RG, 15.11.1920 - VI 372/20
Hat eine Stadtgemeinde als Eigentümerin des Friedhofs das Recht, einen das Leichenbestattungsgewerbe Betreibenden von der Ausübung dieses Gewerbes auf dem Friedhof auszuschließen?
Tatbestand
Den Eheleuten B. wurde vom Oberbürgermeister der Stadt Essen am 3. Oktober 1918 untersagt, die städtischen Friedhöfe zur Ausübung des Gewerbes als Leichenbestatter zu betreten. Als Grund ist angegeben, daß der Ehemann B., dem bereits durch eine frühere Anordnung vom 13. April 1916 wegen taktloser und aufdringlicher Reklame das Betreten der städtischen Friedhöfe auf die Dauer von drei Monaten untersagt worden war, neuerdings vom Schöffengerichte wegen Betrugs bei Ausübung seines Leichenbestattungsgewerbes zu einer Geldstrafe von 100 M, ersatzweise zu 20 Tagen Gefängnis verurteilt worden ist. Auf seine Beschwerde eröffnete ihm der Regierungspräsident in Düsseldorf, daß seinerseits nichts veranlaßt werden könne; die Verfügung des Oberbürgermeisters sei nicht kraft der ihm zustehenden Polizeigewalt, sondern von ihm als Vertreter der Stadtgemeinde kraft deren privatrechtlichen Eigentums an den städtischen Friedhöfen getroffen worden. Die Eheleute B. erhoben darauf Klage mit dem Antrage, die Beklagte zu verurteilen, die Verfügung vom 3. Oktober 1918 zurückzunehmen und ihnen das Betreten der Friedhöfe zum Zwecke der Ausübung des Leichenbestattungsgewerbes zu gestatten.
Die Klage ist in allen Instanzen abgewiesen worden, vom Reichsgericht aus folgenden Gründen:
Gründe
... Die Kläger sehen in dem Verbot einen Eingriff in die Gewerbefreiheit, insbesondere in ihren Gewerbebetrieb. Sie führen aus, da bei den Bestattungen die Hilfe der Leichenbestatter erforderlich und üblich sei, dürfe ihre Tätigkeit auf den öffentlichen Friedhöfen nicht gehindert werden; das Verbot verstoße gegen die Vorschrift des § 823 BGB. Diesem Standpunkte der Kläger hat das Berufungsgericht entgegengehalten, gegen den Grundsatz der Gewerbefreiheit richte sich das Verbot nicht; es regle nur die Ausübung der Leichenbestattung derart, daß die Kläger die Bestattung auf den städtischen Friedhöfen nicht ausüben dürften; einer solchen Anordnung müsse sich jedes Gemeindemitglied unterwerfen.
Diese Erwägung hebt den eigentlichen Klagegrund nicht genügend hervor. Allerdings ist das Bestattungsgewerbe nach der Gewerbeordnung ein freies Gewerbe. Aber die Gewerbefreiheit als solche, d. h. die Freiheit der wirtschaftlichen und gewerblichen Willensbetätigung selbst ist kein nach § 823 Abs. 1 BGB. gegen etwaige Eingriffe geschütztes Rechtsgut, sondern hinzukommen muß, daß der Eingriff sich unmittelbar gegen den Bestand des eingerichteten und von den Klägern ausgeübten Gewerbes richtet, so daß allein in Frage kommt, ob die Beklagte durch ihr Verbot widerrechtlich ein "sonstiges Recht" der Kläger verletzt hat (RGZ. Bd. 73 S. 112, Bd. 58 S. 29, Bd. 64 S. 55). Es kann nun nicht bezweifelt werden, daß das Verbot geeignet ist, das von den Klägern betriebene Gewerbe der Leichenbestattung unmittelbar, wenn auch nicht im ganzen, so doch insoweit zu unterbinden, als sich seine Ausübung örtlich auf die städtischen Friedhöfe erstreckt. Die Kläger meinen aber, daß die Beklagte wegen des öffentlichen Charakters der Friedhöfe nicht berechtigt sei, kraft ihres privaten Eigentums die Ausübung der Leichenbestattung auf den Friedhöfen zu verbieten. Diese Auffassung ist vom Berufungsgerichte mit Recht als rechtsirrig abgelehnt, indem es ausführt: Der Zweck der städtischen Friedhöfe gebe zwar jedem Mitgliede der politischen Gemeinde ohne Unterschied der Religion den Anspruch, dort bestattet zu werden; dieser Anspruch gehe aber nur soweit, als es für eine ordnungsmäßige Bestattung sowie für den Besuch und die Pflege der Gräber erforderlich sei. Da jedoch in Essen stets einwandfreie Leichenbestatter in hinreichender Zahl bereit seien, so stehe der öffentliche Charakter der Friedhöfe nicht entgegen, Personen, die die Beklagte als Leichenbestatter für ungeeignet halte, vom Betreten ihrer Friedhöfe auszuschließen.
