RG, 11.11.1920 - VI 278/20

Daten
Fall: 
Anfechtung wegen arglistiger Täuschung
Fundstellen: 
RGZ 100, 205
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
11.11.1920
Aktenzeichen: 
VI 278/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Düsseldorf, Kammer für Handelssachen
  • OLG Düsseldorf

Kann in einer auf arglistige Täuschung über eine bestimmte Tatsache gestützten Anfechtung zugleich eine Anfechtung des Inhalts gefunden werden, daß dem Geschäftsgegner infolge seines unwahrhaftigen Verhaltens die erforderliche Vertrauenswürdigkeit für ein Lieferungsverhältnis von längerer Dauer fehle?

Tatbestand

Um 3. Juli 1915 kam unter den Parteien ein Vertrag zustande, worin die Klägerin sich verpflichtete, an die Beklagte vom 1. September 1915 bis einschließlich 31. März 1916 täglich 200 Stück 15 cm-Granaten und täglich 500 Stück 10,4 cm-Stahlgußrohlinge nach Heeresvorschrift zu liefern. Der Beklagten war nur an den 15 cm-Granaten gelegen, weil sie für diese einen Abschluß mit der Geschoßfabrik in Siegburg hatte. Die versuchte daher mit Brief vom 13. Juli 1915 die Klägerin zu bestimmen, die Festsetzung des Vertrags über die 10,4 cm-Stahlgußrohlinge in eine solche über 15 cm- Granaten umzuwandeln. Die Klägerin ihrerseits legte nur auf die Lieferung der 10,4 cm-Stahlgußrohlinge Wert, weil sie auf deren Herstellung ihren Betrieb in erster Linie einrichten wollte, und lehnte den Wunsch der Beklagten ab. Im Laufe der weiteren Auseinandersetzungen behauptete die Beklagte, sie sei zur Bestellung der 10,4 cm-Stahlgußrohlinge nur durch die unrichtige Behauptung des klägerischen Prokuristen bestimmt worden, daß die Klägerin einen großen Auftrag auf solche von der Geschoßfabrik in Spandau habe und die 15 cm-Granaten nur bei Abnahme des Überschusses der Spandauer Lieferung liefern könne; die Beklagte erklärte, deshalb die Abnahme der 10.4 cm-Stahlgußrohlinge abzulehnen. Die Klägerin erwiderte, daß sie für diesen Fall Schadensersatz wegen Nichterfüllung fordere, und schrieb, als die Beklagte bei ihrer Weigerung beharrte, am 31. Juli 1915 ihr weiter, die teilweise Erfüllung habe für sie kein Interesse und sie verlange deshalb Schadensersatz wegen Nichterfüllung des ganzen Vertrags. Mit diesem Briefe kreuzte sich ein Schreiben der Beklagten vom 30. gl. Mts., worin sie den ganzen Vertragsabschluß, weil durch grobe Täuschung herbeigeführt, für nichtig erklärte. Die Klägerin bestätigte unter dem 20. August 1915 ihren im Schreiben vom 31. Juli 1915 kundgegebenen Standpunkt.

Mit der Klage fordert die Klägerin von dem Schaden einen Teilbetrag von 5000 M. Der erste Richter hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht dagegen hat sie dem Grunde nach zugesprochen. Die Revision wurde zurückgewiesen.

Gründe

Das Berufungsgericht stellt fest, daß die Angabe, welche der klägerische Prokurist der beklagten Seite über den Abschluß der Klägerin mit der Spandauer Geschoßfabrik gemacht hat, den behaupteten Inhalt gehabt habe und daß sie unwahr gewesen sei. Das Berufungsgericht hält aber dafür, es könne nicht festgestellt werden, daß diese unrichtige Angabe für den Vertragsschluß ursächlich gewesen sei. Das Berufungsgericht hält für erwiesen, daß die Beklagte damals in einer Zwangslage gewesen sei. Sie habe einen Auftrag auf 15 cm-Granaten von der Geschoßfabrik Siegburg angenommen gehabt, habe sich vergeblich bemüht, dafür Stahlgußrohlinge zu erhalten, und habe sich dadurch gezwungen gefühlt, der zur Bedingung gemachten Verknüpfung mit einem Auftrag auf 10,4 cm-Stahlgußrohlinge zuzustimmen. Das Berufungsgericht konnte hiernach nicht die Überzeugung gewinnen, daß es für die Entschließung der Beklagten einen Unterschied bedeutet hätte, ob sie im Glauben an einen Spandauer Staatsauftrag der Klägerin war oder ob sie gewußt hätte, daß die Klägerin damals nur mit der Erteilung eines solchen Auftrags rechnete und die Absicht hatte, ihren Vertrieb dementsprechend einzurichten.

