RG, 15.11.1917 - VI 312/17
Haftet eine Bank, der im Giroverkehr Geldbeträge mit dem Auftrag überwiesen sind, sie dem Konto einer gewissen Person gutzuschreiben, wenn sie die Beträge auf dem auf den bezeichneten Namen eingerichteten, aber von Unbefugten erschlichenen Konto gutgeschrieben hat?
Tatbestand
Wegen des Tatbestandes wird Bezug genommen auf das Urteil des erkennenden Senats vom 30. März 1914 Bd. 84 S. 349, wodurch das erste Berufungsurteil aufgehoben und die Sache in die Vorinstanz zurückverwiesen war. Nach erneuter Verhandlung stellte das Oberlandesgericht weiter fest, daß bei den in Betracht kommenden Überweisungen zwei verschiedene Geschäftsformen angewandt wurden. Die in Hamburg ansässigen Kunden ersuchten ihre Girobank, der Volksbank, bei der sie kein Girokonto hatten, "für Gebr. S. Nachfolger" gewisse Beträge zu überweisen, wobei sie das Wort Nachfolger in verschiedener Weise abkürzten. Die Girobanken führten dies aus, indem sie im Abrechnungsverkehr die aufgegebenen Beträge der Beklagten vergüteten und dabei den Auftraggeber sowie die Firma angaben, der die Beträge zugute kommen sollten. Dagegen ersuchten die außerhalb Hamburgs ansässigen Kunden, unmittelbar oder durch Vermittlung ihrer Bankverbindung, die Reichsbank, der Beklagten gewisse Beträge zu überweisen, ohne daß dabei etwas Weiteres über die Bestimmung des Geldes angegeben wurde, und benachrichtigten hiervon die Beklagte mit dem Hinzufügen, daß sie die überwiesenen Beträge "der Firma Gebr. S. Nachfolger" (auch hier mit verschiedenen Abkürzungen des letzten Wortes) oder "dem Konto" dieser Firma gutbringen wollten, oder daß die Überweisung "zugunsten" oder "für Rechnung" dieser Firma erfolge.
Bei diesem Sachverhalte wies das Oberlandesgericht die Klage abermals ab. Die neue Revision hatte nunmehr den Erfolg, daß der eingeklagte Anspruch, vorbehaltlich einer noch nicht spruchreifen Gegenforderung, zuerkannt wurde.
Gründe
1.
In der Beurteilung geht der Vorderrichter abweichend von seinem ersten Urteil unter Berufung auf die Auffassung, die von den gerichtlichen Sachverständigen als im Verkehr zwischen den Girobanken und ihren Kunden allgemein herrschend bezeichnet worden ist, davon aus, daß weder bei Entgegennahme noch bei Ausführung des Überweisungsauftrags die Absicht der Beteiligten auf die Begründung unmittelbarer vertraglicher Verpflichtungen zwischen den überweisenden Girokunden und der empfangenden Bank gehe,1 und daß demnach auch in den hier vorliegenden Fällen solche unmittelbare vertragliche Beziehungen nicht entstanden seien. Dies gelte auch für die Fälle, in denen die Bezeichnung der Firma, für die der Betrag bestimmt ist, nicht durch die überweisende Bank bei der Überweisung erfolgt, sondern durch den Kunden, in dessen Auftrag die Überweisung geschieht, mittels einer unmittelbar an die empfangende Bank gerichtete Aufgabe vorgenommen wird.
Durch die Verneinung der Vertragsgrundlage verstößt der Berufungsrichter gegen ZPO. § 565 Abs. 2 ... (wird ausgeführt).
Das Revisionsgericht ist aus prozessualen Gründen (vgl. § 318 ZPO.; RGZ. Bd. 59 S.289, Bd. 72 S.212 u.a.) nicht in der Lage eine in dem Urteile vom 30. März 1914 vertretene Rechtsauffassung in diesem Punkte aufzugeben. Aber auch wenn dem nicht so wäre, sondern - etwa mit Rücksicht darauf, daß die von den Sachverständigen behauptete, vom Berufungsgericht angenommene Verkehrsauffassung vordem noch nicht ausdrücklich erörtert worden war - eine Nachprüfung des früher eingenommenen Rechtsstandpunktes für zulässig erachtet werden wollte, könnte ein sachlicher Anlaß, davon abzugehen, nicht anerkannt werden. Wie auch die Revision zutreffend hervorgehoben hat, handelt es sich für die rechtliche Beurteilung nicht nur um die innere Willensmeinung der Beteiligten, um die "Verkehrsauffassung" im Sinne dessen, was die Beteiligten bei dem Ablaufe des gesamten Überweisungsverkehrs sich - außer dem beabsichtigten Erfolge - etwa vorstellen, sondern um die rechtliche Bewertung objektiv vorliegender Vorgänge. Überschätzt hat hierbei das Berufungsgericht die Unpersönlichkeit des eigentlichen Abrechnungsverkehrs der Banken bei der Reichsbankstelle in Hamburg. Auch wenn die Banken unter sich die Abrechnung abwickeln, ohne daß ihre individuellen Auftraggeber hervortreten, schließt dies doch nicht aus, daß ein solcher auch der Empfangsbank den Auftrag gegeben haben will, den überwiesenen Betrag in der unter Benutzung des Abrechnungsverkehrs sich ergebenden Weise endlich dem Überweisungsbedachten gutzubringen. Daß ein derartiger vertraglicher Zusammenhang durch das Dazwischenspielen des Bankabrechnungsverfahrens bei der Reichsbankstelle ausgeschlossen würde, kann nicht anerkannt werden.
