RG, 15.11.1920 - I 133/20

Daten
Fall: 
Rechtsgültigkeit Gothaischer Kaufgewerkschaften
Fundstellen: 
RGZ 100, 210
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
15.11.1920
Aktenzeichen: 
I 133/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Stuttgart
  • OLG Stuttgart

1. Zur Rechtsgültigkeit Gothaischer Kaufgewerkschaften.
2. Ist die Revision zulässig gegen eine Entscheidung, welche auf die Umgehung nicht revisibler Gesetze gestützt ist?

Tatbestand

Die Klägerin hat dem Beklagten am 22. März 1918 25 Kuxe der Gewerkschaft Habsburg-Hohenzollern zum Preise von 450 M für das Stück verkauft und geliefert. Sie fordert mit der Klage Zahlung des Kaufpreises. Der Beklagte weigert Zahlung. Er hat das Kaufgeschäft wegen Irrtums und Betrugs angefochten und seine Weigerung auch darauf gestützt, daß die Gewerkschaft nichtig sei.

Das Landgericht gab der Klage statt. Auf die Berufung des Beklagten wies das Oberlandesgericht sie ab. Die Revision der Klägerin hatte Erfolg.

Gründe

Das Berufungsgericht hat angenommen, daß die Gewerkschaft Habsburg-Hohenzollern, von deren Kuxen die Klägerin dem Beklagten 25 Stück verkauft hat, eine sogenannte Gothaische Kaufgewerkschaft sei, d. h. also eine Gewerkschaft, die von vornherein nicht oder nicht in erster Linie in Sachsen-Coburg-Gotha Bergbau treiben, sondern sich auswärtigen bergbaulichen Unternehmungen zuwenden wolle (vgl. RGZ. Bd. 92 S. 73), und daß solche Kaufgewerkschaften nach Gothaischem Rechte nichtig seien. Die Entscheidung ist von weittragender Bedeutung angesichts der großen Zahl der in Gotha begründeten Gewerkschaften; es waren 1910 fast 600, von denen ein erheblicher Teil Kaufgewerkschaften sind (vgl. Bl. f. Rechtspf. in Thüringen Bd. 59 S. 162). Würden diese letzteren sich sämtlich als nichtig erweisen, so würden daraus mannigfache wirtschaftliche Unzuträglichkeiten hervorgehen (vgl. Isay, Allg. Berggesetz Bd. 2 S. 262). Es ist vorgängig weiter darauf hinzuweisen, daß sich in der bisherigen Rechtsprechung die Annahme einer Nichtigkeit derartiger Gewerkschaften - von ganz vereinzelten Ausnahmen abgesehen - nicht findet. In den Entscheidungen des Reichsgerichts Bd. 92 S. 75, Bd. 99 S. 217, JW. 1920 S. 50 ist eingehend erörtert, ob Gothaische Kaufgewerkschaften für Preußen und andere Länder Rechtsgültigkeit beanspruchen könnten. Zu diesen Erörterungen wäre keine Veranlassung gewesen, wenn die Nichtigkeit schon nach Gothaischem Recht feststände.

Das Berufungsgericht hat angenommen, daß das Gothaische Bergrecht die Verwendung der den Gewerkschaften verliehenen Rechtsfähigkeit zu anderen Zwecken als zum Betrieb eines Gothaischen Bergwerks zwar nicht ausdrücklich untersage, daß es aber doch einen Mißbrauch und deshalb eine Gesetzesumgehung enthalte, wenn die verliehene Rechtsform lediglich zu Zwecken benutzt wurde, für die sie nicht bestimmt sei.

Gegen diese Ausführungen wendet sich die Revision.

Es fragt sich zunächst, ob die angefochtene Entscheidung überhaupt revisibel ist. Die Frage ist zu bejahen. Allerdings ist das Gothaische Berggesetz vom 23. Oktober 1899 mit seinen späteren Ergänzungen vom 26. Januar 1909 und 6. März 1912 nach der feststehenden Rechtsprechung des Reichsgerichts (JW. 1920 S. 51) nicht revisibel. Was das Berufungsgericht als Inhalt dieser gesetzlichen Bestimmungen feststellt, ist also für das Revisionsgericht bindend. Aber das Berufungsgericht stützt seine Entscheidung nicht auf Bestimmungen des Gothaischen Rechtes, sondern darauf, daß eine Umgehung jener Bestimmungen vorliege. Der Rechtsbegriff der Gesetzesumgehung ist nicht aus einer partikularrechtlichen Norm, sondern aus dem BGB. oder der auf die Grundsätze des BGB. aufgebauten Lehre und Rechtsprechung zu entnehmen. In entsprechender Weise hat sich das Reichsgericht für das derzeitige irrevisible Württembergische Gesetz vom 21. Mai 1828 bereits ausgesprochen in dem Urteil Bd. 15 S. 23. Soweit gerügt wird, daß in rechtlicher Hinsicht mit Unrecht eine Umgehung des Gothaischen Gesetzes mit dem vom Berufungsgerichte festgestellten Inhalt angenommen worden sei, ist also die Revision zulässig.

