RG, 14.10.1920 - VI 315/20
1. Bedeutung des Antrags, die Hauptsache für erledigt zu erklären.
2. Fällt das Interesse an der negativen Feststellungsklage weg, wenn während ihrer Anhängigkeit der Beklagte mit bei gleichen Behauptung, der sie entgegentritt, Vollstreckungsgegenklage gegen den Kläger erhebt?
Tatbestand
Die Klägerin hat in den abgetretenen Rechten des Kaufmanns Paul G. für eine auf einer Provisionsforderung des G. beruhende Wechselschuld der Beklagten von 15400 M im November 1915 Zahlungs- und am 6. Dezember 1915 Vollstreckungsbefehl gegen sie erwirkt, auch auf Grund des letzteren, der rechtskräftig geworden ist, mehrfach Vollstreckungshandlungen gegen sie vorgenommen. Im Jahre 1918 behaupteten die Beklagten, daß ihnen gegen die Klägerin eine Gegenforderung von 4360 H zustehe; am 1. Dezember 1915 habe nämlich G., als die Kantine, die die Beklagten gepachtet hatten, durch seine Vermittlung auf einen neuen Pächter überging, ihnen Papiergeld im Mindestbetrage von jener Summe weggenommen. Die Klägerin habe die Handlung des G., mit dem sie in wilder Ehe lebe und der ihr Generalvertreter gewesen sei, zu vertreten.
Daraufhin hat Klägerin Anfang 1913 Klage auf Feststellung erhoben, daß die Beklagten eine solche Forderung nicht haben und auf ihre Schuld an die Klägerin nicht verrechnen können.
Nach Erhebung dieser Klage haben die Beklagten Vollstreckungsgegenklage gegen die Klägerin angestellt mit dem Antrag, die Vollstreckung aus dem Vollstreckungsbefehl vom 6. Dezember 1915 für unzulässig zu erklären. Nach diesem Prozeß sind die Gegenforderung von 4360 M, aber auch noch andere angeblichen Zahlungen und Gegenforderungen der Beklagten streitig.
Im gegenwärtigen Prozeß beantragte nun die Klägerin im landgerichtlichen Termin vom 30. April 1919 mit Rücksicht auf die Vollstreckungsgegenklage, die Hauptsache für erledigt zu erklären und den Beklagten die Kosten aufzuerlegen. Die Beklagten, die die Abweisung der Klage beantragt hatten, stellten hierzu keinen Antrag. Das Gericht vertagte die Verkündigung einer Entscheidung, Mit Schriftsatz vom 2. Mai 1919 focht die Klägerin ihre Erklärung, daß die Hauptsache erledigt sei, wegen Irrtums an und hielt ihren ursprünglichen Klagantrag in der wieder eröffneten Verhandlung aufrecht. Das Landgericht wies die Klage ab, weil der Klägerin, nachdem die Vollstreckungsgegenklage erhoben war, das rechtliche Interesse an der beantragten Feststellung fehle. Das Oberlandesgericht gab der Klage statt.
Die Revision der Beklagten ist zurückgewiesen worden.
Gründe
Das Berufungsgericht hält die Behauptung der Beklagten, daß G. ihnen Geld entwendet oder veruntreut habe, für unerwiesen, daher die Klage für sachlich begründet. Dies wird von der Revision nicht angefochten. Zu prüfen ist mithin nur, ob der Antrag der Klägerin, die Hauptsache für erledigt zu erklären, der Fortführung der Klage entgegenstand, und ob die Klägerin kein rechtliches Interesse an der Klage mehr hatte, als die Beklagten die Vollstreckungsgegenklage erhoben. Beides ist zu verneinen.
1.
