RG, 05.10.1920 - VII 166/20
1. Kann ein im Ehescheidungsverfahren nach der letzten mündlichen Verhandlung entstandener Ehescheidungsgrund durch neue Klage (Restitutionsklage, Vollstreckungsgegenklage, negative Feststellungsklage) geltend gemacht werden?
2. Ist namentlich die Vollstreckungsgegenklage gegenüber rechtsgestaltenden Urteilen, insbesondere Ehescheidungsurteilen, so lange sie noch nicht die Rechtskraft beschritten haben, möglich?
Tatbestand
Die Klägerin hatte am 2. August 1912 im Alter von etwa 18 Jahren den damals 21 jährigen Beklagten geheiratet. Am 7. September 1914 mußte der Beklagte ins Feld rücken. Gegen Ende eines Urlaubs, der vom 12. bis zum 27. September 1916 währte, stellte sich nach den Angaben des Beklagten bei diesem ein eitriger Ausfluß ein, den er zunächst auf Überreizung infolge des reichlichen von den Parteien getriebenen Geschlechtsverkehrs zurückführte, der aber von dem behandelnden Arzt als Tripper festgestellt wurde. Er beschuldigte die Klägerin des außerehelichen Geschlechtsverkehrs und der Ansteckung, während diese umgekehrt gegen den Beklagten den Vorwurf des außerehelichen Verkehrs erhob.
Auf die von dem jetzigen Beklagten im Januar 1917 erhobene Ehescheidungsklage erging am 4. Januar 1919 auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 18. Dezember 1918 in der Berufungsinstanz ein bedingtes Endurteil, das dem Beklagten den Eid auferlegte, daß er seit der Eheschließung bis Mitte September 1916 keinen außerehelichen Geschlechtsverkehr gepflogen habe. Der jetzigen Klägerin gegenüber blieb die Ansteckungsfrage vom September 1916 dahingestellt, weil auf Grund ihres eigenen Geständnisses festgestellt wurde, daß sie später im September 1918 außerehelichen Geschlechtsverkehr hatte. Nachdem das Urteil rechtskräftig geworden, leistete der Beklagte am 23. Mai 1919 den ihm auferlegten Eid, und durch Läuterungsurteil vom 21. Juni 1919 wurde die Ehe auf die Klage des jetzigen Beklagten geschieden, die Widerklage abgewiesen und die jetzige Klägerin für allein schuldig an der Ehescheidung erklärt.
Im Läuterungsverfahren hatte, ohne daß dies berücksichtigt werden konnte (RGZ. Bd. 42 S. 372). bereits im April 1919 die jetzige Klägerin geltend gemacht, sie hätte erst Ende Januar 1919, also nach Erlaß des bedingten Endurteils, erfahren, daß der Beklagte mit einer Frauensperson ein ehebrecherisches Verhältnis unterhalte, das nicht ohne Folgen geblieben sei. Im laufenden Prozeß erhob zu derselben Zeit die Klägerin eine neue Klage, die sie auf § 767 ZPO. stützte und mit der sie beantragte, den Beklagten für mitschuldig an der Ehescheidung zu erklären. Sie benannte die Frauensperson, mit der der Beklagte noch vor der Scheidung in wilder Ehe gelebt und die inzwischen ein Kind geboren habe. Die Klage ist jedoch vom Landgericht als unzulässig abgewiesen und die Berufung sowie die Revision zurückgewiesen worden.
Gründe
Als Restitutionsklage (§ 580 ZPO.) ist die Klage nicht erhoben und konnte als solche auch nicht erhoben werden, weil deren Voraussetzungen, wie der Berufungsrichter zutreffend ausgeführt hat, offenbar nicht vorliegen. Eine Erweiterung dieses Klagerechts durch Ausdehnung auf andere als die im Gesetze angeführten Restitutionsgründe, wie sie die Revision angeregt hat, ist gesetzlich nicht zulässig.
