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RG, 12.10.1920 - VII 152/20

Daten
Fall: 
Auslegung des § 1566 BGB
Fundstellen: 
RGZ 100, 112
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
12.10.1920
Aktenzeichen: 
VII 152/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Verden
  • OLG Celle

Zur Auslegung des § 1566 BGB.

Tatbestand

Der Kläger verlangte mit der Klage auf Grund des § 1565 BGB., die Beklagte mit der Widerklage auf Grund bei §§ 1568 und 1566 Scheidung ihrer Ehe. Das Landgericht hat unter Abweisung der Widerklage die Ehe wegen Ehebruchs der Beklagten geschieden. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht den Kläger auf Grund des § 1566 für gleichfalls an der Ehescheidung schuldig erklärt.

Seine Revision wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

Die Revision bemängelt nicht, daß der Berufungsrichter als erwiesen angesehen hat, daß der Kläger am 9. April 1919 bei dem Vorfall im Gerichtsgebäude des Amtsgerichts zu Hagen den Schuß, der die Beklagte gestreift hat, absichtlich auf die Beklagte gerichtet und bei dieser Tat sich nicht in einem seine Verantwortlichkeit ausschließenden Zustand befunden hat. Die Revision vermißt aber eine Feststellung, daß der Kläger diesen Schuß in der Absicht die Beklagte zu töten abgegeben hat, und sie sucht weiter darzulegen, daß, auch wenn eine solche Feststellung in dem Berufungsurteil enthalten sein sollte, der Tatbestand des § 1566 um deswillen nicht vorliegen würde, weil in dem festgestellten, auf eine plötzliche leidenschaftliche Erregung zurückzuführenden Angriff auf das Leben des anderen Ehegatten ein "Trachten nach dem Leben" im Sinne des Gesetzes nicht zu finden sein würde. In beiden Richtungen ist der Revision nicht zuzustimmen.

Allerdings ist im Berufungsurteil nicht ausdrücklich ausgesprochen, daß der Kläger, als er den gezielten Schuß auf die in seiner Nähe befindliche Beklagte abgab, die Absicht gehabt hat, sie zu töten, allein die Urteilsausführungen lassen in ihrem Zusammenhange darüber keinen berechtigten Zweifel, daß das Vorhandensein dieser Tötungsabsicht als erwiesen angesehen ist. Ist aber daran festzuhalten, daß der Kläger durch die Abgabe des Schusses auf die Beklagte die ernstliche Absicht, sie zu töten, betätigt hat, so hat der Berufungsrichter auch mit Recht in diesem Verhalten ein "Trachten nach dem Leben" im Sinne des § 1566 erblickt. Da weder in dieser gesetzlichen Vorschrift noch auch an der anderen Stelle, an der das BGB. an das "Trachten nach dem Leben" eines anderen eine rechtliche Folge knüpft (vgl. § 2333), näher gesagt wird, was das Gesetz unter einem solchen "Trachten nach dem Leben" verstanden wissen will, so ist von dem allgemeinen Sprachgebrauch auszugehen. Danach trachtet nach dem Leben eines anderen, wer dessen Tod durch sein Tun "erstrebt", wer sich den Tod des anderen als "Ziel" seines Tuns gesetzt hat. Das tut aber auch derjenige, der nicht auf Grund vorbedachter Überlegung, sondern auf Grund eines plötzlichen, durch Erregung hervorgerufenen Entschlusses, den Tod eines anderen herbeizuführen, dazu übergeht, Handlungen vorzunehmen, die auf die Herbeiführung dieses Todes abzielen.

Auch der gesetzgeberische Gedanke, der der Aufnahme der Lebensnachstellung unter die absoluten Scheidungsgründe zugrunde liegt, rechtfertigt keineswegs, wie die Revision meint, eine verschiedene Beurteilung des mit Vorbedacht ausgeführten Mordversuchs und des in Erregung verübten Totschlagsversuchs. Als leitender Gedanke wird in der Begründung zum Entwurf des BGB. angegeben, daß ein ernstlich auf die Vernichtung des Lebens des anderen Ehegatten abzielendes Tätigwerden eines Gatten sich objektiv als eine so schwere und unmittelbare Verletzung der ehelichen Pflichten darstellt, daß in diesen Fällen die Scheidung nicht erst davon abhängig gemacht werden dürfe, ob der Richter die Überzeugung gewinnt, daß im gegebenen Falle die Fortsetzung der Ehe dem verletzten Gatten in der Tat unerträglich geworden ist (vgl. Motive Bd. 4 S. 575). Die Betätigung des ernstlichen Willens, das Leben des anderen Ehegatten zu vernichten, wird als in einem so großen Widerspruche, mit der rechten ehelichen Gesinnung stehend erachtet, daß ein solches Tätigwerden als ein zur Scheidung unter allen Umständen berechtigender Grund in das Gesetz aufgenommen worden ist. Nichts weist darauf hin, daß noch ein Mehreres, ein eine gewisse Beharrlichkeit zeigendes, vorbedachtes Handeln vorliegen müsse, um ein "Trachten nach dem Leben" im Sinne des Gesetzes als gegeben ansehen zu können. Die abweichende Ansicht der Revision hat denn auch weder in der Rechtsprechung noch in der Wissenschaft Vertretung gefunden. Allgemein wird als entscheidend bezeichnet die in die äußere Erscheinung getretene Betätigung der ernstlichen Absicht, den Tod des anderen Ehegatten herbeizuführen, und eine solche Betätigung der ernstlichen Tötungsabsicht wird auch im Falle des Totschlagsversuchs von allen den Schriftstellern als vorliegend bezeichnet, die überhaupt bei ihrer Erörterung der Vorschrift des § 1566 den Fall des Totschlagsversuchs mit heranziehen.