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RG, 15.11.1920 - VI 317/20

Daten
Fall: 
Ansprüche wegen rechtswidriger Verfügung über polizeilich beschlagnahmte Gegenstände
Fundstellen: 
RGZ 100, 219
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
15.11.1920
Aktenzeichen: 
VI 317/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hirschberg
  • OLG Breslau

Ist der Rechtsweg zulässig für Ansprüche, die wegen rechtswidriger Verfügung über polizeilich beschlagnahmte Gegenstände (Lebensmittel) wider eine Stadtgemeinde erhoben werden, an deren Lebensmittelamt die Gegenstände von der beschlagnahmenden Polizeibehörde abgeführt worden sind?

Tatbestand

Nach dem Sachvortrage der Kläger wurde am 29. April 1919 bei dem eine Gastwirtschaft betreibenden Kläger A. eine polizeiliche Durchsuchung auf Lebensmittel, die dem Verkehr entzogen waren, vorgenommen und dabei eine größere Menge von Lebensmitteln beschlagnahmt. Die beschlagnahmten Lebensmittel sollen dann von der Polizeibehörde dem Lebensmittelamte der Beklagten zur Verwertung abgeliefert und von diesem an die Bevölkerung verteilt worden sein. Die beiden Kläger als die Eigentümer der beschlagnahmten Gegenstände erachten sowohl die Beschlagnahme als die Verteilung für widerrechtlich. Die Beamten und Vertreter der Beklagten hätten gewußt, daß es sich um eine polizeiliche Beschlagnahme handelte, die nur zu einer Sicherstellung der beschlagnahmten Gegenstände, nicht zu einer Verwertung und Verteilung hätte führen dürfen. Die Kläger verlangen im Wege der Klage die Herausgabe der noch vorhandenen und den Wertersatz für die zur Verteilung gebrachten Waren. Die Beklagte hat die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs erhoben.

Das Landgericht hat die Einrede für begründet erachtet und die Kläger mit ihren Ansprüchen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat abändernd auf die Berufung der Kläger die Einrede verworfen. Die Revision wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

Ohne Rechtsirrtum geht das Berufungsgericht davon aus, daß für die gegenwärtig allein zu entscheidende Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs das tatsächliche Vorbringen der Klage maßgebend und als tatsächlich richtig zu unterstellen ist (RGZ. Bd. 84 S. 87). Zu prüfen ist lediglich, ob nach Maßgabe dieses Vorbringens die rechtliche Natur des erhobenen Anspruchs als bürgerliche Rechtsstreitigkeit im Sinne des §13 GVG. erscheint oder sonst durch besondere Gesetzesbestimmungen dem ordentlichen Rechtsweg entzogen ist (Warneyer 1913 Nr. 453).

Der Klaganspruch des vorliegenden Rechtsstreits stützt sich nun, soweit die Herausgabe von Sachen verlangt wird, auf rechtswidrige Vorenthaltung des Eigentums (§ 985 BGB), insoweit Schadensersatz gefordert wird, auf Eingriff in das Eigentumsrecht durch rechtswidrige Verfügung über fremde Eigentumsgegenstände (§§ 823, 831, 276, 30, 31, 89 in Verb. mit § 839 BGB. und dem preuß. Ges. vom 1. August 1909 über die Haftung des Staates und der Gemeinden für Amtspflichtverletzungen ihrer Beamten). Die Beamten des Lebensmittelamtes der Besagten sollen die Eigentumsgegenstände der Kläger, die anläßlich einer durch die Polizeibehörde bewirkten Beschlagnahme in den Besitz der Beklagten kamen, ohne Recht und obwohl sie wußten oder wissen mußten, daß die polizeiliche Beschlagnahme nur die Wirkung einer amtlichen Verwahrung und Sicherung der beschlagnahmten Gegenstände auslöse und auslösen könne, in Verletzung der ihnen gegenüber den Eigentümern obliegenden Amtspflicht und in Überschreitung ihrer Befugnisse zum Schaden der Eigentümer verteilt und veräußert haben (vgl. Warneyer 1908 Nr. 305). Die polizeiliche Beschlagnahmeverfügung wird von den Klägern zwar als unrechtmäßig bezeichnet, ist aber nicht Gegenstand des Rechtsstreits; Grundlage des Klaganspruchs sind vielmehr nur Vorgänge, die sich nach der polizeilichen Beschlagnahmeverfügung, tatsächlich veranlaßt durch diese, aber von ihr unabhängig ereignet haben. Die so begründeten Ansprüche stellen den Gegenstand eines bürgerlichen Rechtsstreites dar, der nach §13 GVG. der Verfolgung im Rechtsweg unterliegt. Die den Beamten der Beklagten zur Last gelegten Handlungen können nicht als polizeiliche Verfügungen im Sinne des preuß. Ges. vom 11. Mai 1842 angesehen werden, für die die Prüfung der Rechtmäßigkeit dem ordentlichen Rechtsweg entzogen sein würde. Die polizeiliche Beschlagnahme selbst stellt allerdings eine solche Verfügung dar, nicht aber Handlungen der Beamten, die sich nur äußerlich und zufällig an diese anschließen (vgl. RGZ. Bd. 59 S. 172, Bd. 84 S. 87, Bd. 89 S. 208, Bd. 91 S. 185, Bd. 97 S. 234; Warneyer 1915 Nr. 220). Das Berufungsgericht hat sich für seine Entscheidung auf ein bei fast gleicher Sachlage ergangenes Urteil des preuß. Oberverwaltungsgerichts vom 7. Februar 1918 (JW. 1918 S. 781) bezogen, das in demselben Sinne ergangen ist und dessen Heranziehung von der Revision zu Unrecht beanstandet wird. Wenn diese meint, der Fall jenes Urteils sei von dem hier vorliegenden grundverschieden, insofern dort die Beschlagnahme aufgehoben worden sei, und erst dadurch werde jene Entscheidung begründet, so ist dies nicht zutreffend. Die Entscheidung fußt vielmehr darauf, daß die polizeiliche Verfügung vollständig außerhalb des Streites liege, der erhobene Anspruch vielmehr den rechtswidrigen Verkauf der beschlagnahmten Ware zur Grundlage habe, dieser aber als Verletzung der privatrechtlichen Obhutspflicht auf privatrechtlichem Gebiete liegt.