Ohne Unterschied der beiden vom Berufungsgericht erwähnten Geschäftsformen bleibt es also dabei, daß durch die von den Kunden der Klägerin verfügte Überweisung ein auf die entsprechende Geschäftsbesorgung gerichtetes Vertragsverhältnis nicht nur zwischen ihnen und ihrer Bankverbindung, sondern auch zwischen ihnen und der Beklagten als Empfangsbank zustande gekommen ist. Auch gegen die schon im Urteile vom 30. März 1914, wenngleich nicht vorbehaltslos ausgesprochene Betrachtungsweise, daß hierin ein Vertrag zugunsten der Klägerin zu erblicken sei, aus dem diese unmittelbar das Recht erworben habe, die Vertragsleistung in dem noch zu erörternden Sinne zu fordern, sind durchgreifende Bedenken den Ausführungen der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen.
2.
Sodann ist das Berufungsgericht der Meinung, auch wenn der überweisende Kunde durch die Überweisung einen vertraglichen Anspruch gegen die empfangende Bank erhalte, sei der Anspruch doch im vorliegenden Falle nicht darauf gerichtet gewesen, daß die Beklagte der Klägerin, die bei ihr kein Girokonto hatte, die überwiesenen Beträge auskehre. Bei Erteilung von Überweisungsaufträgen setze, wie die Sachverständigen bekundet hätten, der überweisende Kunde wie die Banken voraus, daß die Person, der der zu überweisende Betrag zukommen solle, als Girokunde der empfangenden Bank bei dieser ein Girokonto habe. Deshalb werde allgemein der Überweisungsauftrag von den Kunden wie von den Banken dahin verstanden, daß der zu überweisende oder überwiesene Betrag von der empfangenden Bank dem bei ihr unter der aufgegebenen Bezeichnung geführten Girokonto gutgebracht werden solle. Daß die empfangende Bank, falls sich noch jemand anders als ihre Girokunden der Bezeichnung bediene und zu bedienen berechtigt sei, diesem den Betrag vergüten solle, liege außerhalb dessen, was nach der bestehenden Verkehrsauffassung eine am Giroverkehr beteiligte Bank durch Annahme der Überweisung zu leisten übernehme. Allerdings sei die empfangende Bank, falls bei ihr ein Konto wie das aufgegebene nicht geführt werde, verpflichtet, den überwiesenen Betrag zurückzuleiten. Bestehe aber bei ihr ein solches Konto, so erledige sich ihre vertragliche Verpflichtung gegenüber der überweisenden Bank oder dem überweisenden Kunden dadurch, daß sie diesem Konto den Betrag zuführe, und zwar selbst dann, wenn derjenige, der sich das Konto hatte eröffnen lassen, zur Führung der Firma oder - als Privatperson - des Namens nicht befugt sei. Eine vertragliche Verpflichtung der empfangenden Bank gegenüber den Personen, die ihr Beträge überwiesen oder überweisen ließen, solche Befugnis ihres Kunden nachzuprüfen, lasse sich nicht begründen.
Wie schon oben hervorgehoben, war dem Berufungsgericht aufgegeben worden, den näheren Inhalt des umstrittenen Vertragsverhältnisses zu ermitteln und festzustellen, so daß insoweit eine Bindung in der rechtlichen Beurteilung nicht beabsichtigt war. Die Erwägungen indessen, womit es zu dem Ergebnis gelangt, die Beklagte habe, was sie vertraglich tun sollte, erfüllt, wenn sie die ihr überwiesenen Beträge dem bei ihr geführten Konto "Gebr. S. Nachflgr." gutbrachte, sind rechtlich zu beanstanden, weil bei Errichtung des in den Büchern der Beklagten unter der Firma "Gebr. S. Nachflgr." geführten Kontos Ordnungswidrigkeiten unterlaufen sind, für die sie nicht darzutun vermocht hat, daß sie kein von ihr zu vertretendes Verschulden treffe.
