RG, 14.10.1918 - VI 190/18
1. Kann dem Staate, der gemäß § 12 des Unfallfürsorgegesetzes für Beamte und für Personen des Soldatenstandes vom 18. Juni 1901 (RGBl. S. 211) auf Ersatz des dem verunglückten Beamten zu zahlenden Ruhegehalts klagt, mit Erfolg eingewendet werden, der Unfall habe die Dienstunfähigkeit nicht herbeigeführt und die Zuruhesetzung sei deshalb nicht gerechtfertigt?
2. Bedarf es für den in dieser Vorschrift vorausgesetzten ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Zuruhesetzung des verunglückten Beamten stets der Feststellung des Gerichts, daß der Beamte infolge des Unfalls dienstunfähig geworden ist?
Tatbestand
Am 5. Juni 1912 entgleiste ein Zug der von dem Beklagten betriebenen Kleinbahn Scherrebeck-Oberjersdal infolge falscher Weichenstellung. Hierbei erlitt der im Dienste des Klägers stehende Postschaffner U., der den Zug postdienstlich zu begleiten hatte, eine Beschädigung, wegen deren er unter dem 19. September 1914 zum 1. Januar 1915 in den Ruhestand versetzt worden ist. Sein Ruhegehalt beträgt jährlich 1347 M. Diesen Betrag verlangt der Kläger vom Beklagten ersetzt für die Zeit vom 1. Januar 1915 bis zum vollendeten 65. Lebensjahre des Verunglückten (1. August 1934), eventuell bis zu dessen vorher eintretendem Tode. Rechtlich wird dieses Begehren gestützt auf § 1 des Haftpflichtgesetzes und § 12 des Unfallfürsorgegesetzes für Beamte und für Personen des Soldatenstandes vom 18. Juni 1901. Die Vorinstanzen willfahrten dem Klagbegehren. Die Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen
"Der Beklagte hat bestritten, daß die Zuruhesetzung des A. eine notwendige Folge des Unfalls gewesen sei, und hat sich dafür auf das Gutachten der chirurgischen Universitätsklinik zu K. vom 26. Juni 1917 berufen, wonach A. nicht dienstunfähig war oder ist, eine Versetzung in den Ruhestand wegen des Unfalls vom 5. Juni 1912 nicht erforderlich, vielmehr höchstens nach dem Maßstabe des allgemeinen Arbeitsmarkts eine Arbeitsbeschränkung von 10% eingetreten war.
Das Berufungsgericht stellt fest, daß die Beschädigung, wegen deren die Zuruhesetzung erfolgt ist, eine Folge des Unfalls gewesen sei. Es führt aus, daß dem Verunglückten gegenüber vom Beklagten nicht mit Erfolg eingewendet werden könnte, die Zuruhesetzung sei zu Unrecht erfolgt, weil eine dauernde Dienstunfähigkeit nicht vorgelegen habe; hierüber habe lediglich die vorgesetzte Dienstbehörde zu befinden und eine Nachprüfung ihrer Entscheidung sei den Gerichten nicht verstattet. Ein eigenes Verschulden könne dem Kläger -- in Ansehung der Prüfung und Entscheidung bezüglich der Dienstfähigkeit des A. -- gleichfalls nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, weil dem Kläger kein selbständiges Klagrecht, sondern nur ein solches aus der Person des A. zustehe. Es falle aber auch tatsächlich dem Kläger in der Person seiner berufenen Vertreter kein solches Verschulden zur Last; die Annahme, daß A. dienstunfähig sei, finde in den Feststellungen der Ärzte und in deren Gutachten eine ausreichende Grundlage. ... Das erst nach der Zuruhesetzung ergangene Gutachten der Klinik zu K. vom 26. Juni 1917 könne für die Frage, ob der Kläger nach dem Materiale, das ihm zur Zeit seiner Anordnung vom 10. September 1914 vorgelegen habe, fahrlässigerweise die Außerdienststellung verfügt habe, keine Verwendung finden.
Gegen diesen letztangeführten Satz wendet sich die Revision: das Berufungsgericht habe insbesondere im Hinblick auf das Gutachten vom 26. Juni 1917 würdigen müssen, ob, worauf schon die Berufungsbegründung hingewiesen habe, A. infolge des Unfalls dienstunfähig geworden sei. Diese Frage sei der Beurteilung der Gerichte nicht entzogen. Zu Unrecht habe sich das Berufungsgericht auf die Frage beschränkt, ob der Klage ein Einwand aus § 254 BGB. entgegengestellt werden könne.
