RG, 15.11.1918 - VII 193/18

Daten
Fall: 
§ 13 preuß. Wasserstraßengesetz
Fundstellen: 
RGZ 94, 133
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
15.11.1918
Aktenzeichen: 
VII 193/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Zur Zulassung des Rechtswegs nach § 13 preuß. Wasserstraßengesetzes vom 1. April 1905 und zur neunzigtägigen Ausschlußfrist dieser Vorschrift.

Tatbestand

Der Erweiterungsbau des Kaiser-Wilhelm-Kanals hat eine Verlegung der Marschbahn notwendig gemacht. Der neue Bahnkörper trennt die Hauptgrundstücke der Beklagten von einzelnen ihnen gehörigen Parzellen. Dies führte zu einer Verlegung der Verbindungswege. Der zuständige Bezirksausschuß hat auf Grund des § 13 des preuß. Wasserstraßengesetzes vom 1. April 1905 in Verbind. mit § 1 des preußischen Gesetzes, betreffend die Erweiterung des Kaiser-Wilhelm-Kanals, vom 17. November 1907 das Deutsche Reich für verpflichtet erklärt, den Beklagten für die zu ihren Grundstücken entstehenden Umwege gewisse, summenmäßig festgesetzte Entschädigungen zu zahlen. Innerhalb 90 Tage nach Zustellung dieses Beschlusses griff ihn der Kläger durch die bei dem Landgericht in Altona erhobene Klage mit dem Antrag auf die Feststellung an, daß er zur Zahlung der Entschädigungen nicht verpflichtet sei. Das angegangene Prozeßgericht hielt sich in Rücksicht darauf, daß Nutteln, wo die Beklagten wohnen und auch ihre Grundstücke belegen sind, zum Bezirke des Landgerichts Kiel gehört, unter Heranziehung des § 30 preuß. EntG. für örtlich unzuständig und wies deshalb die Klage ab. Auf Berufung des Klägers wurde dagegen vom Oberlandesgerichte die Sache unter Verwerfung der Einrede der Unzuständigkeit in die erste Instanz zurückverwiesen. Das Landgericht erließ darauf ein Teilurteil, durch das die Klage gegen die Beklagten zu 1, 2, 7, 8 aus sachlichen Gründen abgewiesen wurde. Die wiederum vom Kläger erhobene Berufung wurde zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hielt aber, abweichend vom Landgerichte, das Klagerecht für verwirkt, weil hier die Zuständigkeit des Altonaer Gerichts durch eine stillschweigende Vereinbarung gemäß § 39 ZPO. begründet, in dem Zeitpunkte jedoch die für die Beschreitung des Rechtswegs vorgeschriebene Frist von 90 Tagen schon abgelaufen war. Diese am 19. April 1917 verkündete Entscheidung erlangte Rechtskraft. Durch ein weiteres Urteil des Landgerichts, das sich nunmehr der Ansicht der Berufungsinstanz anschloß, wurde sodann die Klage gegen die Beklagten zu 3. 4, 5, 6, 9 abgewiesen.

Die Berufung des Klägers wurde zurückgewiesen. Seine Revision hatte Erfolg.

Gründe

"In dem durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 19. April 1917 abgeschlossenen Berufungsverfahren war darüber gestritten worden, ob für die auf Verneinung einer Entschädigungspflicht des Klägers gerichtete Klage der Rechtsweg statthaft sei, und ob die neunzigtägige Klagefrist des §13 Wasserstraßengesetzes vorliegend gewahrt sei. Die genannte Entscheidung hat sich mit eingehender Begründung für die Zulässigkeit des Rechtswegs ausgesprochen. Diese Ansicht, die weiterhin nicht mehr bekämpft worden ist, erscheint unbedenklich richtig. Um einen Streit über die Höhe der Entschädigung im Sinne des angeführten § 13 handelt es sich auch dann, wenn, wie vorliegend geschehen, das Reich geltend macht, daß den Grundeigentümern, für die der Bezirksausschuß Entschädigungen festsetzte, aus den in Betracht kommenden Arbeiten neben Nachteilen zugleich überwiegende Vorteile und sonach im Ergebnis überhaupt keine Schäden erwachsen seien.

Ferner hat die genannte Entscheidung die Auffassung vertreten, die gesetzliche Ausschlußfrist von 90 Tagen sei versäumt, weil erst nach ihrem Ablauf in dem Rechtsstreite mündlich verhandelt und gemäß § 39 ZPO. -- mangels Erhebung einer an sich möglich gewesenen Unzuständigkeitseinrede -- stillschweigend die Zuständigkeit des angegangenen Prozeßgerichts vereinbart wurde. Diese Auffassung, an der auch das jetzt angefochtene Berufungsurteil festgehalten hat, kann nicht gebilligt werden.