Es ist davon auszugehen, daß auf den Antrag eines Unbefugten in den Büchern der Bank ein Girokonto auf den Namen einer Firma errichtet worden ist, deren alleinberechtigter Inhaber hiervon nichts wußte und dem niemals zugestimmt hat. Es bedarf keiner Ausführung, daß hierdurch ein im höchsten Maße ordnungswidriger Zustand geschaffen worden ist, der mit den Anforderungen, die an die Zuverlässigkeit und Betriebssicherheit einer auf diesem Geschäftsgebiete tätigen Bank gestellt werden müssen, schlechterdings unvereinbar ist und für den Betroffenen die offenbare Gefahr schweren Vermögensschadens in sich schloß. Demgegenüber ist es, wie auch die Revision zutreffend geltend gemacht hat, Sache der beklagten Bank, sich zu entlasten und darzutun, daß dieser Verlauf der Dinge nicht auf ein von ihr zu vertretendes schuldhaftes Verhalten ihrer Organe oder Angestellten zurückzuführen ist. Dies gilt ebensowohl für die Beurteilung auf der hier in Rede stehenden Grundlage einer Haftung aus nicht erfülltem Vertrage wie für die vom Berufungsgerichte weiter ins Auge gefaßte Deliktshaftung. von deren näherer Erörterung indessen abgesehen werden kann. Vermag die Beklagte nicht in diesem Sinne den Verlauf der Dinge zu rechtfertigen, so ist sie sachfällig, nicht ist dann, wie das Berufungsgericht anzunehmen scheint, die Klagabweisung wegen nicht geführten Beweises des Verschuldens angezeigt.
Ohne Rechtsverstoß und im Einklange mit den Äußerungen der Sachverständigen nimmt das Berufungsgericht an, daß L. sich der Bank gegenüber bei dem Antrag auf Einrichtung des Girokontos über seine Person genügend ausweisen und weiter einen neuerdings ausgestellten Handelsregisterauszug vorlegen mußte, in dem er als Inhaber der von ihm der Bank gegenüber genannten Firma bezeichnet war. Über den tatsächlichen Hergang der Dinge hat das Berufungsgericht erschöpfende Feststellungen nicht getroffen. Es hält dafür, daß L., als er in Begleitung der den Beamten der Bank als frühere Girokunden bekannten Sch. erschien, durch diese genügend hinsichtlich seiner Person ausgewiesen gewesen sei; es stellt fest, daß er einen Handelsregisterauszug vorgelegt hat, über dessen Inhalt und Wortlaut seine Aussagen und die des mit der Entgegennahme und Prüfung des Antrags befaßten Bankbeamten D. auseinandergehen; und es Iäßt "die Frage offen", ob nicht D. einer Fälschung zum Opfer gefallen sei, die so geschickt ausgeführt war, daß ihm aus dem Nichterkennen kein Vorwurf gemacht werden könne.
Diese Erwägungen reichen nicht aus, das Urteil zu tragen. Insbesondere für den Inhalt des Handelsregisterauszugs, aus dem sich die Befugnis zur Führung der Firma zu ergeben hatte, bleiben hiernach drei Möglichkeiten offen. Entweder es war ein echter Handelsregisterauszug der Firma G. u. O. S. Nachfolger vorgelegt; dann bedurfte es einer eindringlichen Rechtfertigung, wie es geschehen konnte, daß unter Weglassung der beiden Vornamensbuchstaben eine ganz andere als die im Registerauszug angeführte Firma in den Büchern der Bank zur Eintragung gelangen konnte. Eine Beurteilung in dieser Hinsicht ist gar nicht unternommen. Oder aber es lag ein echter Auszug für die der Klägerin zustehende Firma Gebr. S. Nachfolger vor; dann enthielt der Registerauszug auch die Beurkundung, daß deren Inhaber C. F. Py. sei, und die Bank hatte darzulegen, wie es kam, daß der erschienene Antragsteller L. für C. F. Py. oder eine mit Vertretungsmacht für diesen ausgestattete Person angesehen wurde. In dieser Hinsicht ist aus dem Urteile höchstens heranzuziehen, daß das Berufungsgericht - ohne nähere Begründung - das Miterscheinen der Sch. für einen genügenden Ausweis über die Person des Antragstellers hält. Oder endlich es lag ein gefälschter, insbesondere verfälschter Auszug vor, sei es, daß die Firma, sei es, daß der Name des Inhabers verändert worden war. Für diesen Fall kann es nicht genügen, die Möglichkeit offen zu lassen, daß D. ohne Verschulden das Opfer einer Täuschung geworden sei. Vielmehr kann die Bank nur dann als entlastet gelten, wenn dargetan ist, daß D., der, wie