Die Revision war zurückzuweisen. Die Regelung des § 12 UFG. dient dazu, der Person, die im Ergebnis durch den von dem Dritten zu vertretenden Unfall in ihrem Vermögen beschädigt ist, so dem Staate, der den verunglückten Beamten vorzeitig zuruhesetzen und zugleich an seiner Stelle einen neuen Beamten anstellen muß, auf einem Umwege Schadensersatz zu verschaffen (RGZ. Bd. 73 S. 216). Nach allgemeinen Rechtssätzen kann solcher nicht verlangt werden; dem Kläger als nur mittelbar Verletzten steht weder nach § 823 BGB. vergl. mit §§ 844, 845 noch nach den Vorschriften des Reichshaftpflichtgesetzes ein Schadensersatzanspruch zu. Es steht ihm nur nach § 12 UFG. ein Anspruch gegen den Beklagten zu, dieser übrigens auch dann, wenn er, was ja nicht ausgeschlossen ist, durch die Zuruhesetzung des Beamten gar keinen Schaden erlitten haben sollte. Dieser Anspruch ist hier der dem Verunglückten nach § 1 RHpflG. entstandene Anspruch, der alsbald mit seiner Entstehung in einem gewissen Umfang im Wege einer gesetzlichen Abtretung auf den Kläger übergegangen ist (RGZ. Bd. 80 S. 20, Bd. 82 S. 257, VI. 426/17).
Ob das Berufungsgericht auf dieser Grundlage den Vorwurf eines dem Kläger selbst bezüglich der Zuruhesetzung zur Last fallenden eigenen Verschuldens mit Recht für unstatthaft erklärt hat, kann dahinstehen; weder insoweit noch bezüglich der weiteren Ausführung, daß tatsächlich dieser Vorwurf nicht begründet sei, die Postbehörde vielmehr ohne Fahrlässigkeit die Zuruhesetzung des A. verfügt habe, ist ein Revisionsangriff erhoben worden. Dagegen ist es zu billigen, wenn das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, daß darüber, ob A. in der Tat dienstunfähig geworden und deshalb die Zuruhesetzung auszusprechen war, lediglich die vorgesetzte Dienstbehörde zu entscheiden habe (§ 155 RBeamtG., vgl. RGZ. Bd. 82 S. 262) und ihre Entscheidung im Rechtswege nicht einer Nachprüfung auf ihre Richtigkeit unterzogen werden könne. Diese dem Beamtenverhältnis des Verunglückten entfließende Beschränkung, die, wenn er selbst dem dritten Schädiger gegenüber Entschädigungsansprüche wegen seiner Zuruhesetzung zu verfolgen hat. ihn des Nachweises überhebt, daß die Zuruhesetzung wegen eingetretener Dienstunfähigkeit geboten war, muß auch dann Platz greifen, wenn wie hier der Staat aus den Rechten des Verletzten den ihm in § 12 UFG. eingeräumten Schadensersatzanspruch gegen den Dritten verfolgt.
Auch der Kläger hat demgemäß im vorliegenden Falle nicht mehr darzutun, als daß zwischen dem Unfall und der Zuruhesetzung des Verunglückten ein ursächlicher Zusammenhang besteht solcher Art, daß er im Rechtssinne zu beachten ist. Ein solcher ist nicht ausschließlich bedingt durch die -- von der Revision vermißte -- Feststellung der Dienstunfähigkeit; er ist auch dann anzunehmen, wenn der Unfall zur Zuruhesetzung geführt hat und dieser Verlauf als adäquat, nicht als ungewöhnlich anzusehen ist. Ob eine willkürliche, etwa nur äußerlich an den Unfall anknüpfende Zuruhesetzung einerseits oder etwa ein bewußt unberechtigtes Herbeiführen der Zuruhesetzung seitens des Verunglückten anderseits als inadäquate Verursachung anzusehen oder ob insoweit nach der einen oder nach der andern Richtung überhaupt eine Unterbrechung des ursächlichen Zusammenhanges anzunehmen sein würde, braucht hier grundsätzlich nicht entschieden zu werden. Denn nach den vom Berufungsgericht einwandfrei und ohne Rechtsirrtum getroffenen Feststellungen trifft hier weder das eine noch das andere zu. Vielmehr ist festgestellt, daß ein sachlich berechtigtes, ordnungsmäßig verlaufendes behördliches Verfahren der Zuruhesetzung vorausgegangen ist, das an die unmittelbaren Unfallfolgen angeknüpft hat. Darin ist eine ausreichende Feststellung jenes ursächlichen Zusammenhanges zu finden, die die Entscheidung trägt." ...