Mit Unrecht hat der Berufungsrichter das Urteil des erkennenden Senats vom 24. November 1916 (Jur. Wochenschr. 1917 S. 231 Nr. 21) herangezogen. Jenes und auch das einen gleichartigen Fall betreffende Urteil vom 11. Januar 1918 (RGZ. Bd. 22 S.40) behandelte die im engen Zusammenhange miteinander stehende Ausschlußfrist und Zuständigkeitsbestimmung der Absätze 1 beziehentlich 3 des § 30 preußischen Enteignungsgesetzes vom 11. Juni 1874. In jenen Entscheidungen hat der Senat für den § 30 den Standpunkt vertreten, daß die materielle Befugnis, innerhalb einer Ausschlußfrist von 6 Monaten nach Zustellung des Entschädigungsfeststellungsbeschlusses die im Verwaltungsverfahren erfolgte Bemessung der Enteignungsentschädigung wirksam anzugreifen, nur durch eine Klage innerhalb der Frist bei dem allein und ausschließlich zuständigen Gerichte der belegenen Sache gewahrt werden könne (vgl. auch RGZ. Bd. 3 S. 303). Im vorliegenden Falle ist jedoch, wie schon im Urteile des Berufungsgerichts vom 2. März 1916 nachgewiesen wurde, nicht der § 30 EntG., sondern § 13 WasserstrG. anwendbar, welcher keine Bestimmung über das Gericht trifft, bei dem der Beschluß der Verwaltungsbehörde mittels Klage (preuß. AG. z. ZPO. § 2) anzugreifen ist. Hier kann daher die Entscheidung Jur. Wochenschr. 1917 S. 231 Nr. 21 nicht maßgeblich in Betracht kommen. Als Wegweiser kann dagegen das Urteil des Senats vom 24. September 1918, RGZ. Bd. 93 S. 312, dienen. In dem Falle war eine, auf Grund des § 30 EntG. erhobene Klage fristgerecht bei einem örtlich zuständigen, indes sachlich unzuständigen Gericht angebracht und nach Ablauf der Frist der Rechtsstreit auf Antrag der klagenden Partei an das zuständige Gericht verwiesen worden. Für den Tatbestand hat das Reichsgericht die Frage, ob die Klagefrist gewahrt sei, bejaht. Ähnlich wie dort ist auch hier der gesetzlich zugelassene Rechtsweg noch innerhalb der maßgebenden Ausschlußfrist durch Klage bei einem unzuständigen Gerichte beschritten, und wie dort erst nach Ablauf der Klagefrist die Verweisung des Rechtsstreits an das sachlich zuständige Gericht erfolgte, so hat hier erst nach Ablauf der Klagefrist die mündliche Verhandlung stattgefunden, durch welche die örtliche Zuständigkeit des angegangenen Gerichts zufolge stillschweigender Vereinbarung der Parteien begründet wurde. Für jenen wie für diesen Rechtsfall fehlt es an einer Vorschrift, aus der sich mit zureichendem Grunde folgern ließe, daß der innerhalb der maßgebenden Ausschlußfrist im ordentlichen Rechtsweg angebrachten Klage gleichwohl nicht die Wirkung der Wahrung der Klagefrist zukäme. Dort wie hier ist für den Entscheidungsgrund, daß das Klagerecht bei dem tatsächlich angegangenen Gericht überhaupt nicht wirksam ausgeübt werden dürfe, kein Raum.

Das zunächst vorliegende Bedenken, nämlich der sachlichen Unzuständigkeit im Falle der Entscheidung RGZ. Bd. 93 S. 312 und der örtlichen Unzuständigkeit im vorliegenden Falle, entsprang lediglich aus Regeln des allgemeinen Prozeßrechts, und dies Recht gab zugleich Mittel zur Behebung des betreffenden Bedenkens an die Hand (vgl. ZPO. §§ 38 flg, 505, Bundesratsverordnung vom 9. September 1915 § 27 RGBl. S. 542). Dadurch, daß von solchem Mittel tatsächlich und rechtlich Gebrauch gemacht wurde, ist der beklagten Partei die Möglichkeit entfallen und entzogen, auf das Bedenken nach irgendeiner Richtung hin, insbesondere zum Nachweise der Verwirkung des Klagerechts, wieder zurückzukommen. Die Revisionsbeantwortung betonte, die Wahrung der Klagefrist sei eine Prozeßvoraussetzung, deren Erfüllung nicht den Gegenstand eines gültigen Parteiabkommens bilden könne. Das ist zuzugeben, steht aber der hier vertretenen Ansicht nicht im Wege. Das stillschweigende Abkommen der Parteien über die Zuständigkeit des Altonaer Gerichts hatte gar nicht zum Inhalt, daß die Klagefrist als gewahrt gelten sollte. Vielmehr ergab sich nach Lage des Falles als Folge jenes Abkommens, daß eine wirksame Einrede der Unzuständigkeit des Gerichts ausgeschlossen, mithin ein nach dieser Richtung zunächst mögliches formales Bedenken beseitigt war. Dabei ist aber hieraus nicht etwa zu entnehmen, jenem Abkommen werde eine ihm nicht zukommende rückwirkende Kraft beigemessen. Den zur Wahrung der Ausschlußfrist von 90 Tagen wesentlichen Anforderungen genügte schon die Klage, da sie innerhalb der Frist erhoben ist und ihr die Fähigkeit innewohnte, eine gerichtliche Verhandlung und Entscheidung in der Sache selbst herbeizuführen. Wäre selbst, wozu es tatsächlich nicht gekommen ist, die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit des Gerichts rechtzeitig vorgebracht worden, so hätte Kläger den Nachteil einer Versäumung der Klagefrist und einer Verwirkung des Klagerechts durch einen Verweisungsantrag gemäß § 505 Abs. 1 ZPO. und § 27 der erwähnten Bundesratsverordnung abwenden können.

Nach alledem kann hier die Ausschlußfrist des § 13 WasserstrG. nicht als versäumt angesehen werden. Daher war das angefochtene Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht (vgl. RGZ. Bd. 93 S. 315 am Schluß) zurückzuverweisen."