß die Beklagte durch die Mitteilung ihrer Zuteilung mit ihr in ein vertragliches Verhältnis habe treten wollen. Welche Gesetze und behördlichen Anordnungen das Berufungsgericht dabei im Auge hat, ist dem Urteil nicht zu entnehmen.

Die Revision wendet sich in erster Linie gegen den Ausspruch, daß zwischen den Streitteilen kein Vertragsverhältnis, das der Beklagten Pflichten auferlegt habe, zustandegekommen sei. Auch wird um Nachprüfung ersucht, ob die Beklagte nicht nach § 839 BGB. hafte.

Über die Gründung der klagenden Gesellschaft, ihre Gesellschafter, die etwaige Beteiligung des Reichsfiskus ist von den Parteien im Laufe des Rechtsstreits nichts vorgetragen worden. Sie ist eine auf Grund des Gesetzes vom 20. April 1892 / 20. Mai 1898, also auf privatrechtlicher Grundlage errichtete Gesellschaft m. b. H. Auch die Beklagte ist nichts anderes, insbesondere ist sie keine Behörde (VO. über Futtermittel vom 10. Januar 1918, RGBl. S. 23, § 2, und BRV. vom 22. März 1918, RGBl. S. 146). Beide Parteien gehören zu den zahlreichen, der Aufsicht einer Zentralbehörde unterstellten kriegswirtschaftlichen Organisationen, denen im öffentlichen Interesse wichtige staatliche Aufgaben, vor allem hinsichtlich der Beschaffung des Heeresbedarfs und auf dem Gebiet der Volksversorgung, übertragen sind, und deren Angestellte nach der BRV. vom 3. Mai 1917 (RGBl. S. 393) ähnlich wie die Beamten für die Verletzung der ihnen übertragenen Pflichten strafrechtlich verantwortlich gemacht werden können (RGZ. Bd. 86 S.107). Ihre Verrichtungen und rechtlichen Beziehungen sind danach unter Umständen öffentlichrechtlicher Art, doch läßt die Gestalt, die ihnen das Gesetz gegeben hat, entnehmen, daß sie sich im allgemeinen in den Bahnen des bürgerlichen Rechts betätigen sollen. Der Gedanke, daß ihre Tätigkeit der privatrechtlichen Beurteilung oder der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte im Zweifel entzogen sei, ist von der Rechtsprechung des Reichsgerichts immer abgelehnt worden (RGZ, Bd. 91 S. 388).

Zwischen den Streitteilen steht als eine weitere derartige kriegswirtschaftliche Organisation die Nebenintervenientin, die - im Gegensatz zu der Verwaltungsabteilung der Reichsstelle für Gemüse und Obst - wiederum keine Behörde ist (BRV. über Gründung einer Reichsstelle für Gemüse und Obst vom 18. Mai 1916 §§ 1 - 3, RGBl. S. 391). Gleichwohl war ihr nach §§ 1 und 9 der VO. über Gemüse, Obst, Südfrüchte vom 3. April 1917 (RGBl. S. 307) unter anderem die Befugnis verliehen, über die Runkelrübenernte zu verfügen. Sie konnte sie an sich ziehen, aber sie konnte auch anderen den Handel mit frischen Rüben gestatten. Die Klägerin, die den Großhandel mit solchen Rüben betreiben wollte, mußte deshalb ihre Erlaubnis einholen. Deren Erteilung konnte an Bedingungen geknüpft werden. Mit der Nebenintervenientin stand die Beklagte in Verbindung, die im Bereich ihrer Geschäftsaufgabe unter anderem großer Mengen getrockneter Rüben bedurfte. Diese konnte sie sich dadurch verschaffen, daß sie frische Rüben kaufte und sie trocknen ließ. Sie konnte aber auch getrocknete Rüben erwerben und auf Grund ihrer Verbindung mit der Nebenintervenientin dahin wirken, daß die Trocknereien, von denen sie beziehen wollte, regelmäßig und ausreichend mit frischen Rüben beliefert wurden. Daß sie frische Rüben von der Klägerin gekauft habe, ist vom Berufungsgericht verneint und in der Revisionsinstanz nicht weiter geltend gemacht worden. Vielmehr hat sie der Klägerin gegenüber den zweiten Weg eingeschlagen. So kam es zu den Weisungen, auf Grund deren die Klägerin an die Firma G. & Co. geliefert hat.

Die Erteilung dieser Weisungen und deren Ausführung haben sich in den üblichen Formen des privatrechtlichen Verkehrs vollzogen. Daß sie zugleich dem öffentlichen Interesse dienten, ist nicht entscheidend. Dementsprechend ist auch der Klaganspruch nach bei hierfür maßgebenden Klagebegründung als privatrechtliche Forderung erhoben. Weder die Klägerin noch die Beklagte hat in dem Rechtsstreit Interessen des Staates vertreten. Beide sorgen nur für ihr eigenes Vermögen. Ein obrigkeitlicher Zwang ist von der Beklagten auf die Klägerin nicht ausgeübt worden. Das nimmt auch der Vorderrichter an. Es gibt weder eine Verordnung noch ein Gesetz, das der Klägerin vorgeschrieben hätte, auf Befehl der Beklagten oder der Nebenintervenientin an bestimmte Abnehmer frische Rüben zu verkaufen. Dieser Behauptung des Vertreters der Beklagten ist in der Revisionsverhandlung von dem klägerischen Vertreter nicht widersprochen worden. Nach alledem kann das Rechtsverhältnis, aus dem geklagt wird, nicht als ein öffentlichrechtliches angesehen werden.