In der Tat hat das Berufungsgericht den Begriff der Gesetzesumgehung zu weit gefaßt und deshalb verkannt. In der Lehre von der Gesetzesumgehung herrscht vielfacher Streit, insbesondere in der Richtung, gegenüber welchen Gesetzen überhaupt von einer Umgehung gesprochen werden könne, ob nur gegenüber Verbotsgesetzen oder auch gegenüber Gebotsgesetzen, Formvorschriften und dergleichen (vgl. die Zusammenstellung bei Vetsch, Umgehung des Gesetzes, Nr. 42 S. 272 flg.), oder ob es auf die Art des Gesetzes überhaupt nicht ankomme, vielmehr eine Umgehung stets dann vorliege, wenn dem ausgesprochenen Zwecke des Gesetzes in einer dem äußeren Anschein nach zulässigen Weise zuwidergehandelt werde. Auf diese verschiedenen Meinungen braucht nicht eingegangen zu werden. Jedenfalls muß, wenn von einer Gesetzesumgehung gesprochen werden soll, die Sachlage so sein, daß die Benutzung einer Rechtsform für gewisse Zwecke, für die sie an sich nicht bestimmt ist, vom Gesetz ausdrücklich oder stillschweigend mißbilligt wird. An sich können Rechtsformen zu beliebigen wirtschaftlichen Zwecken, die mit ihnen erreichbar sind, verwendet werden. Wer eine Sicherheit stellen will, kann die Sache, die zur Sicherung dienen soll, verkaufen, zu Eigentum übertragen, leihen, precario geben usw. Unerlaubt ist ein solches Verfahren nur dann, wenn es sich zu dem Willen des Gesetzgebers in Gegensatz stellt, sei es z. B., daß der Gesetzgeber für die Erreichung des von den Parteien erstrebten Zwecks erschwerende Formen ausschließlich vorgeschrieben hatte oder daß er die Verwendung einer Rechtsform nur für bestimmte Zwecke erlauben wollte. So hatte das Kammergericht (Zeitschrift f. Bergrecht Bd. 43 S. 108), worauf sich das Berufungsgericht bezieht, es mißbilligt, daß in Preußen unter der Form einer Gewerkschaft Mineralien gefördert werden sollten, für die eine andere Form, der Grundeigentümerbergbau vorgeschrieben war. Nachdem aber die Auffassung durchgedrungen war, daß die Ausschließung der Gewerkschaft vom Grundeigentümerbergbau nicht vom Gesetzgeber geboten sei, ist in dem Ministerialerlaß vom 17. Januar 1908 (Bl. f. Rechtspfl. in Thüringen Bd. 59 S. 195) ausgeführt worden, daß dann bei einer Kaufgewerkschaft nicht ein Handeln in fraudem legis, sondern lediglich ein erlaubtes Handeln praeter legem vorliege. So kann auch in dem zur Entscheidung stehenden Falle eine Gesetzesumgehung nur dann angenommen werden, wenn das Gothaische Gesetz eine Gothaische Gewerkschaft auf Bergbau in Gotha beschränken wollte und die Befassung mit auswärtigem Bergbau mißbilligte. Daß das der Fall ist, hat das Berufungsgericht nicht festzustellen vermocht. Ohne Frage wird richtig sein, daß die Gothaische Gesetzgebung den Zweck verfolgte, durch das Gesetz den Gothaischen Bergbau zu regeln. Das schließt aber noch keineswegs in sich, daß der Gesetzgeber es mißbilligte, wenn in Gotha eine Gewerkschaft gegründet wurde, um auswärtigen Bergbau zu betreiben. Andernfalls wäre ja auch nicht verständlich, weshalb die Gothaischen Bergbehörden die Errichtung von Kaufgewerkschaften in so großem Umfange zugelassen haben und gegen diese Zulassung, soweit ersichtlich, von keiner Gothaischen Instanz Widerspruch erhoben worden ist.

Aus diesen Gründen kann nicht angenommen werden, daß die Gewerkschaft Habsburg-Hohenzollern wegen Umgehung des Gothaischen Berggesetzes nichtig ist. ...