RG, 10.07.1920 - III 93/20

Daten
Fall: 
Anstellung der Beamten der Krankenkassen
Fundstellen: 
RGZ 99, 265
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
10.07.1920
Aktenzeichen: 
III 93/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG III Berlin
  • Kammergericht Berlin

1. Wie vollzieht sich die Anstellung der Beamten der Krankenkassen mit den Rechten und Pflichten gemeindlicher Beamten?
2. Findet auf den Gehaltsanspruch dieser Beamten § 7 des preuß. Kommunalbeamtengesetzes vom 30. Juli 1899 Anwendung?

Tatbestand

Der Kläger behauptet, daß er von der Beklagten als Geschäftsführer auf Lebenszeit angestellt sei, daß das Oberversicherungsamt diese Anstellung genehmigt und ihm vom 1. Juli 1915 ab die Rechte und Pflichten gemeindlicher Beamten übertragen und daß er die Stellung eines Geschäftsführers bis zum 2. September 1915 tatsächlich bekleidet und das in dem Regulativ für sie ausgeworfene Gehalt bezogen habe. An dem genannten Tage wurde der Kläger zum Heeresdienst einberufen. Sein bisheriges Gehalt wurde ihm bis zum 31. März 1916 fortbezahlt. Von da an wurde ihm nur noch die Hälfte als Kriegsunterstützung gewährt. Er verlangt die Nachzahlung der anderen Hälfte. Das Landgericht und das Kammergericht wiesen die Klage ab, das Reichsgericht gab der Klage statt aus folgenden Gründen:

Gründe

"Das Kammergericht hat die Klage abgewiesen, weil eine Anstellung des Klägers nach Maßgabe des § 359 Abs. 1 u. 4 RVO. zwar beabsichtigt, mangels Aushändigung einer Anstellungsurkunde tatsächlich aber nicht erfolgt sei. Diese Auffassung wird jedoch von der Revision mit Recht bekämpft.

An sich hing es freilich von dem Ermessen des Kassenvorstandes ab, ob er dem Kläger eine lebenslängliche, mit Anrecht auf Ruhegehalt verbundene Beamtenstelle geben wollte. Entschloß er sich aber dazu, so konnte er die nach § 359 Abs. 1 RVO. erforderliche Genehmigung des Oberversicherungsamtes (OVA.) nur für einen formgerechten und endgültigen Anstellungsbeschluß nachsuchen und erhalten. Denn die "Genehmigung" eines Rechtsakts setzt nach allgemeinem Sprachgebrauche den Rechtsakt selbst als gegebene Tatsache voraus, zu der, um nach außen hin Rechtswirkungen zu äußern, nur noch die Genehmigung eines Dritten hinzuzutreten hat. Dieser für das Zivilrecht im § 184 BGB. noch besonders betonte Grundsatz muß der Natur der Sache nach in gleicher Weise für das öffentliche Recht gelten.

Aber auch abgesehen davon, wird das Kammergericht der Sachlage nicht gerecht. Der dem OVA. unterbreitete Beschluß des Kassenvorstandes vom 16. Dezember 1914 ging dahin, der Kläger solle unter der Voraussetzung der Genehmigung des Regulativs durch die Aufsichtsbehörde als Geschäftsführer auf Lebenszeit angestellt werden. Aus dieser Fassung will der Berufungsrichter folgern, daß der Vorstand nur eine in Aussicht genommene Daueranstellung des Klägers habe vorbereiten und in die Wege leiten, sich selbst aber die endgültige Entscheidung über sie noch habe vorbehalten wollen. Eine solche Absicht ist jedoch in dem erwähnten Beschlusse nicht zum Ausdruck gekommen und würde auch aus öffentlichrechtlichen Gründen mit dem Genehmigungsverlangen unvereinbar sein. Denn die Anstellungsgenehmigung enthält einen Akt der Staatshoheit, dessen Wirksamkeit von künftigen Entschließungen und Handlungen des Kassenvorstandes naturgemäß unabhängig sein muß und unabhängig ist. Deshalb konnte das OVA. den Beschluß vom 16. Dezember 1914 nur so verstehen, wie es ihn verstanden hat, nämlich dahin, daß er für den Fall seiner Genehmigung die endgültige lebenslängliche Anstellung des Klägers aussprach.