Die Revision macht nun aber entsprechend den Anführungen der Beklagten in der Berufungsinstanz geltend, die polizeiliche Verfügung sei nicht mit der Beschlagnahme beendet gewesen. Die Kläger selbst behaupteten, daß durch die polizeiliche Verfügung in Verbindung mit der Beschlagnahme die Fleischwaren der Beklagten zur freien Verfügung überantwortet worden seien; diese Überantwortung zur freien Verfügung stelle einen Teil der polizeilichen Verfügung dar. Das Berufungsgericht hat demgegenüber ausgeführt, daß nach dem Vorbringen der Kläger, das als richtig zu unterstellen sei, ein rechtswidriger Eingriff der Beamten oder Vertreter der Beklagten vorliege; dieses Vorbringen sei für die Zulassung des Rechtswegs maßgebend. Gewiß würde nun, wenn die rechtliche Beurteilung des den erhobenen Ansprüchen zugrunde liegenden Tatbestandes von vornherein ergeben würde, daß die Handlungen der Beamten der Beklagten sich als eine gesetzliche Folge der Beschlagnahme darstellten oder daß diese Beamten nach einer in Verbindung mit der polizeilichen Beschlagnahmeverfügung an das Lebensmittelamt innerhalb der gesetzlichen Sphäre gerichteten Weisung der Polizeibehörde gehandelt hätten, die Zulässigkeit des Rechtswegs für die Ansprüche der Kläger mit Recht beanstandet werden können. Es würde dann der Fall gegeben sein, daß zwar privatrechtliche Gesetzesbestimmungen von den Klägern zur Begründung ihrer Ansprüche angezogen wären, in Wahrheit aber ein öffentlichrechtlicher Streit über die Rechtmäßigkeit einer ergangenen polizeilichen Verfügung vorläge (RGZ. Bd. 71 S. 423, Bd. 83 S. 306, Bd. 87 S. 120, Bd. 97 S. 179). Dieser Gesichtspunkt trifft aber im gegebenen Falle nicht zu. Beschlagnahme bedeutet nach allen in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen nichts anderes, als ein durch behördlichen Zwang erfolgendes Ingewahrsamnehmen von Gegenständen behufs Sicherstellung (§ 94 StPO. sowie die hier anwendbare BRV. vom 22. März 1917, RGBl. S. 255, über des Verfahren bei Beschlagnahme und Einziehung Art, II 1), das privatrechtliche Obhutspflichten des Staates zur Folge hat (vgl. RGRKomm. z. BGB. Vorbem. 2 vor § S33 und RGZ. Bd. 48 S. 256, Bd. 51 S. 219, Bd. 67 S. 335; Warneyer 1908 Nr. 305). Eine weitere Verfügung des Staates über die beschlagnahmten Gegenstände wird gesetzlich erst ermöglicht durch die Einziehung, die in den strafrechtlichen Normen vorgesehen ist (§§ 40, 42, 152, 295, 360, 367, 369 StGB. u.a., für den gegebenen Fall BRV. gegen den Schleichhandel vom 7. März 1918, RGBl. S. 112, § 3); das Verfahren bei der Einziehung regeln die §§ 477 flg. StPO. sowie bei kriegswirtschaftlichen Maßnahmen die angezogene BRV. vom 22. März 1917. Nach dieser letzteren Verordnung, deren Anwendung im gegebenen Falle in Frage kommt, kann auch vor der Einziehung unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere wenn die beschlagnahmten Gegenstände dem Verderben ausgesetzt sind, eine Veräußerung angeordnet werden dergestalt, daß alsdann der Erlös an die Stelle der Gegenstände tritt; die Veräußerung kann unter Umständen durch die Polizei als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft verfügt werden (Art. II Nr. 1 und 2 VO.) Aber weder eine Einziehung noch eine Anordnung der Veräußerung ist im gegebenen Falle nach dem Sachvorbringen der Parteien erfolgt; es liegt nur die Beschlagnahmeverfügung vor, und die beschlagnahmten Waren sind von der beschlagnehmenden Polizeibehörde dem Lebensmittelamte der Beklagten zugeführt worden. Damit war, wie auch die Auskunft des Landratsamtes zu H. vom 23. April 1920 bestätigt, die Tätigkeit der Polizeibehörde zu Ende. Die durch das Lebensmittelamt erfolgte Verwertung und Veräußerung der beschlagnahmten Gegenstände entbehrt der gesetzlichen Grundlage, auch der Grundlage einer auf gesetzlichem Boden ergangenen polizeilichen Verfügung. Damit erweist sich die Einwendung der Beklagten als hinfällig. Ob die Vertreter oder Beamten der Beklagten sich zu ihrer Handlungsweise bei der Verwertung der beschlagnahmten Gegenstände für befugt erachtet haben oder für befugt erachten konnten, ist im gegenwärtigen Verfahren, in dem nur über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu erachten ist, nicht zu untersuchen.