Fraglich konnte nur die Anwendung des der Klage von vornherein zugrunde gelegten § 767 ZPO. sein, auch sie aber nur insoweit, als die Klägerin Einwendungen gegen die Verurteilung im Vorprozesse erhoben hat. Eine abgewiesene Klage kann auf Grund dieser Vorschrift nicht von neuem zur Erörterung gestellt werden. Deshalb war es offenbar unzulässig, wenn die Klägerin mit der Klage zuerst ihre ganzen Widerklageanträge von neuem zu verfolgen gedachte; und der schließlich allein aufrechterhaltene Antrag auf Mitschuldigerklärung des Beklagten konnte auch nur als Einwand nach § 1574 Abs. 3 BGB. in Betracht kommen.
Aber auch in diesem beschränkten Umfange läßt sich die Klage nicht aufrechterhalten, weil die sonstigen Voraussetzungen des § 767 ZPO. nicht als vorhanden angenommen werden können. Die des Abs. 2 dieser Vorschrift würden allerdings vorliegen, denn wenn auch der dem Beklagten zur Last gelegte ehebrecherische Verkehr schon vor Erlaß des bedingten Endurteils bestanden haben sollte und insoweit ausscheiden müßte, weil die Unkenntnis allein nach § 767 Abs. 2 ZPO. das Recht zur nachträglichen Geltendmachung nicht gibt (JW. 1894 S. 120 Nr. 12, 1913 S. 103 Nr. 18, Gruchot Bd. 57 S. 723), so hat doch der dem Beklagten zur Last gelegte ehebrecherische Verkehr nach den Behauptungen der Klägerin auch nach dem Erlaß des bedingten Endurteils bis zum Erlaß des Läuterungsurteils fortbestanden und das Einrederecht der Klägerin würde demnach insoweit nach der dem bedingten Endurteil zugrundeliegenden mündlichen Verhandlung entstanden sein.
§ 767 Abs. 1 ZPO. setzt aber vermöge seiner Stillung in dem von der Zwangsvollstreckung handelnden achten Buche der ZPO. voraus, daß dem Gegner ein vollstreckbarer Anspruch zusteht, und der Zweck dieses gemeinhin als "Vollstreckungsgegenklage" bezeichneten, durch § 767 ZPO. eingeführten Klagerechts geht dahin, die Vollstreckungsfähigkeit des dem Gegner zugesprochenen Anspruchs zu beseitigen, die Zwangsvollstreckung unmöglich zu machen, und soweit Vollstreckungsmaßregeln bereits vorgenommen sind, sie wieder aufzuheben. Der Anspruch selbst und das Urteil, das ihn zugesprochen hat, wird nicht berührt, vielmehr wird nur die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt oder eingestellt; nach Beendigung der Zwangsvollstreckung und nach Befriedigung des Gegners wird das Klagerecht gegenstandslos.
Vgl. RGZ. Bd. 75 S. 201, Bd. 8 S. 270, JW. 1913 S. 398 Nr. 6, 1895 S. 517 Nr. 1; Oertmann, Rechtliche Natur der Vollstreckungsgegenklage im Arch. f. d. ziv. Praxis Bd. 107 S. 199, 234 ff.; Gaupp-Stein, 10. Aufl. Anm. I 1, 2, Anm. III, IV zu § 767 ZPO.; Seuffert, 11. Aufl., Anm. 1, 6d zu § 767; v. Wilmowski-Levy, Anm. 1, 3 zu § 686 a. F. ZPO.
Eine vereinzelt, z.B. durch v. Sarwey, ZPO. § 686 Anm. 5 Abs. 2, vertretene Ansicht, daß die Klage gegen das Urteil selbst sich richte und dessen Aufhebung bezwecke, hat keinerlei Anklang gefunden.