Immerhin hat zwischen den Streitteilen eine rechtliche Beziehung bestanden. Die Weisungen der Beklagten, die die Klägerin zu so zahlreichen und nicht unbedeutenden Lieferungen an die Firma G. & Co. bestimmt haben, können nicht, wie das Berufungsgericht meint, rechtlich bedeutungslose "Adressenmitteilungen"gewesen sein, die trotz des Monate hindurch fortgesetzten geschäftlichen Verkehrs keine rechtliche Verknüpfung, keine vertragliche Bindung zur Grundlage oder zur Folge hatten. Daß dieses Band bisher nicht deutlicher vor Augen liegt, ist darauf zurückzuführen, daß der Vorderrichter den Grundlagen des Rechtsverhältnisses, der Gründung der klagenden Gesellschaft, den Bedingungen, die ihr bei der Erteilung der Erlaubnis zum Handel mit Gemüse erteilt wurden, und den von ihr damals der Nebenintervenientin gegenüber eingegangenen Verpflichtungen noch nicht nachgegangen ist. Geschieht das, dann kann sich möglicherweise ergeben, daß sich die Klägerin ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten aus freiem Willen vertragsmäßig verpflichtet hat, an die ihr von der Nebenintervenientin oder mit deren Ermächtigung von der Beklagten bezeichneten Abnehmer zu liefern, und daß umgekehrt von der Nebenintervenientin versprochen worden ist, der Klägerin ein gesichertes Absatzgebiet für ihre Rüben zu verschaffen. Auf diese Weise kann ein privatrechtliches Vertragsverhältnis nicht nur zwischen der Klägerin und der Nebenintervenientin, sondern auch zwischen ihr und der Beklagten entstanden sein. Sind dabei Verabredungen zwischen den Streitteilen über eine Haftung der Beklagten für die Zahlungsfähigkeit der einzelnen der Klägerin benannten Rübenabnehmer getroffen worden, dann hat es dabei sein Bewenden. Andernfalls sind die anzuwendenden Grundsätze der rechtlichen Beurteilung des Vertragsverhältnisses zu entnehmen. Welcher Art dieses ist, wird sich erst nach genauerer Feststellung des Sachverhalts zeigen. Da auf schuldrechtlichem Gebiete Vertragsfreiheit besteht, kann sich auch ein Vertragsverhältnis besonderer Art ergeben (vgl. Staudinger § 662 Anm. 4e, § 675 Anm. 2b; auch RGZ. Bd. 78 S. 239). Der Umstand, daß die Beklagte an der Ausführung ihrer Weisungen durch die Klägerin ein eigenes Interesse hatte, wird hierbei nicht ohne Bedeutung sein. Daß die Beklagte der Klägerin Lieferung "auf Kredit" aufgetragen habe, ist vom Berufungsgericht rechtsbedenkenfrei abgelehnt worden. Ob ein sonstiges Auftragsverhältnis oder eine Vermittlertätigkeit der Beklagten vorlag, wird für die Entscheidung des Rechtsstreits kaum einen rechtlich erheblichen Unterschied bedeuten. Denn wie zwischen dem Auftraggeber und dem Beauftragten ein Treuverhältnis besteht, das jenen zur Mitteilung ihm bekannter, den anderen Vertragsteil bei Ausführung des Auftrags gefährdender Tatsachen verpflichtet, so ist auch der Mäkler zwar an sich nicht zur Prüfung der Zahlungsfähigkeit des von ihm nachgewiesenen Käufers verbunden, aber er verstößt gegen seine Mäklerpflicht, wenn er die ihm bekannte Zahlungsunfähigkeit des Dritten seinem Auftraggeber verschweigt. Dabei kann es von Belang sein, ob die Beklagte ihre, wie behauptet wird, auf Bestechung ihrer Angestellten durch die Firma G. & Co. zurückzuführende Unkenntnis der schlimmen Vermögenslage dieser Firma durch Fahrlässigkeit verschuldet hat, und ob es wahr ist, daß sie noch nach dem 14. September 1918 einen Betrag von 50000 M an diese Firma bezahlt hat.

Die Behauptung einer vorsätzlichen Schadenszufügung durch die Beklagte (§ 826 BGB.) ist von der Klägerin im zweiten Rechtszuge nicht mehr aufgestellt worden. Auch die Anwendung des § 839 BGB. scheidet aus, weil nach dem Dargelegten als verletzt nicht eine Amtspflicht, sondern nur eine Vertragspflicht in Betracht kommen kann.

Dagegen wird nach Ausübung des Fragerechts (§139 ZPO.) unter Berücksichtigung der Entstehung der geschäftlichen Beziehungen zwischen den Streitteilen und des für ihre Beurteilung maßgebenden Briefwechsels einschließlich des Leitfadens, auf Grund dessen sich die beiderseitigen Beziehungen abgewickelt haben sollen, neuerdings zu prüfen sein, ob die Beklagte bezüglich der Zahlungsunfähigkeit der Firma G. & Co. entweder gegen ausdrückliche Abmachungen oder wenigstens gegen Treu und Glauben eine Erkundigungspflicht oder doch in Ansehung der Tatsachen, die sie kannte oder bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt kennen mußte, eine Anzeigepflicht verletzt und dadurch die Klägerin geschädigt hat. Zu diesem Zwecke muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.