Nun hat das OVA. aber mit der Anstellungsgenehmigung zugleich die weitere Erklärung verbunden, daß es dem Kläger vom 1. Juli 1915 ab die Rechte und Pflichten gemeindlicher Beamten übertrage. Dazu war es nach dem Erlasse der preußischen Minister für Handel und Gewerbe und für Landwirtschaft vom 18. Februar 1914 auch befugt (HMBl. S. 79). Denn durch ihn hat Preußen von der im § 359 Abs. 4 RVO. den Landesregierungen eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht und sämtlichen nach Abs. 1 a. a. O. angestellten Krankenkassenbeamten die Rechte und Pflichten gemeindlicher Beamten mit der Maßgabe verliehen, daß die Bestimmung des Übergangszeitpunkts sowie die sonstige Ausführung des Erlasses durch die Oberversicherungsämter zu erfolgen habe. Der Erwerb der Gemeindebeamteneigenschaft vollzieht sich daher von selbst und ohne Zutun der Kasse an dem von dem zuständigen OVA. festgesetzten Termine jedenfalls dann, wenn dieser dem Kassenangestellten amtlich bekannt gegeben wird. Das aber ist im vorliegenden Falle geschehen. Der Kassenvorstand ist von dem erwähnten Bescheide des OVA. amtlich in Kenntnis gesetzt und hat ihn gleichfalls amtlich zur Kenntnis des Klägers gebracht. Er hat ihn auch vom 1. Juli 1915 ab die Tätigkeit eines Geschäftsführers unter Auszahlung der im Regulativ für ihn ausgeworfenen Vergütung vorbehaltlos ausüben lassen. Deutlicher konnte er nach außen hin kaum zum Ausdruck bringen, daß der Kläger nunmehr nach Maßgabe des Beschlusses vom 16. Dezember 1914 lebenslänglich angestellt, daß der letztere also endgültig in Kraft getreten sei. Dann kann es aber auch keinem Zweifel unterliegen, daß der Kläger auf Grund des Min.-Erl. vom 18. Februar 1914 in Verbindung mit der erwähnten Kundgebung des OVA. die Rechtsstellung eines mittelbaren Staatsbeamten erlangt hat. Sie konnte ihm vom Kassenvorstande weder vorenthalten noch genommen werden, sie verblieb ihm vielmehr so lange, bis sie ihm im Disziplinarwege wieder abgesprochen wurde oder sonst nach Maßgabe des Gesetzes oder der Anstellungsbedingungen ein Ende fand. Die entgegengesetzte Ansicht des Kammergerichts billigen, hieße, den Grundsätzen des öffentlichen Rechtes zuwider das Eingreifen einer, wenn auch öffentlichrechtlichen, Korporation in einen staatlichen Hoheitsakt zulassen und den Zweck des Gesetzes, die wirtschaftliche Lage der Kassenbeamten zu sichern und von wechselnden Mehrheiten und Stimmungen im Vorstand unabhängig zu machen, gefährden oder gar vereiteln. Die Unterlassung der Beeidigung stand nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen, wie auch das Reichsversicherungsamt unter Nr. 27 seiner Anleitung (Amtl. Nachr. S. 721 flg.) anerkannt hat, dem Erwerbe der Kassen- und Gemeindebeamtenschaft nicht entgegen (vgl. § 13 Pr. PensGes. vom 27. März 1872, RGZ. Bd. 47 S. 283, Bd. 51 S. 297). Er konnte aber auch durch den Mangel der im § 1 Abs. 2 des Regulativs vorgesehenen Aushändigung einer Anstellungsurkunde nicht gehindert werden. Wenn das Kammergericht das Gegenteil aus § 1 KBG. vom 30. Juli 1899 folgern will, so verkennt es dessen rechtliche Bedeutung, denn er vermag ebensowenig wie jede andere gesetzliche Bestimmung das Wesen der Beamteneigenschaft, das in der Berechtigung zur Ausübung obrigkeitlicher Befugnisse besteht, zu ändern. Wird daher von einer Stadtgemeinde ein mit der Wahrnehmung solcher Befugnisse verbundener Posten einem Angestellten übertragen, so wird er allein kraft dieser Übertragung auch ohne Aushändigung einer Urkunde aus dem inneren Wesen der Sache heraus mittelbarer Staatsbeamter. Das hat der Senat bereits in dem Urteile vom 9. Januar 1917 (RGZ. Bd. 89 S. 297; vgl. auch RGZ. Bd. 84 S. 368, Bd. 90 S. 260) ausgesprochen, und daran ist festzuhalten. § 1 KBG. steht also der Auffassung des Kammergerichts nicht zur Seite. Sie widerspricht aber auch dem Sinne und Zwecke des Regulativs. Das letztere ist nicht, wie das Kammergericht anzunehmen scheint, von dem Kassenvorstande, sondern in Gemäßheit des Min.-Erl. vom 22. Mai 1914 (fPr. HMBl. S. 264) von dem OVA. erlassen und will nach seiner Überschrift "die Rechtsverhältnisse derjenigen Beamten der Beklagten regeln, welchen gemäß § 359 Abs. 4 RVO. die Rechte und Pflichten gemeindlicher Beamten übertragen sind". Diese Übertragung kann jedoch nach dem Wortlaut und Zweck des § 359 Abs. 4 RVO. erst nach der Anstellung des Kassenbeamten und frühestens zugleich mit deren Genehmigung seitens des OVA. erfolgen. Daraus ergibt sich aber, daß § 1 Abs. 2 des Regulativs die Beklagte zwar verpflichtete, einem bereits angestellten und mit den Rechten und Pflichten gemeindlicher Beamten bereits ausgestatteten Kassenbeamten eine Anstellungsurkunde zu übergeben, keineswegs aber deren Übergabe zu einer unerläßlichen Anstellungsvoraussetzung machen wollte. Wenn der Kassenvorstand sie dem Kläger vorenthält, so vermag er dadurch dessen bereits erworbene Rechte, insbesondere seine öffentlichrechtliche Beamtenstellung nicht zu beeinträchtigen.