Die hiergegen gerichteten Angriffe sind nicht gerechtfertigt. An den umschlossenen Friedhöfen besteht zwar kein "Gemeingebrauch", wie das Berufungsgericht einen solchen anzunehmen scheint, wohl aber ist das Eigentumsrecht der Beklagten durch den öffentlichen Friedhofszweck insoweit unterbunden und öffentlichrechtlich beschränkt, als es diese Zweckbestimmung erfordert. Als allgemeine Richtschnur muß aber bei Bestattungen gelten, daß diese öffentliche Zweckbestimmung alles umfaßt, was zum eigentlichen Bestattungsapparate notwendig ist, einschließlich dessen, was nach Sitte, Religionsgebrauch und Herkommen üblich ist und der Würde der Bestattung Rechnung trägt. Insoweit darf die Beklagte in keiner Weise kraft ihres Eigentumsrechts in die Vorgänge der Bestattung verbietend eingreifen. Wie weit jedoch diese öffentlichrechtliche Beschränkung des privaten Eigentums im einzelnen Falle reicht, hängt von den jeweiligen Umständen ab und ist wesentlich eine Tatfrage. Darüber hinaus ist die Beklagte in der Betätigung ihrer Eigentumsbefugnisse unbeschränkt geblieben. Im gegebenen Falle, wo nach den Feststellungen des Berufungsgerichts alle Ansprüche an eine friedhofsgemäße Bestattung vollkommen gewährleistet erscheinen, kann aber von einer unzulässigen Beeinträchtigung des öffentlichen Friedhofszweckes keine Rede sein, wenn die Beklagte den Klägern nur deshalb das Betreten ihrer Friedhöfe zum Zwecke der Ausübung des Bestattungsgewerbes untersagt hat, weil sie sich als Leichenbestatter eines ungebührlichen und unwürdigen Verhaltens schuldig gemacht und sich für dieses Gewerbe als ungeeignet erwiesen haben. Bei dieser Sachlage entbehrt auch der gegen die Beklagte aus § 226 BGB, erhobene Vorwurf der Schikane, daß sie das Verbot nur erlassen habe, um durch die Ausübung ihres Eigentumsrechts den Klägern Schaden zuzufügen, jeder tatsächlichen Unterlage. Ob die Beklagte als Eigentümerin der Friedhöfe für befugt zu erachten ist, durch derartige Verbote allgemein auch andere Personen von der Ausübung des Bestattungsgewerbes auf den Friedhöfen auszuschließen und auf diese Weise zugunsten gewisser Leichenbestatter ein faktisches Monopol zu begründen, wie dies in dem Urteile RGZ. Bd. 42 S. 51. angenommen ist, braucht nicht nachgeprüft zu werden, da das Verbot hier nur den einzigen anerkennenswerten Zweck verfolgt, die Kläger wegen der Unzuverlässigkeit ihres Gewerbebetriebes vom Betreten der Friedhöfe behufs der dortigen Ausübung der Leichenbestattung auszuschließen. Daß die Beklagte in Verfolg dieses Zweckes sogar gegen die guten Sitten im Sinne des § 826 BGB. verstoßen haben soll, kann in keiner Weise zugegeben werden. Dies gilt insbesondere von der Rüge, daß die Beklagte die persönlichen und geschäftlichen Verhältnisse der Kläger nicht der Billigkeit entsprechend berücksichtigt habe; das Berufungsgericht hat an der Hand der strafgerichtlichen Ergebnisse die Unzuverlässigkeit der Kläger, aber auch ihre sonstigen Verhältnisse (Alter, Gesundheit usw.) in einer nach § 286 ZPO. nicht zu beanstandenden Weise ausreichend gewürdigt.
Unbegründet ist auch die Rüge, es sei nicht berücksichtigt, daß die Kläger die einzigen evangelischen Leichenbestatter in Essen seien und den Evangelischen nicht zugemutet werden könne, bei dem kirchlichen Charakter der Bestattung sich der Beihilfe von andersgläubigen Leichenbestattern zu bedienen. Das Berufungsgericht hat diesen Gesichtspunkt keineswegs übersehen, aber erwogen, daß die Beklagte im Falle des Bedürfnisses ohne Schwierigkeit auch andere evangelische Leichenbestatter finden werde, so daß auf die Kläger als Leichenbestatter nicht zurückgegriffen zu werden brauche.