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RG, 21.09.1920 - II 102/20

Daten
Fall: 
Umfang einer Handlungsvollmacht
Fundstellen: 
RGZ 100, 48
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
21.09.1920
Aktenzeichen: 
II 102/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Hamburg, Kammer für Handelssachen
  • Oberlandesgericht Hamburg

1. Muß der Kaufmann, der einen Angestellten die Briefe, welche Verhandlungen über den Abschluß eines Geschäfts enthalten, namens der Firma schreiben und unterzeichnen läßt, diesen Angestellten als Handlungsbevollmächtigten gelten lassen?
2. Trifft dies auch dann zu, wenn der Angestellte erklärt, das Gebot des anderen Teiles erst seinem abwesenden Geschäftsherrn übermitteln zu müssen, und nach einiger Zeit mündlich ein neues Gebot macht?

Tatbestand

Die Klägerin, verlangt von den Erben des verstorbenen Alleininhabers der Firma L. S. & Co, 14150 M Schadensersatz wegen Nichtlieferung von 134 Ballen ungarischen Tabaks, welche ihr angeblich die genannte Firma im Februar 1916 durch Vermittlung des Maklers R. verkauft haben soll.

Die Partie, aus der die 134 Ballen stammten, hatte der Handlungsgehilfe der Firma. W,, schon im Dezember 1916 im Auftrage seines Geschäftsherrn dem R. schriftlich angestellt. Dieses Schreiben wie überhaupt die meisten Briefe der Firma war mit Einverständnis des Inhabers von W. namens der Firma unterzeichnet worden, obgleich er weder allgemeine noch besondere Handlungsvollmacht befaß. Das Angebot führte damals nicht zum Abschluß. Im Februar 1916 bot dann R. für die Klägerin telephonisch I.85 M für das Kilo. W. antwortete, der Geschäftsinhaber sei verreist, das Angebot müsse nachtelegraphiert werden. Tatsächlich erhielt er von S. die telegraphische Anweisung, daß die Sache nicht ihn, sondern den Kaufmann D. - welchem der Tabak gehörte - anginge. Infolge Rücksprache mit diesem erklärte dann W. dem R., daß mindestens 1,95 M verlangt würden. R. erhielt die Zustimmung der Klägerin und übersandte der Firma L. S. & Co. entsprechenden Schlußschein. Der Firmeninhaber lehnte dann aber die von ihm verlangte Lieferung des Tabaks mit der Erklärung ab, daß er der Klägerin nichts verkauft habe. Die Beklagten hielten dementsprechend der Klage entgegen, daß W. nicht ermächtigt gewesen sei, für die Firma abzuschließen.

Der erste Richter wies die Klage ab. Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen. Auf die Revision hob das Reichsgericht das Berufungsurteil auf.

Gründe

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Tatsache, daß der verstorbene S. seine Briefe regelmäßig durch W. nicht nur habe schreiben sondern auch habe unterzeichnen lassen, sei zwar an sich unter Umständen geeignet, den W. nach außen als abschlußberechtigt erscheinen zu lassen, im vorliegenden Falle werde aber solche Annahme durch die Erklärung W.'s, er müsse das Angebot R.'s erst seinem Geschäftsherrn bekanntgeben, ausgeschlossen. Unter diesen Umständen habe sich die Klägerin auf eine etwaige spätere Annahmeerklärung W.'s nicht verlassen dürfen.

Diese von der Revision bekämpften Ausführungen sind rechtsirrig. Die Frage, ob ein Kaufmann einem seiner Angestellten Vollmacht zur Vornahme von Rechtsgeschäften erteilt hat, und der Umfang der Vollmacht müssen nach dem in die äußere Erscheinung getretenen Verhalten des Kaufmanns beurteilt werden (vgl. RGZ. Bd. 65 S. 295). Der kaufmännische Verkehr erfordert Rechtssicherheit und damit einfache, klare Verhältnisse. Dem einzelnen kann nicht zugemutet werden, über die Ermächtigung des für einen anderen Auftretenden genaue Ermittelungen anzustellen, solange er nach dem äußeren Anschein anzunehmen berechtigt ist, daß der Auftraggeber seinen Vertreter zu decken gewillt ist. Wer einen Angestellten die Geschäftsbriefe, welche Verhandlungen über den Abschluß von Geschäften betreffen, namens der Firma schreiben und unterzeichnen läßt, gibt damit kund, daß der Briefschreiber zur Führung dieser Verhandlungen berechtigt ist.

Das Berufungsgericht meint, daß von diesem Grundsatz im vorliegenden Falle eine Ausnahme festzustellen sei. Der Angestellte W. selbst habe bei Einleitung des Geschäfts ausdrücklich erklärt, der Inhaber sei im Harz, er müsse ihm das Gebot erst nachtelegraphieren. Unter solchen Umständen habe R. von vornherein erkennen müssen, daß W. nicht befugt war, selbst ein solches Geschäft abzuschließen. Diese Feststellung ist rechtsirrig. Die Erklärung W.'s schloß das Vorhandensein einer Handlungsvollmacht keineswegs aus. Es konnten Gründe bestehen, welche es in einem gegebenen Falle dem Dienstherrn oder auch nur seinem Angestellten wünschenswert erscheinen ließen, zuvor das Einverständnis des Erstgenannten einzuholen. Keinesfalls war der Makler R. angesichts der Stellung, welche der Firmeninhaber seinem Angestellten nach außen eingeräumt hatte, zu dem Schlusse genötigt, daß die nach Einholung der Entschließung des Geschäftsherrn abgegebene Erklärung des Angestellten möglicherweise von diesem nicht gedeckt werden würde. Ließ der verstorbene Firmeninhaber seinen Angestellten namens der Firma schreiben, so hieß er damit nach außen auch seine mündlich abgegebenen Erklärungen gut.

Das vom Berufungsgerichte gebilligte Ergebnis wird den oben gekennzeichneten Anforderungen eines gesicherten Verkehrs nicht gerecht. In einem Falle wie dem vorliegenden würde es überdies den kaufmännischen Gepflogenheiten nicht entsprochen haben, wenn der anbietende Makler bei dem Geschäftsinhaber persönlich angefragt hätte, ob sein Angestellter auch auftragsgemäß gehandelt habe. Er hätte Besorgnis hegen müssen, daß er mit einer derartigen Anfrage Anstoß erregen würde, und er hätte, wenn - was doch normalerweise anzunehmen war - die Sache in Ordnung gewesen wäre, tatsächlich durch sein ungewöhnliches Mißtrauen Anstoß erregt. ...