RG, 12.10.1920 - II 157/20

Daten
Fall: 
Abstrakte Schadensberechnung
Fundstellen: 
RGZ 100, 112
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
12.10.1920
Aktenzeichen: 
II 157/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Köln, Kammer für Handelssachen
  • OLG Köln

1. Ist gegenüber dem Käufer, der Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Vertrages fordert und den Schaden abstrakt berechnen will, der Einwand zulässig, daß er unter den besonderen Umständen des Falles tatsächlich keinen Schaden erlitten habe ?
2. Kann der Käufer in die Schadensrechnung einen Gewinn als entgangen einstellen, den er nur durch eine gegen die guten Sitten verstoßende Handlung hätte machen können?

Tatbestand

Die Klägerin hatte 5000 Paar Militärstiefel für 17 M das Paar verkauft und kaufte, um sich einzudecken, von der Beklagten die gleiche Anzahl für 18,75 M das Paar. Die Beklagte hat nicht geliefert, auch nicht, nachdem ihr unter Androhung des Rücktritts Nachfrist gesetzt war. Die Klägerin fordert Ersatz des Schadens, den sie abstrakt berechnet mit der Behauptung, daß der gängige Preis 22 M das Paar gewesen sei.

Während das Landgericht die Klage abwies, erklärte das Oberlandesgericht den Anspruch dem Grunde nach für berechtigt. Auf die Revision hat das Reichsgericht das Urteil erster Instanz wiederhergestellt.

Gründe

... Es steht fest, daß die Klägerin, als sie das gegenwärtige Geschäft abschloß, an die Gesellschaft für Heeresbedarf 5000 Paar Stiefel für 17 M das Paar verkauft hatte, und daß sie, um sich hierfür einzudecken, mit der Beklagten abschloß. Sie hat, da die Beklagte nicht lieferte, auch ihrerseits ihrer Abnehmerin nicht geliefert, ist von dieser auf Schadensersatz belangt und zur Zahlung von 7500 M (1,50 M das Paar Stiefel) verurteilt worden. Mit der Mehrforderung ist die damalige Klägerin abgewiesen worden. Die Entscheidung ist vor Erhebung der gegenwärtigen Klage ergangen und ist rechtskräftig geworden.

Den Standpunkt der Beklagten, daß danach die Klägerin aus der Nichterfüllung nicht nur keinen Schaden erlitten, sondern Vorteil gehabt habe, lehnt der Vorderrichter ab. Die Voraussetzungen abstrakter Schadenberechnung - so führt er aus - lägen vor; der Besteller sei nicht darauf beschränkt, den Schaden ersetzt zu verlangen, den er durch Nichtlieferung in seinem Geschäfte gehabt habe, er könne allgemein und als Mindestmaß die Anwendung der abstrakten Berechnung verlangen, es sei denn, daß besondere Umstände vorgelegen hätten, die einen Verkauf der Ware zum Marktpreise unmöglich gemacht hätten, was hier nicht dargetan sei.

Das greift die Revision mit Recht an. Richtig ist, daß an und für sich der Käufer freie Hand hat, ob er den Schaden konkret oder abstrakt berechnen will. Der Gegner hat keinen Anspruch auf die eine oder die andere Berechnungsart. Aber das ist ein allgemeiner Grundsatz, der Ausnahmen zuläßt und fordert. Denn immer bleibt es dabei, daß nur der wirkliche nachweisbare Schaden zu ersetzen ist und daß die Vertragsverletzung nicht zur Folge haben darf, daß ein ungerechtfertigter Gewinn gemacht wird. Die Zulassung abstrakter Berechnung beruht auf dem Gedenken einer Erleichterung des mit absoluter Sicherheit überhaupt nicht zu erbringenden und auf Unterstellungen größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeiten angewiesenen Nachweises des Schadens (vgl. RGZ. Bd. 90 S. 425). Ein solcher Beweis muß zurücktreten, wenn auf Grund feststehender Tatsachen ein positives Ergebnis sich mit Sicherheit erzielen läßt. Hier steht fest, daß die Klägerin die Stiefel für 18,75 M das Paar gekauft hat, um sie auf Grund eines vorausgegangenen Abschlusses ihrem Abnehmer für 17 M zu liefern, und es steht ferner fest, daß sie durch die Nichterfüllung dieses letzteren Vertrags einen Schaden von nur 1,50 M das Paar erlitten hat, während bei Erfüllung der Verträge ihr Schaden 1,75 M das Paar betragen haben würde. Allerdings war anscheinend inzwischen die Konjunktur gestiegen, und vielleicht hätte Klägerin, wenn die Beklagte geliefert hätte, die Stiefel unter Verletzung ihrer Vertragspflicht gegenüber ihrer Abnehmerin anderweit mit Vorteil verkaufen können. Aber ein solches Verfahren wäre ein gröblicher Verstoß gegen die guten Sitten gewesen, und wenn auch selbstverständlich die Beklagte keinen Anspruch darauf hatte, daß die Klägerin mit den gekauften Stiefeln in einer bestimmten Art und Weise verfuhr, so fällt es hier doch entscheidend in das Gewicht, weil von Rechts wegen niemand die Einbuße eines Gewinns geltend machen kann, den er nur durch ein sittenwidriges Verhalten hätte erzielen können.