unstreitig, die Fälschung nicht erkannt hat, sie auch nicht hatte erkennen müssen, wenn er bei Prüfung des Antrags die im Verkehr erforderliche Sorgfalt aufgewandt haben sollte. Anderseits kann dem Berufungsgericht auch insoweit nicht beigetreten werden, als es positiv ein Verschulden der Bank in der Person ihrer gesetzlichen Vertreter ausschließen zu können geglaubt hat, insbesondere ausspricht, man habe es an den für den Giroverkehr nötigen allgemeinen Anweisungen den Bankangestellten gegenüber nicht fehlen lassen. Diese Annahme wird lediglich auf die Aussage des Zeugen M. gestützt, daß ihm seit etwa einem Jahrzehnt die Vorschrift mündlich erteilt worden sei, vor Einräumung eines Girokontos für eine Firma die Vorlegung eines Handelsregisterauszugs zu verlangen. Daß mehr als diese Weisung erfolgt sei, nimmt das Berufungsgericht selbst nicht an. Sie kann nicht für ausreichend erachtet werden, weil durch einen solchen Registerauszug zwar die Befugnis zur Führung der Firma dargetan, nicht aber, wie schon im Urteile vom 30. März 1914 ausgesprochen, ein genügender Ausweis über die Person des Antragstellers erbracht werden kann. Gerade an diesem Ausweis aber hat es im vorliegenden Falle gefehlt. Daß die miterschienene Sch. den Beamten der Beklagten als frühere Girokundin bekannt war, kann nicht für ausreichend erachtet werden, da der Umstand, daß eine Person bei der Bank ein Girokonto besessen hat, einen Schluß auf die Zuverlässigkeit dessen, was sie über die Identität des miterschienenen Antragstellers bekundete, nicht ohne weiteres rechtfertigte.
In der Unzulänglichkeit dieser Anweisungen, vor allem hinsichtlich des Identitätsausweises, ist das positive Verschulden der gesetzlichen Vertreter der Beklagten zu erblicken, dessen ursächliche Bedeutung für die eingetretene Schädigung der Klägerin aus dem Sachverhalt, wie er teils festgestellt worden ist teils unstreitig vorliegt, ohne weiteres erhellt.
Daß dem Verfahren der Bank bei der Errichtung von Girokonten im allgemeinen dieser Mangel anhaftete, hatte ihren gesetzlichen Vertretern bekannt zu sein, nicht minder, daß der Mangel die Zuverlässigkeit ihrer banktechnischen Verrichtungen im Giroverkehr erheblich gefährdete. Demzufolge ist auch die weitere Behandlung der Überweisungsaufträge als Verstoß gegen die der Beklagten obliegende Vertragspflicht anzusehen. Wurden auf ein unter solchen Umständen errichtetes Girokonto Umbuchungen, wie geschehen, vorgenommen und sonstige Verfügungen zugelassen, so mußte die Verantwortung für die daraus entstandenen Schadensfolgen die Bank treffen, die ebensowohl gegenüber den überweisenden Kunden der Klägerin wie gegenüber dieser selbst, zu deren Gunsten ihr der Überweisungsauftrag erteilt wurde, dazu verpflichtet war, die Voraussetzungen für eine den Anforderungen des Verkehrs genügende und insbesondere zuverlässige Abwickelung des Giroverkehrs zu erfüllen. Dem hat die Beklagte nach dem Dargelegten nicht genügt; sie hat daher für den mit der Klage begehrten Schadensbetrag aufzukommen. Die Beklagte hat noch darauf hingewiesen, daß der täglich oft in vielen Einzelakten sich vollziehende Giroverkehr einer raschen, von Schwierigkeiten freien Erledigung bedürfe. Allein für die hier vorliegende Frage kann diese Erwägung nicht entscheiden. Wenn die Vertreter einer Bank einen solchen Verkehr beginnen und fortsetzen, so müssen sie das Bewußtsein haben können, dafür in der vorhergegangenen Eröffnung und Eintragung eines entsprechenden ordnungsgemäßen Girokontos eine zuverlässige Grundlage zu besitzen." ...
- 1. Amtl. Anm.: Nach Ansicht der Sachverständigen soll sich diese Verkehrsauffassung vornehmlich darin äußern, daß die Berechtigung, Überweisungen bis zu einem gewissen Zeitpunkte zu widerrufen, ganz allgemein nur der überweisenden Bank, nicht dem Girokunden, für den die Überweisung auszuführen ist, zugestanden wird und daß sich die empfangende Bank bei Unstimmigkeiten um die überweisende Bank, nicht an den Kunden, in dessen Auftrag überwiesen werden soll, um Aufklärung und Richtigstellung wendet. D.E.