RG, 25.11.1918 - VI 256/18
Tatbestand
Der Sachverhalt ergibt sich aus dem Urteile des erkennenden Senats vom 4. Februar 1918 Bd. 92 S. 153. Das Oberlandesgericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückgelangte, wies unterm 5. Juli 1918 die Berufung des Beklagten auch insoweit zurück, als der Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Jahresrente wegen Beeinträchtigung ihrer Erwerbsfähigkeit dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt war. Die Revision des Beklagten blieb ohne Erfolg.
Gründe
"Es handelt sich im gegenwärtigen Rechtsstreite nur noch um die Entscheidung der Frage, ob der von der Klägerin geltend gemachte Rentenanspruch in Höhe von 4000 M Jahresrente verjährt ist oder nicht. In dieser Hinsicht hat das Oberlandesgericht unter Beachtung des in dem reichsgerichtlichen Urteile vom 4. Februar 1918 eingenommenen Rechtsstandpunktes folgendes ausgeführt:
Die zweijährige Verjährungsfrist des § 8 HaftpflG. für den Unterhaltsanspruch der Klägerin lief zunächst vom Tage des Unfalls, dem 5. Oktober 1910, bis zur Erhebung der Klage des Vorprozesses seitens des verstorbenen Ehemanns der Klägerin, also bis zum Februar 1911. Die nunmehr eingetretene Unterbrechung der Verjährung dauerte bis zur Rechtskraft des Urteils des Vorprozesses, nämlich bis zum 3. März 1913. Von da ab bis zu dem im September 1915 erfolgten Tode des Ehemanns der Klägerin war die Verjährung gehemmt. Denn da der Ehemann der Klägerin mit seinem im Vorprozesse gestellten Antrag, festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet sei, denjenigen Schaden zu ersetzen, der aus der Verminderung der Erwerbsfähigkeit der Ehefrau abgeleitet werde, rechtskräftig abgewiesen worden war, die Klägerin selbst aber ebensowenig wie ihr Ehemann zu dessen Lebzeiten eine Leistungsklage auf Gewährung einer Rente wegen Verminderung ihrer Erwerbsfähigkeit anstrengen konnte, weil mit Rücksicht auf die Erwerbsverhältnisse des Ehemanns die Klägerin zu dessen Lebzeiten eine Verschlechterung ihrer Vermögenslage oder eine Verminderung ihres Unterhalts durch ihren Unfall nicht erlitten hatte, so blieb die Verjährung des Anspruchs der Klägerin wegen Erwerbsverminderung so lange gehemmt, bis sie nach dem Tode ihres Ehemanns und durch diesen in die Lage kam, die Leistungsklage auf Gewährung einer Unterhaltsrente anstrengen zu können.
Diese Darlegungen lassen einen Rechtsirrtum nicht erkennen, stehen vielmehr mit der Vorschrift des § 202 BGB. durchaus in Einklang, § 202 bestimmt: "Die Verjährung ist gehemmt, solange die Leistung gestundet oder der Verpflichtete aus einem anderen Grunde vorübergehend zur Verweigerung berechtigt ist." Diese Vorschrift greift auf den vorliegenden Fall Platz.
Eine Leistungsklage auf Zahlung einer Unterhaltsrente wegen Verminderung ihrer Erwerbsfähigkeit konnte die Klägerin oder ihr Ehemann bei des letzteren Lebzeiten nicht anstrengen, weil, wie das Berufungsgericht einwandfrei festgestellt hat, das Einkommen des Ehemanns aus seiner ärztlichen Tätigkeit ein derartig hohes war, daß die Klägerin selbst für ihren Unterhalt irgendwelche Tätigkeit nicht zu entfalten brauchte. Solange also ihr Ehemann lebte, war eine Erwerbsverminderung der Klägerin nicht eingetreten, da sie bei Lebzeiten ihres Mannes einem Erwerbe nicht nachzugehen brauchte, um ihren Unterhalt zu bestreiten, dieser vielmehr in der Lage und nach § 1360 BGB. verpflichtet war, für ihren Unterhalt zu sorgen. Dementsprechend ist denn auch in dem im Vorprozeß ergangenen rechtskräftigen Urteile des Oberlandesgerichts in Posen vom 14. Januar 1913 der hier fragliche Rentenanspruch der Klägerin als ein durch den Tod ihres Ehemanns oder eine Änderung seiner Vermögensverhältnisse "bedingter" bezeichnet worden. Schon dadurch wurde hinsichtlich des Leistungsanspruchs der Beginn der Verjährung beeinflußt (vgl. RGZ. Bd. 84 S. 311).