Das Berufungsgericht stellt den Vorgang im Termine vom 30. April 1919, woraus die Beklagten den Verlust des Klagerechts ableiten wollen, des näheren wie folgt fest: Der Anwalt der Klägerin habe nach Verlesung des Klagantrags Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung über die Vollstreckungsgegenklage beantragt. Die Beklagten hätten der Aussetzung widersprochen und Abweisung der Klage beantragt. Nach Verhandlung zur Sache habe Klägerin Vertagung beantragt, und als die Beklagten der Vertagung widersprachen, erklärt, die Hauptsache sei erledigt, worauf die Sache zum Spruch vertagt worden sei. Die Erklärung der Klägerin sei durch die Bemerkung des Vorsitzenden veranlaßt worden, daß durch die Vollstreckungsgegenklage und den rechtskräftigen Titel der Klägerin die negative Feststellungsklage wohl erledigt sei.
Das Berufungsgericht untersucht die Bedeutung der Erklärung der Klägerin, die wegen Irrtums nicht angefochten werden könne, und kommt zu dem Ergebnis, daß die Klägerin keinesfalls das Bestreiten der Gegenforderung habe aufgeben wollen, daher auf den Klaganspruch nicht verzichtet habe. Ebensowenig bilde die Erklärung eine wirksame Klagerücknahme. Zwar bedeute sie, daß die Klägerin den Anspruch nicht mehr mit der erhobenen Klage verfolgen, also diese Klage zurücknehmen wollte. Die Beklagten halten jedoch weder ausdrücklich noch durch schlüssige Handlungen in die Rücknahme eingewilligt, sondern die Abweisung der Klage beantragt. Der Prozeß habe also seinen Fortgang genommen, als hätte Klägerin die Erklärung nicht abgegeben, und sie sei in der Lage gewesen, den fallen gelassenen Klageantrag wieder aufzunehmen, was sie auch getan habe. Auch dem hätten die Beklagten nicht widersprochen.
Diese Ausführungen sind rechtlich einwandfrei. Der Antrag einer Partei, die Hauptsache für erledigt zu erklären, findet in der ZPO. nur eine ganz beschränkte Unterlage (so in §§ 98, 99 Abs. 2, § 628). Er bedarf daher der Auslegung und ist zumeist als Verzicht auf den geltend gemachten Anspruch (§ 306) oder als Rücknahme der Klage aufzufassen; letzteres auch dann, wenn der Kläger den Antrag stellt, weil er befriedigt worden sei oder sich mit dem Beklagten verglichen habe oder dergleichen. Beantragt der Kläger zugleich, dem Beklagten die Kosten aufzuerlegen, so kann es zweifelhaft sein, ob er von dem Prozeß abstehen will. Wenn hier das Berufungsgericht trotz dieses Antrags eine Klagerücknahme annimmt, so ist dies nach Lage des Falles nicht zu beanstanden. Daß die Klägerin auf ihren Anspruch nicht verzichten wollte, ergibt sich ohne weiteres daraus, daß sie der Meinung war, er müsse in dem Vollstreckungsprozeß zum Austrag kommen. Zutreffend nimmt das Berufungsgericht weiter an, daß die in dem Antrag enthaltene Klagerücknahme mangels Einwilligung der Beklagten gemäß § 271 ZPO. wirkungslos geblieben sei und von der Klägerin durch Aufnahme des Klagantrags beseitigt werden konnte.