Die Einziehung des Klägers zum Heeresdienst und die dadurch notwendig gewordene Unterbrechung seiner Tätigkeit waren also auf die Pflicht der Beklagten zur Fortzahlung des ihm nach dem Regulativ zustehenden Gehalts ohne Einfluß. Da dessen Höhe und der Betrag, um welchen die Beklagte es für die Zeit vom 1. April 1915 bis 1. Mai 1918 gekürzt hat, unstreitig sind und der Zinsenanspruch sich aus dem Verzuge der Beklagten rechtfertigt (§§ 284, 288 BGB.), so ist der Klaganspruch begründet, falls die Voraussetzungen für die Beschreitung des Rechtswegs gegeben sind.

Nach § 358 Abs. 3 BRO. muß der gerichtlichen Geltendmachung von vermögensrechtlichen, in dem Dienstverhältnis wurzelnden Ansprüchen derjenigen Kassenangestellten, welche der Dienstordnung unterstehen, die Entscheidung des OVA. vorangehen. Diese Bestimmung findet also, wie sich aus ihrer unzweideutigen Fassung ergibt und wie auch das Reichsversicherungsamt in der Entscheidung vom 11. November 1918 (RVA. Entsch. u. Mitteil. Bd. 9 S. 150) anerkannt hat, auf diejenigen Kassenbeamten, welchen die Rechte und Pflichten unmittelbarer oder mittelbarer Staatsbeamten übertragen sind und für welche die Dienstordnung daher nicht Geltung hat (§ 351 RVO.), keine Anwendung. Eine gleiche oder ähnliche Vorschrift für sie fehlt in der RVO. Daß der Gesetzgeber dies übersehen habe, ist nicht zu unterstellen. Sein Schweigen nach dieser Richtung gestattet daher im Zusammenhange mit der Bestimmung des § 359 Abs. 4 RVO. nur den Schluß, daß er die Vorschriften des Beamtenrechts der einzelnen Bundesstaaten, welches das gesamte Anstellungs- und Dienstverhältnis der im § 359 Abs. 4 a. a. O. genannten Kassenbeamten beherrscht (vgl. S. 207 der Begr. des § 362 d. Entw., jetzt § 351 RVO), auch hinsichtlich etwaiger Beschränkungen ihrer Klagbefugnisse in entsprechender Weise Platz greifen lassen wollte. Denn für die Annahme, er habe ihnen im Gegensatze zu bundesstaatlichen Beschränkungsvorschriften die Beschreitung des Rechtswegs erleichtern wollen, fehlt es um so mehr an einem begründeten Anhalt, als bei der Beratung des Entwurfs stets betont worden ist. der § 369 (jetzt 359) Abs. 4. der damals sogar eine Mußvorschrift enthielt, bezwecke die volle Gleichstellung der Kassenbeamten mit den Staats- oder Gemeindebeamten (vgl. S. 210 der Begr. des § 369 des Entw. und KommBer. in Nr. 340 der RTDrucks. Sess. 1909 / 11 S. 261 / 62). Demgemäß muß der Versuch des OVA., den nach § 359 Abs. 1 und 4 RVO. angestellten Kassenbeamten im Wege des Regulativs (vgl. § 29 das.) die Beobachtung des im § 353 Abs. 3 a. a. O. geordneten Verfahrens zur Pflicht zu machen, rechtlich wirkungslos bleiben, da er sich mit dem preußischen Gemeindebeamtenrecht in Widerspruch setzt. Das entspricht auch der Auffassung des Reichsversicherungsamts in der bereits angezogenen Entscheidung vom 11. November 1916.