Die Revision wendet ein, dem liege eine irrige Fragestellung zugrunde, nämlich dahin, was die Beklagte getan hätte, wenn die Klägerin ihr die Wahrheit gesagt hätte. Erheblich sei vielmehr nur, ob die Beklagte trotz ihrer Notlage auf den Abschluß eingegangen wäre, wenn sie gewußt hätte, daß ihr bezüglich des Spandauer Staatsauftrages absichtlich die Unwahrheit gesagt worden sei. Das sei zu verneinen. Solche große Lieferverträge seien auf das Vertrauen in die geschäftliche Lauterkeit und Redlichkeit des Lieferanten aufgebaut; einer Firma aber, die bei einem Abschluß bewußt unrichtige Angaben mache, bringe man kein Vertrauen in die Durchführung des Vertrages entgegen.

Die Revision war zurückzuweisen. Die Beurteilung des Berufungsgerichtes beruht in allem Wesentlichen auf tatsächlicher Würdigung, ist insoweit auf die Richtigkeit ihres Ergebnisses in dieser Instanz nicht nachzuprüfen und läßt im übrigen keinen Rechtsverstoß erkennen. Zuzugeben ist, daß die Tatsache eines unwahrhaftigen Verhaltens, worauf die Revision abstellen will, die Vertrauenswürdigkeit des Geschäftsgegners beeinträchtigen und den Getäuschten nach Aufklärung bestimmen kann, dieserhalb von einem Vertragsschluß abzusehen. Hierin kann aber die vorliegende Anfechtung wegen arglistiger Täuschung keine Stütze finden. Die Revision beruft sich insoweit nicht auf einen - durch arglistiges Verhalten hervorgerufenen - Irrtum über den Spandauer Abschluß, sondern auf einen mit der Tatsache dieses Verhaltens begründeten Irrtum über persönliche Eigenschaften des Vertragsgegners. Die Frage ist, ob und inwieweit die Klägerin gegebenenfalls dafür einzustehen hat, wenn die Beklagte ihre Entschließung auf Grund oder mit auf Grund falscher tatsächlicher Annahmen getroffen hat. Diese Verantwortung kann sich, soweit die Wirksamkeit der vorliegenden Anfechtung in Frage steht, nicht weiter erstrecken, als eine von der Klägerin verübte oder zu vertretende Täuschung vorliegt. Die festgestellte arglistige Täuschung bestand in der Vorspiegelung der unwahren Tatsache, bei der Klägerin liege ein fester Staatsauftrag für eine große Lieferung von 10,4 cm-Stahlgußrohlingen vor. Damit sollte auf die Willensentschließung der Beklagten eingewirkt werden; der Prokurist der Klägerin wollte den Eindruck erwecken, daß diese zur Lieferung von 10,4 cm-Stahlgußrohlingen durch die Umstände genötigt sei, mithin zur Lieferung von 15 cm-Granaten sich nur in beschränktem Umfange verstehen könne; das Gewicht des klägerischen Widerstandes sollte dadurch verstärkt und das Nachgeben der beklagten Seite erzielt werden. Dagegen erhellt nichts dafür, daß der Prokurist über die Vertrauenswürdigkeit der Klägerin habe täuschen wollen und daß er hierauf eine irreführende Tätigkeit gerichtet habe. Und ebensowenig kann gesagt werden, daß jener Umstand - eine die Vertrauenswürdigkeit der Klägerin beeinträchtigende Unwahrhaftigkeit in der Person ihres Vertreters - für sich genommen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte Gegenstand einer der Klägerin (in der Person ihres Vertreters) obliegenden Offenbarungspflicht gewesen wäre. In Ansehung des von der Revision behaupteten Mangels der Vertrauenswürdigkeit ist daher weder eine Vorspiegelung falscher Tatsachen noch ein pflichtwidriges Verschweigen festgestellt. In der Tatsache der Unwahrhaftigkeit, auf die die Revision abstellt, für sich genommen, kann folgeweise nicht noch ein weiteres Moment unzulässiger Willensbeeinflussung gefunden werden, demzufolge die Willenserklärung der Beklagten nach § 123 BGB. angefochten werden könnte. Ob auf ein solches Verhalten bei Erfüllung sonstiger Voraussetzungen ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB. gegründet werden könnte, braucht hier nicht weiter verfolgt zu werden.

Sofern die Vertrauenswürdigkeit in dem von der Revision gewollten Sinne nach Umständen eine gemäß § 119 Abs. 2 BGB. wesentliche Eigenschaft darstellt, wird darauf gegebenenfalls eine Anfechtung wegen Irrtums nach dieser Vorschrift gestützt werden können. In einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung kann unter Umständen auch eine solche wegen Irrtums gefunden werden. Dafür indessen, daß die hier vorliegende Anfechtung - wegen arglistiger Täuschung über den Abschluß der Klägerin mit der Spandauer Geschoßfabrik - auch eine Anfechtung wegen Irrtums über die Vertrauenswürdigkeit der Klägerin als Lieferantin der Beklagten in sich schließe und zum Ausdruck bringen solle, besteht kein Anhalt. Insbesondere hat die beklagte Seite selbst in dieser Hinsicht im Rechtsstreite nichts geltend gemacht.