RG, 14.11.1879 - II 116/79

Daten
Fall: 
Receptum des Gastwirtes
Fundstellen: 
RGZ 1, 83
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
14.11.1879
Aktenzeichen: 
II 116/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Stadtgericht Gießen.
  • Hofgericht Gießen.

Ist Reception erfolgt, wenn dem Führer eines von dem Gastwirte an den Bahnhof zu den ankommenden Bahnzügen gesendeten Wagens von einem Reisenden mit dem Bemerken, daß er in dem betreffenden Gasthofe absteigen wolle, Gegenstände übergeben worden sind eigenes Verschulden des Gastes?

Gründe

"In 1. 3 pr. Dig. nautae caupones 4. 9 ist keineswegs ein speciell nur für Schiffer geltender Satz ausgesprochen, sondern es ist der in dem Edikt für Schiffer und Gastwirte ausgesprochene allgemeine Grundsatz:

quod cujusque salvum fore receperint, nisi restituent, in eos judicium dabo (1.1. Dig. eod.)

auf den in jener Stelle angeführten Fall angewendet.

Der Aufnahmeakt, wie er vom Gesetze für die Haftbarkeit des Wirtes vorausgesetzt wird, fällt daher nicht notwendig mit der Aufnahme des Gastes im Gasthause und der Illation der betreffenden Sachen in dieses zusammen und wäre z. B. in dem Falle unzweifelhaft als erfolgt anzunehmen, wenn jemand einen Wirt von seiner Ankunft mit dem Ersuchen, einen Wagen an den Bahnhof zu senden, benachrichtigt hätte, und die dem Führer des Wagens übergebenen Gegenstände, ehe diese oder der Reisende selbst in das Gasthaus gekommen, entwendet worden wären. Anders ist aber auch der vorliegende Fall nicht zu beurteilen. Es ist dem vorigen Richter beizustimmen, wenn er im Hinblick auf die tatsächlich bestehende Übung annimmt, daß, wenn ein Gastwirt einen Wagen zu den ankommenden Bahnzügen absendet, hierin eine Aufforderung an die Reisenden liege, in seinem Gasthause Unterkommen zu nehmen und zu diesem Behufe sich des Wagens für ihre Person und ihr Gepäck zu bedienen. Ist dem so, so müssen diejenigen Personen, denen der Gastwirt die Führung des Wagens überläßt, als von ihm beauftragt gelten, das Gepäck der Reisenden zu übernehmen, und daß eine den Wirt verpflichtende Übernahme des Gepäcks erfolgt sei, läßt sich zum mindesten dann nicht bezweifeln, wenn der Reisende dasselbe mit dem Bemerken, daß er in dem betreffenden Gasthofe absteigen wolle, dem Führer des Wagens übergeben und dieser es ohne Widerspruch angenommen hat. Wenn beklagterseits geltend gemacht wird, es könne dem mit dem Wagen ankommenden Reisenden vom Wirte die Aufnahme in das Gasthaus immer noch verweigert werden, so kann dies als richtig, unterstellt werden; jedenfalls wäre eine solche Abweisung eines Reisenden - eben, weil in der Absendung des Wagens jene Aufforderung und nicht, wie der Beklagte will, eine Aufforderung an die Reisenden, ihrerseits erst Offerten zu machen, liegt, nicht anders zu beurteilen, als die Weigerung des Wirtes, einen im Gasthause aufgenommenen Gast länger zu beherbergen, wodurch er sich selbstverständlich der durch die bisherige Beherbergung entstandenen Verbindlichkeiten nicht entledigen kann. . . .

Ist hiernach anzunehmen, daß eine Aufnahme der angeblich entwendeten Gegenstände, wie solche vom Gesetze für die Haftbarkeit des Wirtes bezüglich der von ihm aufgenommenen Gegenstände vorausgesetzt wird, erfolgt sei, so ist gleichwohl insoweit, als Ersatz von entwendetem Gelde und geldeswerten Papieren verlangt wird, die Klage - und zwar deshalb abzuweisen, weil der Kläger diesen Verlust durch unvorsichtiges Benehmen mit verschuldet hat.1 Eine Unvorsichtigkeit ist nämlich darin zu erblicken, daß der Kläger die fragliche Handtasche, ohne dem Kutscher zu sagen, daß dieselbe eine größere Summe Geldes. (987 M.) enthalte, in den Omnibus verbringen ließ, während er keineswegs annehmen konnte, daß der Omnibus sofort werde zurückgebracht werden, dem Kläger auch bekannt sein mußte, daß zur Bewachung des Omnibus außer dem Kutscher niemand zugegen war.

Zu diesem Resultate mußte man um so mehr gelangen, als zwar eine analoge Ausdehnung der Bestimmung des Art. 395 H.G.B. über die Haftbarkeit der Frachtführer auf das hier in Anwendung kommende Recht über die Haftbarkeit der Gastwirte nicht statthaft ist, es jedoch keinem Anstande unterliegen kann, das Princip, welches diesem Gesetze zu Grunde liegt, bei Entscheidung der Frage der eigenen Verschuldung des Gastes insofern heranzuziehen, als man diesem in dem Falle, wenn er Gegenstände von besonderem Werte, welche als solche nicht erkennbar sind, einem Bediensteten des Gastwirtes zur Beförderung übergiebt, zumuten kann, seinerseits eine gewisse Sorgfalt, insbesondere in Beachtung der Umstände, unter denen die Übernahme der Gegenstände durch den Bediensteten geschieht, zu beobachten."

  • 1. Amtl. Anm.:
    Vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 25 Nr. 79 S. 339.