RG, 23.11.1920 - VII 484/19

Daten
Fall: 
Kirchenbaulast
Fundstellen: 
RGZ 100, 271
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
23.11.1920
Aktenzeichen: 
VII 484/19
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Wiesbaden
  • OLG Frankfurt am Main

Erstreckt sich die Kirchenbaulast des Zentherrn und Patrons auch auf den Bau von Wohnungen katholischer Hilfskaplane, die dem Pfarrer mit Genehmigung des Bischofs wegen Vermehrung der Seelenzahl oder aus persönlichen Gründen beigegeben sind?

Tatbestand

In den Jahren 1909 und 1910 wurde das baufällig gewordene Pfarrhaus in S. einem Umbau unterzogen und es sollte gleichzeitig für den dem Pfarrer beigegebenen Kaplan in dem Obergeschoß des Anbaues eine neue Kaplanswohnung eingerichtet werden. Der Kaplan war als Hilfsgeistlicher dem Pfarrer zugeteilt, weil nach der vom Kläger bestrittenen Angabe der Beklagten die Seelenzahl der Gemeinde sich durch den Zuzug von Arbeitern stark (auf mehr als 2500 Seelen) vermehrt hatte. Die Kirchenbaulast in S., das früher zu Kur-Mainz, später zum Herzogtum Nassau gehörte, lag seit alters dem Zehntherrn (Decimator) ob und war seit dem Jahre 1484 von der Abtei Limburg an der Hardt auf das Petersstift in Mainz, nach der Säkularisation auf den Staat übergegangen. Der Zehntherr hatte das katholische "Pfarrhaus", nach Pfarrberichten aus den Jahren 1790 und 1832 die "Pfarrgebäude", in Bau und Besserung zu halten (aedifivat et reparat). Der Kläger bestritt aber, daß dazu die Verpflichtung zum Bau einer besonderen Kaplanswohnung gehöre, denn nach gemeinem Kirchenrechte sei der Unterhalt (Besoldung, Beköstigung und Wohnung) des Hilfskaplans eine Last, die lediglich dem Pfarrer, nach neuerem preußischen Kirchenrecht, insbesondere dem Gesetze, betreffend das Diensteinkommen der katholischen Pfarrer vom 2. Juli 1898, Art. 1, 6, der Gemeinde obliege. Die Kirchenbaulast des Zehntherrn und Patrons könne durch die Bestellung solcher Hilfsgeistlicher, die lediglich im Ermessen des Pfarrers und der Oberen liege und auf die sie keinen Einfluß hätten, nicht erweitert und erschwert werden. Die Beklagte folgerte umgekehrt aus dem Umstande, daß der Pfarrer dem Hilfsgeistlichen Unterhalt und observanzmäßig auch Wohnung im Pfarrhause zu gewähren hätte, die Bauverpflichtung des Klägers. Mit dem Vorschlag der Regierung vom 30. April 1909, sie wolle den Bau im vollen vorgesehenen Umfange ausführen, die Beklagte solle aber die besonderen Kosten der Kaplanswohnung bis zum Austrage der streitigen Frage im Rechtswege vorschießen, erklärte sich der Kirchenvorstand in einem Beschlusse vom 17. Mai 1909 zunächst einverstanden, die Gemeindevertretung versagte dann aber ihre Zustimmung. Infolgedessen bezahlte der Kläger die gesamten Kosten des inzwischen ausgeführten Baues im Betrage von 14039,41 M, fordert aber die durch die Einrichtung der Kaplanswohnung entstandenen Mehrkosten, die er auf 1882,94 M, die Beklagte auf 1144,78 M berechnet, sowie den Austrag der entstandenen Streitfrage im Rechtswege. Er klagte mit dem Antrage, a) die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger 1882,94 M mit Zinsen zu zahlen, b) festzustellen, daß die Beklagte ein für allemal verpflichtet sei, sämtliche Bau- und Unterhaltungskosten der Kaplanswohnung im Pfarrhause zu S. zu tragen.

