RG, 14.11.1879 - III 168/79

Daten
Fall: 
Zulässigkeit der provisorischen Verfügung vor der Entmüdigungserklärung
Fundstellen: 
RGZ 1, 107
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
14.11.1879
Aktenzeichen: 
III 168/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • KG Wiesbaden.
  • Appellationsgericht Wiesbaden.

Ist nach preußischem Rechte vor der Entmündigungserklärung eine provisorische Verfügung zulässig, kraft deren jemandem wegen Verschwendung die Handlungsfähigkeit entzogen werden kann?

Tatbestand

Der als minderjährig unter Vormundschaft stehende C. W. wurde am 16. Mai 1878 volljährig. Etwa 6 Wochen vorher beantragten die Geschwister desselben, ihn mit eintretender Volljährigkeit wegen Verschwendung unter Vormundschaft zu stellen. Während dieses Gesuch im Auftrage des für die Entmündigung zuständigen Kreisgerichtes in der Instruktion begriffen war, wurde (auf Anregung des Kreisgerichtes) von dem Amtsgerichte als Vormundschaftsgericht am 17. Mai 1878 "eine Pflegschaft für die Dauer der wegen Anordnung einer Vormundschaft eingeleiteten Verhandlungen" verfügt und der bisherige Vormund "als Pfleger zur Verwaltung des Vermögens des C. W." bestellt. Nach Beendigung der Sachuntersuchung wurde dann C. W. durch Beschluß des Kreisgerichtes vom 5. November 1878 für einen Verschwender erklärt und unter Vormundschaft gestellt, dieser Beschluß aber erst am 16. November ihm behändigt.

Am 9. November 1878 hatte C. W. zu Gunsten des B. einen Wechsel ausgestellt, welchen B. jetzt gegen den Vormund einklagte. Dieser wandte ein, daß zufolge des am 5. November gefaßten Entmündigungsbeschlusses, jedenfalls aber zufolge des eine vorläufige Pflegschaft anordnenden Beschlusses vom 17. Mai C. W. am 9. November einen Wechsel nicht mehr rechtsgültig habe zeichnen können.

Die beiden Vorinstanzen erachteten durch die Verfügung vom 17. Mai die Handlungsfähigkeit des C. W. am 9. November für aufgehoben. Das Appellationsgericht sprach aus: Die Anordnung der Pflegschaft "zur Verwaltung des Vermögens" habe die Entziehung des freien Verfügungsrechtes für C. W. selbstverständlich in sich geschlossen. Zu dieser Anordnung sei das Vormundschaftsgericht nach §. 90 des Ges. vom 5. Juli 1875 jedenfalls formell befugt gewesen. Die Frage aber, ob diese Maßregel materiell gerechtfertigt gewesen, könne im Prozeßwege nicht entschieden werden.

Auf erhobene Nichtigkeitsbeschwerde vernichtete das Reichsgericht diese Entscheidung aus folgenden Gründen:

Gründe

"Indem das Amtsgericht am 17, Mai 1878 eine Pflegschaft zur Verwaltung des Vermögens des C. W. anordnete, hat es eine Entmündigung desselben nicht ausgesprochen. Wollte man aber auch annehmen, das Amtsgericht habe durch diese Anordnung provisorisch eine Entmündigung für C. W. herbeiführen wollen, so würde ihm doch die Zuständigkeit hierfür gefehlt haben, da eine Entmündigung nur auf Grund des Verfahrens, für welches nach §. 10 Nr. 3b der Verordnung vom 26. Juni 1867 das Kreisgericht für zuständig erklärt ist, ausgesprochen werden kann. Das Amtsgericht würde durch einen solchen, wenn auch nur provisorischen Ausspruch der Entmündigung seine Zuständigkeit überschritten haben und daher auch nicht einmal formell zu demselben befugt gewesen sein. Der Kläger erscheint daher berechtigt, auch im Prozeßwege die Unwirksamkeit einer solchen Anordnung geltend zu machen.

Ebensowenig, konnte die am 5. November 1878 erfolgte Beschlußfassung des Kreisgerichtes sofort die Entmündigung des C. W. herbeiführen, indem dieser Beschluß keinesfalls vor der erst am 16. November 1878 erfolgten Bekanntmachung an C. W. in Wirksamkeit trat; auch eine etwaige frühere Kenntnis des Klägers von der Beschlußfassung des Gerichtes hieran nichts zu ändern vermag.

C. W. war hiernach am 9. November 1878 handlungsfähig, und die in dieser Beziehung gegen den Wechsel erhobenen Einwendungen erscheinen verwerflich."