Vollstreckbar sind nun aber nach der weitaus überwiegenden Meinung Urteile der hier in Rede stehenden Art (rechtsgestaltende Urteile) nicht (vgl. Gaupp-Stein, Vorbem. III vor § 704 ZPO.; Seuffert, Vorbem. 3 das.), vielmehr tritt deren Wirksamkeit, ohne Beteiligung staatlicher Vollstreckungsorgane, mit ihrer Rechtskraft von selbst ein. Zwar hat Hellwig in der DJZ. 1903 S.284 im Hinblick auf den ihm vorliegenden Fall, wo eine in der Revisionsinstanz angeblich erfolgte Aussöhnung der geschiedenen Eheleute nicht mehr berücksichtigt werden konnte (RGZ. Bd. 44 S. 354), die Ansicht vertreten, daß dem Bedürfnis der Abhilfe in solchen Fällen genügt werden müsse und durch eine ausdehnende Auslegung des § 767 ZPO. auch genügt werden könne. Nicht nur Leistungsurteile, sondern auch rechtsgestaltende Urteile seien der zwangsweisen Verwirklichung fähig und ihre Vollstreckbarkeit sei in einzelnen Vorschriften des Gesetzes anerkannt (ZPO. § 708 Nr. 5, § 775 Nr. 1, §§ 868, 894 flg,). Das Besondere sei nur, daß die Vollstreckung in diesen Fällen ohne äußere Vollstreckungsmaßregeln mit der Rechtskraft des Urteils kraft Gesetzes von selbst eintrete. Deshalb müsse die Klage, um rechtzeitig zu sein, vor der Rechtskraft erhoben werden, weil sie sonst, wie in anderen Fällen der Verwirklichung des Anspruchs, zu spät kommen würde. Die vor der Rechtskraft erhobene Klage suspendiere die Vollstreckung. Für diese letzte Behauptung fehlt es nun aber, auch wenn man im übrigen Hellwig beitreten wollte, an jeder gesetzlichen Grundlage. Die Klage des § 767 ZPO. hat an sich keine die Zwangsvollstreckung aufschiebende Wirkung. Vielmehr muß darüber nach § 769 ZPO. besonders befunden werden. Es müßte also auch diese Vorschrift ausdehnend ausgelegt und die Einstellung des Vorprozesses oder die Hinausschiebung und Beseitigung seiner Rechtskraftwirkung gestattet werden. Davon kann ohne besondere gesetzliche Vorschrift keine Rede sein. Jedenfalls ist im vorliegenden Falle kein Aufschub der Rechtskraft vorgenommen worden, diese vielmehr eingetreten und damit das etwaige Klaggericht erledigt. Nebenbei wäre noch zu bemerken, daß auch das von Hellwig betonte dringende Bedürfnis nicht anzuerkennen ist. Denn jeder Prozeß muß schließlich sein Ende finden. Fälle, wo eine wesentliche Tatsache mit oder ohne Verschulden der Partei unberücksichtigt bleibt und somit möglicherweise materielles Unrecht entsteht, werden immer vorkommen. Der Gesetzgeber hat aber, weil das öffentliche Interesse der Abkürzung der Prozesse und der Rechtssicherheit überwiegt, für solche private Beeinträchtigungen mit der Restitutionsklage nur in den dringendsten Fällen Abhilfe geschaffen. Eine Ausdehnung dieser und verwandter Klagen ist nicht möglich, weil sie der Absicht des Gesetzgebers widerstreiten würde.
Die von der Revision noch herangezogene negative Feststellungsklage, die bei Leistungsansprüchen im Falle ihrer nachträglichen Erledigung noch in Frage kommen kann (JW. 1903 S. 398 Nr. 6; Gaupp-Stein, Anm. I 4 zu § 767 ZPO.), verbietet sich bei rechtsgestaltenden Urteilen von selbst. Hindernd kommt im vorliegenden Falle gegenüber jeder neuen Klage auch noch die Natur des Ehescheidungsrechts in Betracht. Denn nach der jetzigen ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts kann nach rechtskräftigem Ausspruch der Ehescheidung die hier allein noch in Frage kommende Schuldfrage überhaupt nicht mehr zur Erörterung gestellt werden (vgl. RGZ. Bd. 53 S. 318 und S. 308; Gruchot Bd. 50 S. 684; JW. 1906 S. 391 Nr. 17; 1910 S. 756 Nr. 19).