Freilich werden die Kassenbeamten dadurch, daß die Landesregierung ihnen die Rechte und Pflichten gemeindlicher Beamten beilegt, nicht Gemeindebeamte. Denn sie werden weder von einer Gemeinde angestellt oder besoldet noch stehen sie im Dienste einer solchen. Sollte dem Urteile des erkennenden Senats vom 10. Juli 1908 (RGZ. Bd. 69 S. 183 flg.). das für Preußen die Anwendbarkeit des § 7 des Kommunalbeamtengesetzes auf die im § 98 InvVersG. vom 13. Juli 1899 (jetzt § 1348 RVO.) erwähnten Beamten der Landesversicherungsanstalten bejaht, die gegenteilige Ansicht zugrunde liegen, so könnte sie nicht mehr aufrecht erhalten werden Das vermag aber an dem Endergebnis nichts zu ändern. Denn sind dem Kläger die, d. h. sämtliche Rechte und Pflichten eines Gemeindebeamten übertragen, so muß er auch für verpflichtet erachtet werden, vor der Verfolgung seines Gehaltsanspruchs im Rechtsweg in Gemäßheit des § 7 KBG. den Bezirksausschuß anzugehen. Wollte man diesen in entsprechender Anwendung des § 7 a. a. O. etwa durch eine andere Behörde ersetzen und an Stelle des dort vorgesehenen Instanzenzugs einen anderen treten lassen, so würde das eine Willkürmaßnahme bedeuten, die im Gesetze keine Stütze findet. Daß der Kläger somit auch hinsichtlich der Notwendigkeit, den Bezirksausschuß anzurufen, den wirklichen Gemeindebeamten gleichsteht, erscheint nicht besonders auffällig, wenn man erwägt, daß die rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen der Krankenkassen zu den Gemeindeverbänden sehr enge sind. Der Gemeindeverband hat nicht nur die Errichtung einer Orts- oder Landkrankenkasse, sondern auch deren Satzung zu beschließen (§§ 231, 320 RVO.) und ihr in den ersten 3 Jahren ihres Bestehens im Bedarfsfalle Zuschüsse zu leisten (Art. 16 EG. z. RVO.). Bei Landkrankenkassen wählen die Vertreter des Gemeindeverbandes sogar deren Vorstand und Vorstandvorsitzenden (§ 331 RVO.). Vorsitzender eines Versicherungsamts ist stets der Leiter der unteren Verwaltungsbehörde, also z. B. der Bürgermeister oder der Landrat (§ 39 Abs. 1, 3 RVO.). Dem einen oder dem anderen muß nach Nr. 2 des erwähnten Min.-Erlasses vom 18. Februar 1914 auch ein Dienstaufsichtsrecht über die Kassenbeamten neben dem des Kassenvorstandes eingeräumt werden. Dazu kommt, daß das preuß. Gesetz vom 11. Mai 1916, betr. die Dienstvergehen der Beamten der Orts-, Land- und Innungskrankenkassen, die Disziplinarbefugnisse teilweise in die Hand des Bezirksausschusses legt, so daß dessen Eingreifen auch in vermögensrechtliche Streitigkeiten der Kassenbeamten mit den Kassen grundsätzliche Bedenken nicht entgegenstehen.

Die Entscheidung des Bezirksausschusses hat der Kläger zwar nicht vor der Klagerhebung, wohl aber im Laufe des Rechtsstreits eingeholt. Damit hat er der Vorschrift des § 7 KBG. genügt (vgl. RGZ. Bd. 57 S. 77). Die gerichtliche Geltendmachung seines Gehaltsanspruchs wird auch nicht dadurch gehindert, daß der Bezirksausschuß sich für unzuständig erklärt und ein fachliches Eingehen auf ihn abgelehnt hat."