Das Landgericht wies dem Antrage der Beklagten gemäß die Klage ab. Das Oberlandesgericht hat abändernd den Zahlungsanspruch zu a) dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Ermittelung des Betrags dem Landgericht überlassen. Auf den Antrag zu b) hat es festgestellt, daß der Kläger nicht verpflichtet sei, die Bau- und Unterhaltungskosten einer Kaplanswohnung im Pfarrhause zu S. zu tragen. So hatte nämlich der Kläger in der Berufungsinstanz in erster Linie zu erkennen beantragt.

Gegen das Berufungsurteil legte die Beklagte Revision ein, diese hatte jedoch keinen Erfolg.

Gründe

Nach gemeinem katholischem Kirchenrechte (vgl. u. a. Hinschius, System des kathol. Kirchenrechts, Bd. 2 S. 320 (§ 93 Nr. 8 und Anm. 9); v. Schulte, Lehrbuch § 63 IV; Permaneder, Handbuch Bd. 1 § 371; v. Scherer, Handbuch Bd. 1 § 93 S. 650 bei Anm. 20) werden gemäß der Bestimmung des Tridentiner Konzils, Sess. XXI cap. 4 de reform.:

"Episcopi ... in omnibus ecclesiis parochialibus vel baptismalibus, in quibus populus ita numerosus sit, ut unus rector non possit sufficere exxlesiasticis sacramentia ministrandis et cultui divino peragendo, cogant rectores vel alois, ad quos pertinet, sibi tot sacerdotes ad hoc munus adjungere, quot sufficiant ad sacramenta exhibenda et cultum divinum celebrandum,"

die nötigen Hilfsgeistlichen (Kapläne), sowohl im Falle der Vermehrung der Seelenzahl als auch im Falle persönlicher Verhinderungen (Krankheit, Altersschwäche), vom Pfarrer mit Ermächtigung des Bischofs berufen und von ihm besoldet und unterhalten (mit Wohnung und Kost versehen). Der hieraus von der Beklagten gezogenen Folgerung, daß diejenigen, denen die Baulast in Ansehung der Kirchen- und Pfarrgebäude obliege, Conc. Trid. Sessio XXI cap. 7 de reform:

"Parochiales vero ecclesias, etiamsi juris patronatus sint, ita collapsas refici et instaurari procurent ex fructibus et proventibus quibuscumque ad easdem ecclesias quomodocumque pertinentibus. Qui si non fuerint sufficientes, omnes patronos et alios, qui fructus aliquos ex dictis ecclesiis provenientes percipiunt, aut in illorum defectum parochianos omnibus remediis opportunis ad praedicta cogant ..."