Die Revision ist der Ansicht, das Berufungsgericht verneine mit Unrecht, daß Klägerin auf den geltend gemachten Anspruch verzichtet habe. Dabei sei nicht beachtet. daß sie keine Leistungs-, sondern Feststellungsklage angestrengt habe, und daß die Erklärung, diese sei in der Hauptsache erledigt, nur bedeuten konnte, daß der Feststellungsanspruch, weil infolge der Vollstreckungsgegenklage das Interesse daran weggefallen sei, seine Erledigung gefunden habe. Die Rüge geht fehl. Der Unterschied zwischen Klagerücknahme und Verzicht auf den Anspruch im Sinne des § 306 ZPO. besteht gerade darin, daß mit jener der eingeschlagene Prozeßweg, mit dem Verzicht aber das verfolgte (materielle) Recht aufgegeben wird, Bei der negativen Feststellungsklage, wie sie hier erhoben wurde, handelte es sich darum, ob die Gegenforderung den Beklagten zustand oder nicht zustand. Der Verzicht der Klägerin auf den geltend gemachten Anspruch konnte also nur in dem Anerkenntnis der Gegenforderung bestehen. Der Verzicht auf Feststellung in dem gegenwärtigen Prozeß, weil Klägerin nach Erhebung der Vollstreckungsgegenklage kein Interesse mehr daran habe, würde kein Verzicht auf den Anspruch, sondern nur ein Abstehen von der Rechtsverfolgung in diesem Prozeß, m. a. W. ein Rückzug der Klage gewesen sein, der der Einwilligung der Beklagten bedurfte.
2.
Ob die Klägerin ein rechtliches Interesse an der beantragten Feststellung noch in dem maßgebenden Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hatte, ist von Amts wegen zu prüfen, unabhängig davon, daß die Revision in diesem Punkt das Berufungsurteil nicht bemängelt. Bedenkenfrei hält das Berufungsgericht das rechtliche Interesse der Klägerin, dessen ursprüngliches Vorhandensein außer Streit ist, nicht dadurch für weggefallen, daß die Beklagten nachträglich die Vollstreckungsgegenklage angestrengt haben. Die Frage, ob grundsätzlich und schlechthin das rechtliche Interesse des Klägers an der negativen Feststellungsklage um deswillen erlischt und sie abgewiesen werden muß, weil der Beklage mit der gleichen Behauptung, der sie entgegentritt, eine Vollstreckungsgegenklage erhebt, ist zu verneinen. Der gegenteiligen Ansicht steht schon entgegen, daß die Vollstreckungsgegenklage ein anderes Ziel hat als die Feststellungsklage; daß ihre Voraussetzungen unter Umständen eine weitläufige, den Prozeß in große Länge ziehende Prüfung erfordern; daß ohne zwingende Gründe dem Gläubiger sein Klagerecht, mit dem er zuerst auf den Plan tritt, nicht ohne weiteres durch eine spätere Klage des Schuldners entwunden werden sollte. Wohl vermag, wie der Senat in der Entscheidung RGZ. Bd. 71 S. 68 ausgesprochen hat, die Leistungsklage die negative Feststellungsklage aus den Angeln zu heben. Die Erwägungen, auf denen dieses Urteil beruht, treffen aber nur zum kleineren Teil auf das Verhältnis der negativen Feststellungsklage zur Vollstreckungsgegenklage zu. Daher ist nach der Lage des Einzelfalls, wonach sich überhaupt beurteilt, ob ein rechtliches Interesse an der Erhebung und Weiterverfolgung der Feststellungsklage vorhanden ist, zu untersuchen, ob die negative Feststellungsklage trotz der Anstellung der Vollstreckungsgegenklage ihre Berechtigung behält. Hier hat die Klage aus § 767 ZPO. nicht bloß das Bestehen der streitigen, sondern auch das anderer Gegenforderungen und Zahlungen zum Gegenstande. Der Klägerin kann nicht zugemutet werden, sich bis zum Austrag des Streites über alle diese Posten die Berühmung der Beklagten gefallen zu lassen, die den Makel auf sie wirft, daß sie mit einem Diebe unter einer Decke stecke und sich mit seiner Beute bereichert habe. Zudem war nach der Feststellung des Berufungsgerichts die Klage bereits zur Entscheidung reif, als die Beklagten in der Vollstreckungsgegenklage erstmalig streitig verhandelten, und auch deswegen konnte durch letztere das rechtliche Interesse der Klägerin nicht ausgeräumt werden (vgl. JW. 1909 S.417 Warneyer 1916 Nr. 106).