RG, 10.07.1920 - I 59/20

Daten
Fall: 
Voraussetzungen der Judikatsklage
Fundstellen: 
RGZ 99, 270
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
10.07.1920
Aktenzeichen: 
I 59/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg, Kammer für Handelssachen
  • OLG Hamburg

1. Voraussetzungen der Judikatsklage.
2. Ist die öffentliche Zustellung eines Urteils, in dem die beklagte Firma als offene Handelsgesellschaft bezeichnet ist, während der Inhaber dieser Firma, der das Urteil öffentlich zugestellt werden soll, in Wirklichkeit ein Einzelkaufmann ist, rechtswirksam?

Tatbestand

Die Klägerin hatte in der Zeit vom Februar 1914 bis Juni 1914 mit der in London bestehenden Firma R., R. & Co. Börsentermingeschäfte getätigt. Den Saldo aus dieser Geschäftsverbindung hat sie auf 6383,53 M berechnet und in einem Vorprozeß eingeklagt.

Als Beklagte bezeichnete sie die offene Handelsgesellschaft in Firma R., R .& Co. in London. Die Klage wurde öffentlich zugestellt. Es erging sodann ein Versäumnisurteil, das gleichfalls öffentlich zugestellt wurde. In der jetzt zur Entscheidung stehenden Klage behauptet die Klägerin, der Beklagte Otto R. sei zur Zeit des Abschlusses der Geschäfte persönlich haftender Gesellschafter der Firma R., R. & Co. gewesen und müsse daher das rechtskräftige Urteil des Vorprozesses gegen sich gelten lassen. Sie fordert von ihm Zahlung der erwähnten Summe zuzüglich Kosten. Der Beklagte wendet ein, daß er die Firma R., R. & Co. als Einzelkaufmann geführt habe und deshalb von dem gegen die offene Handelsgesellschaft ergangenen Urteile nicht betroffen worden sei.

Das Landgericht gab der Klage statt. Die Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen. Die Revision hatte Erfolg.

Gründe

"Das Berufungsgericht sieht die Klage als Judikatsklage an; der jetzt Beklagte sei unter seiner Firma R., R. & Co. im Vorprozesse verurteilt worden; seine Verpflichtung stehe rechtskräftig fest; die jetzige Klage habe nur die Bedeutung, die richtige Feststellung des Beklagten und so die Vollstreckung des gegen ihn ergangenen Urteils zu erreichen.

Gegen diese Ausführung erheben sich zwei Bedenken. Einmal ist für eine Judikatsklage nur dann Raum, wenn das mit einer solchen Klage erstrebte Ziel sich auf andere Weise nicht erreichen läßt. In Frage kommt, ob eine Änderung des Passivrubrums im Vorprozesse nicht möglich ist. Das Berufungsgericht verneint die Frage, weil die Nachweise, die die Klägerin in Händen habe und die sich widersprachen, dazu nicht genügten. Allein es ist bis auf eine nähere Aufklärung, die die Klägerin und das Berufungsgericht bisher nicht gegeben haben, nicht ersichtlich, weshalb die Verhältnisse der Firma R., R. & Co. nicht im Vorprozeß in einem Verfahren nach § 319 ZPO. klargestellt werden könnten. Solange letzteres nicht als unmöglich feststeht, sei es, daß ein Antrag nach § 319 abgelehnt ist, sei es, daß die Aussichtslosigkeit eines solchen Antrags bündig dargetan wird, kann die Berechtigung zur Anstellung einer Judikatsklage nicht anerkannt werden.

Zweitens steht nicht fest, daß das im Vorprozeß ergangene Versäumnisurteil rechtskräftig ist. Das Reichsgericht hat anerkannt (RGZ. Bd. 86 S. 65), daß, wenn eine Firma unter der Bezeichnung offene Handelsgesellschaft verklagt worden ist, während in Wahrheit eine offene Handelsgesellschaft nicht besteht sondern die Firma einem Einzelkaufmann zusteht, dann sachlich dieser Einzelkaufmann als verklagt gilt. Es fragt sich aber, wie in solchem Falle die Zustellung zu erfolgen hat. Diese Frage ist in der angeführten Entscheidung nicht erörtert worden, weil damals der Inhaber der Firma im Termin erschienen war. Die Zustellung, insbesondere die öffentliche Zustellung, wird nicht von materiellen, sondern von formellen Grundsätzen beherrscht. Das erfordert die Rücksicht auf die Rechtssicherheit. Soll eine Zustellung gegen eine Partei geben, ohne daß - wie bei der öffentlichen Zustellung - Sicherheit besteht, daß die Partei das zuzustellende Schriftstück wirklich zu Gesicht bekommt, dann muß zum mindesten verlangt werden, daß die Partei richtig und genau bezeichnet worden ist. Daran fehlt es hier. Die Zustellung ist durch Anheftung an die Gerichtstafel erfolgt. Das auf diese Weise zuzustellende Urteil bezeichnete den Verurteilten unrichtigerweise als offene Handelsgesellschaft in Firma R., R. & Co. Die öffentliche Zustellung ist also an ein nicht vorhandenes Rechtsgebilde erfolgt. Das braucht der jetzt Beklagte, dem ja das zuzustellende Urteil nicht etwa irgendwie zu Händen gekommen ist, nicht gegen sich gelten zu lassen. Der Ausgangspunkt der Ausführungen des Berufungsgerichts, daß das Versäumnisurteil rechtskräftig geworden sei, kann also in bezug auf den jetzigen Beklagten nicht gebilligt werden."