RG, 08.07.1920 - VI 140/20

Daten
Fall: 
Schmerzensgeld durch das Verschulden von Hilfspersonen
Fundstellen: 
RGZ 99, 263
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
08.07.1920
Aktenzeichen: 
VI 140/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • Kammergericht Berlin

Inwieweit wird eine Haftung für Schmerzensgeld durch das Verschulden von Hilfspersonen begründet?

Tatbestand

Der Kläger wurde bei Benutzung der Straßenbahn der Beklagten am 10. August 1914 infolge des Zusammenstoßes des Wagens mit einem entgegenkommenden, vom Fahrmeister S. gefahrenen Wagen der Beklagten verletzt. Den S. traf dabei insofern ein Versehen, als er den Dienstvorschriften zuwider nicht gehalten hatte, um dem Wagen, in dem der Kläger sich befand, die Vorfahrt zu lassen. Die Schadensersatzansprüche des Klägers wurden von beiden Vordergerichten in beschränktem Umfang auf Grund des § 3a HaftpflG. und des Beförderungsvertrags für begründet erachtet, sein Anspruch auf Schmerzensgeld aber abgewiesen. Die Revision des Klägers blieb erfolglos aus folgenden Gründen:

Gründe

"Der allein streitige Anspruch des Klägers auf Schmerzensgeld läßt sich weder aus dem Haftpflichtgesetze noch aus dem Beförderungsvertrage herleiten, sondern gemäß § 847 BGB. nur aus einer unerlaubten Handlung der Beklagten (JW. 1916 S. 488 Nr. 7). Das verkennt die Revision auch nicht, sie will aber in Anwendung des § 278 BGB. die Beklagte auch außervertraglich für das Verschulden ihres Fahrmeisters S. haftbar machen und dies Verschulden des S. der Beklagten als eigenes außervertragliches, deliktisches Verschulden anrechnen ohne die Möglichkeit einer Entlastung gemäß § 831 BGB. Diese Auffassung ist unbegründet. Die allgemeine Rechtspflicht der Beklagten, den Betrieb ihrer Straßenbahn so einzurichten, daß das Leben, der Körper usw. Dritter nicht verletzt werden, besteht gemäß § 823 ohne Begründung eines Schuldverhältnisses; sie ist selbst keine Schuldverbindlichkeit im Sinne des § 278, sondern erzeugt erst Verbindlichkeiten für den Fall einer Verletzung der durch § 823 geschützten Rechtsgüter; erst die unerlaubte Handlung ergibt eine Grundlage für eine Verpflichtung einer bestimmten Person gegenüber. Es findet daher der auf das Recht der Schuldverhältnisse beschränkte § 278 auf die Verletzung jener allgemeinen Rechtspflicht keine Anwendung (RGZ. Bd. 75 S. 257, Bd. 77 S. 211, Bd. 79 S. 319). Die Beklagte haftet somit aus dem Gesichtspunkte der unerlaubten Handlung nicht ohne weiteres für das Verschulden ihres Angestellten S., sondern, abgesehen von einem etwaigen eigenen Verschulden, nur im Rahmen des § 831 BGB., der für das Gebiet der unerlaubten Handlungen den Maßstab bildet, nach welchem eine Person für rechtswidrige Schädigungen einzustehen hat, die eine von ihr abhängige andere Person verursachte. Nur hinsichtlich ihrer Verpflichtungen aus dem Beförderungsvertrage hat sie gemäß § 278 das Verschulden des S. wie ihr eigenes zu vertreten und kann sie sich auf die Vorschrift im § 831 Abs. 1 Satz 2 nicht berufen. Gegenüber ihrer Inanspruchnahme aus unerlaubter Handlung hat sie nach der Feststellung des Berufungsgerichts den ihr obliegenden Entlastungsbeweis sowohl in betreff der Auswahl als auch der Überwachung des S. geführt, und für ein eigenes Verschulden der Beklagten ist überhaupt nichts erbracht. Die von der Revision wegen Anwendung des § 278 BGB. angeführten Entscheidungen des Reichsgerichts (RGZ. Bd. 88 S. 433; JW. 1916 S. 1276 Nr. 8, S. 1532 Nr. 7, 1920 S. 284 Nr. 6) besagen lediglich, daß die Haftung aus unerlaubter Handlung und die Haftung aus Vertrag für denselben Schaden selbständig nebeneinander herlaufen. Es ist nicht abzusehen, wie aus diesen Entscheidungen eine Folgerung im Sinne der Revision abgeleitet werden soll. Die vertragliche Haftung der Beklagten aus dem Beförderungsvertrage ließ allerdings ihre etwaige außervertragliche Haftung unberührt; diese aber bestimmt sich lediglich nach den Vorschriften der §§ 823, 831 BGB., für eine Anwendung des § 278 BGB. ist dabei kein Raum."