auch für die Kaplanswohnung zum mindesten dann zu sorgen hätten, wenn der Kaplan nicht aus persönlichen Gründen, sondern wegen Vermehrung der Pfarreingesessenen angenommen sei, hatte sich das Landgericht, übereinstimmend mit der von Hummel in seiner Dissertation über die Verbindlichkeit der Zehntbesitzer (Stuttgart 1854) § 17 b (unter Berufung auf Permaneder, Handbuch Bd. 2 S. 802 bei Anm. 1) vertretenen Auffassung, angeschlossen. Es hatte dabei Gewicht darauf gelegt, daß im Bistum Limburg observanzmäßig den Kaplänen in den Pfarrhäusern Wohnung und Beköstigung zu gewähren sei. Das Oberlandesgericht aber ist dem nicht beigetreten. Es vermißt jede gesetzliche Norm und auch jeden Anhalt für eine solche Ausdehnung der dem Zehntherrn und Patron obliegenden Baupflicht auf Verpflichtungen, die dem Pfarrer als solchem obliegen. Eine Observanz im rechtsrheinischen Teile des Erzbistums Mainz, im Gebiete des vormaligen Herzogtums Nassau, die den Pfarrer verpflichtete, den Hilfsgeistlichen, die er zu besolden hatte, im Pfarrhause Wohnung zu gewähren, sei nicht festzustellen. Es sei zwar erwiesenermaßen im allgemeinen so gehalten worden, aber es seien auch Ausnahmen vorgekommen, und in den Fällen, wo die Wohnung im Pfarrhause gewährt worden sei, fehle es an dem Nachweis, daß dies aus Rechtsüberzeugung (opinione necesaitatis sive juris, Gruchot Bd. 31 S. 887) und nicht um anderer Rücksichten willen (Mangel an anderer Unterkunft, dienstlichen und gesellschaftlichen Rücksichten, Kostenersparnis) geschehen sei. Aber auch wenn man eine solche Observanz annehmen wolle, fehle es an einer den Zehntherrn oder Patron zur Erweiterung seiner Baupflicht im Falle des Vorhandenseins von Hilfskaplänen verpflichtenden Observanz. Nachgewiesen sei nur, daß in 2 Fällen (Höchst und Eltville) aus besonderen Gründen der Kläger und ebenso in 2 anderen Fällen (Schwanheim und Frankfurt) die Stadt Frankfurt ohne Anerkennung einer allgemeinen Verpflichtung sich zum Bau von Kaplanswohnungen verstanden hätten. Daraus sei kein Gewohnheitsrecht abzuleiten, vielmehr das Gegenteil festzustellen.

Die hiergegen von der Revision erhobenen Einwendungen sind nicht stichhaltig. Wenn von ihr unter Bezugnahme auf Kapitularien Karls des Großen (de villis c. 6. 7. u. a.) geltend gemacht wird, daß ursprünglich die Zehnten den Kirchen (ecclesiis) zustanden und zum Unterhalte der Kirchenbeamten (des Bischofs und des Pfarrers) sowie zur Erbauung und Erhaltung der kirchlichen Gebäude und der Kirchen dienten, so mag dies zutreffen, beweist aber nicht, daß sie auch zur Besoldung der von dem Pfarrer aus seinen Gebührnissen zu unterhaltenden und mit Wohnung zu versehenden Hilfskapläne dienten. Im preußischen Rechte ist die Rechtsprechung in der Anwendung der §§ 584, 720 flg., 789 ALR. II, 11 sehr weit gegangen, indem sie den Patron nicht nur zu notwendigen Erweiterungsbauten an Kirchen und Pfarrgebäuden, sondern auch zur Herstellung eines Neubaues für eine zweite Predigerstelle (RGZ. Bd. 45 S. 208) für verpflichtet erachtet hat. Aber die Ausdehnung der Baupflicht auf Hilfsgeistliche (Kapläne), die der Pfarrer zu unterhalten hatte und in Ansehung deren dem Patron kein Mitwirkungs- und Präsentationsrecht zusteht, hat der IV. Zivilsenat in dem dem Berufungsrichter vorgelegten und von ihm bei seiner Entscheidung berücksichtigten Urteile vom 5. März 1917 IV 391 / 16 abgelehnt. Für das gemeinrechtliche Rechtsgebiet andere Rechtsgrundsätze aufzustellen, verbietet sich um so mehr, als die Rechtsprechung des Reichsgerichts sich hier in der Erweiterung der Baupflicht viel zurückhaltender verhalten hat (JW. 1911 S. 233 Nr. 57; RGZ. Bd. 15 S. 168).

Was die vom Berufungsrichter verneinten Observanzen im rechtsrheinischen Teile des Erzbistums Mainz anlangt, so hat die Revision die bezüglichen Ausführungen des Berufungsrichters nicht besonders angefochten. Sie sind auch mit der Revision nicht anfechtbar, weil es sich um tatsächliche Feststellungen und um lokale Rechtsnormen handelt (JW. 1910 S. 662 Nr. 30; Gruchot Bd. 46 S.120, Bd. 31 S. 887, Bd. 61 S. 949).