Die danach allein in Betracht kommende Klage auf Feststellung, daß der Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin allen weiteren ihr aus dem Unfall entstehenden Schaden, insbesondere also auch den etwa durch ihre Erwerbsverminderung künftig entstehenden Schaden zu ersetzen, hat der Ehemann der Klägerin innerhalb der seit dem Tage des Unfalls laufenden zweijährigen Verjährungsfrist des § 8 HaftpflG., nämlich im Februar 1911 angestrengt. Mit dieser Klage ist er lediglich deshalb rechtskräftig abgewiesen worden, weil in jenem Vorprozeß (zu Unrecht) angenommen wurde, es fehle das Interesse an einer alsbaldigen Feststellung.
Dieses Urteil wirkte, wie in RGI. Bd. 92 S. 153 dargelegt worden ist, nicht bloß für und gegen den klagenden Ehemann, sondern auch für und gegen dessen Ehefrau, die jetzige Klägerin. Da es aber eine materiellrechtliche Abweisung nicht enthielt, so steht es der jetzigen Geltendmachung der Rentenansprüche wegen Erwerbsverminderung nicht entgegen, wie gleichfalls in jenem reichsgerichtlichen Urteile dargelegt ist. Es hatte aber vermöge seiner Rechtskraft die Wirkung, eine erneute Geltendmachung des Feststellungsbegehrens sowohl auf seiten des Mannes wie auf seiten der Frau unmöglich zu machen, mit anderen Worten, es hemmte die weitere Rechtsverfolgung in Gestalt einer Feststellungsklage.
Danach blieb trotz der Abweisung der Feststellungsklage in dem Vorprozesse die nach § 8 HaftpflG. laufende zweijährige Verjährung gehemmt. Denn wenn auch der Grundsatz: "agere non valenti non currit praesciptio" in dieser Allgemeinheit im § 202 BGB. nicht zum Ausdruck gelangt ist, so tritt doch die Hemmung der Verjährung nicht bloß in dem dort besonders bezeichneten Falle, sondern ganz allgemein dann ein, wenn der Durchführung eines an sich fortbestehenden Anspruchs ein ernstliches Hindernis entgegensteht, wenn insbesondere die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zwecks Unterbrechung der Verjährung ausgeschlossen erscheint (vgl. RGZ. Bd. 80 S. 215 flg.; Komm. von RGR. zu § 202 BGB. Anm. 1; Planck zu § 202 Anm. 2). Dementsprechend heißt es denn auch in den Protokollen der Kommission für die II. Lesung des Entw. des BGB. (Bd. 1 S. 217), der den ersten Entwurf in einer dem jetzigen Gesetze entsprechenden Weise geändert hat, der gefaßte Beschluß genüge, um alle Fälle zu decken, in welchen die Hemmung der Verjährung ihren Grund in einem der Geltendmachung des Anspruchs entgegenstehenden rechtlichen Hindernis habe. Völlig in Einklang hiermit wird in RGZ. Bd. 86 S. 370 der Satz aufgestellt: "Die Einreden des § 202 Abs. 1 sind solche, welche, ohne das Bestehen des Anspruchs selbst zu berühren, dem Verpflichteten nur vorübergehend das Recht zur Verweigerung der Leistung geben." Ein solcher Fall liegt hier vor: eine erneute Feststellungsklage vor Ablauf der zweijährigen Verjährungsfrist des § 8 HaftpflG. zu erheben, war die Klägerin und ihr Ehemann mit Rücksicht auf das rechtskräftige Urteil des Oberlandesgerichts in Posen vom 14. Januar 1913 nicht in der Lage, und die Leistungsklage wurde erst nach dem im September 1915 erfolgten Tode des Ehemanns möglich, da vorher ein Anspruch der Klägerin wegen Verminderung ihrer Erwerbsfähigkeit nicht bestand.
Hiernach hat das Berufungsgericht mit Recht auf Grund des § 202 BGB. angenommen, daß die Verjährungsfrist des § 8 HaftpflG. gehemmt und somit die im Oktober 1916 erhobene Leistungsklage damals noch nicht verjährt war."