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RG, 08.07.1920 - III 157/20

Daten
Fall: 
Vermögensrechtliche Ansprüche von Berufssoldaten, insbesondere der Reichsmarine
Fundstellen: 
RGZ 99, 261
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
08.07.1920
Aktenzeichen: 
III 157/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Altona
  • OLG Kiel

Ist der Rechtsweg für die vermögensrechtlichen Ansprüche der Berufssoldaten, insbesondere für die Angehörigen der vorläufigen Reichsmarine, gegeben?

Tatbestand

Die Kläger sind am 16. Mai 1919 aus der vorläufigen Reichsmarine entlassen. Sie behaupten, daß der Entlassung eine vierwöchige Kündigung hätte vorausgehen müssen, und fordern die Zahlung ihrer Gebührnisse für 4 Wochen. Ihre Klage ist von den Vorinstanzen wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs abgewiesen worden. Das Reichsgericht hat den Rechtsweg für zulässig erklärt.

Gründe

"Der Berufungsrichter legt zutreffend dar, daß auch das durch Vertrag begründete, kündbare Dienstverhältnis der Freiwilligen der vorläufigen Reichsmarine ein dem öffentlichen Rechte angehörendes Rechtsverhältnis ist. Die Aufgaben der vorläufigen Reichsmarine sind durchweg rein öffentlichrechtliche; daß die Anwerbung durch Vertrag erfolgt, beweist nichts dagegen, da der Vertrag eine Rechtsform auch des öffentlichen Rechtes ist. Das Gesetz selbst hat die rechtliche Natur des Verhältnisses auf das deutlichste zum Ausdruck gebracht im Gesetz über die Bildung einer vorläufigen Reichsmarine vom 16. April 1919 durch § 1, in der Ausführungsverordnung von demselben Tage durch §§ 1 bis 3 (Befehlsgewalt und Ausübung derselben), 5, 6 (Beförderung zu Offizieren), 11 (Wortlaut des Gelöbnisses) und 13 (Regelung der Handhabung der Disziplin und des Beschwerderechts durch den Reichswehrminister), sowie in der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 durch Art. 129 Abs. 4. Hier wird die Offenhaltung des Rechtswegs für die vermögensrechtlichen Ansprüche besonders auch den Berufssoldaten gewährleistet. Diese Bestimmung wäre selbstverständlich und überflüssig, wenn die Soldaten kraft und auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags eingestellt und im Dienste wären; sie war nötig nur, weil die Berufssoldaten, wie die Beamten nach Abs. 1 bis 3, in einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis stehen.

Der Ausführung des Berufungsrichters über die Bedeutung und Tragweite des Art. 129 Abs. 4 kann jedoch nicht beigepflichtet werden. Der Berufungsrichter meint, diese Vorschrift habe in ihren beiden Sätzen den am wichtigsten erscheinenden Rechtssatz nur als Grundsatz für das spätere Berufssoldaten-Reichsgesetz festlegen wollen und nur mit der Wirkung, daß in diesem von dem Grundsatze nur unter Einhaltung der Formen einer Verfassungsänderung abgewichen werden könnte. Es mag sein, daß der Ausdruck "werden gewährleistet" für sich allein zweideutig und im Sinne des Berufungsrichters als Zusage erst für die Zukunft deutbar ist, und es könnte sogar der Satz "Im übrigen wird ihre Stellung durch Reichsgesetz geregelt" für sich allein als nicht zweifelsfrei erscheinen. Der Berufungsrichter übersieht jedoch, daß es im Satz 1 heißt "besonders auch den Berufssoldaten gewährleistet". Hieraus, aus dem Worte "auch", ergibt sich mit voller Sicherheit, daß den Berufssoldaten die Unverletzlichkeit der wohlerworbenen Rechte und die Offenhaltung des Rechtswegs in demselben Sinne und in derselben Tragweite gewährleistet werden sollte und mit dem Inkrafttreten der Verfassung gewährleistet ist, wie dies in Abs. 1 für die Beamten geregelt werden wollte und geregelt ist. Abs. 1 Satz 2 und 3 aber lauten: "Die wohlerworbenen Rechte der Beamten sind unverletzlich. Für die vermögensrechtlichen Ansprüche der Beamten steht der Rechtsweg offen." Dieser Satz 3 gibt den Beamten und zwar sämtlichen deutschen Beamten ohne Ausnahme - vgl. die Überschrift des "2. Hauptteils" der Verfassung "Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen" - ein gegenwärtiges, mit der Verfassung ins Leben tretendes Recht zur Beschreitung des Rechtswegs für ihre vermögensrechtlichen Ansprüche. Eben dieses Recht als ein sofortiges, bereits vom Inkrafttreten der Verfassung ab geltendes gibt also Abs. 4 Satz 1 auch den Berufssoldaten: dies bedeuten die Worte "auch gewährleistet", und der Satz 2 "Im übrigen wird ihre Stellung durch Reichsgesetz geregelt" besagt nicht, daß erst nur ein Grundsatz der Zulässigkeit des Rechtswegs behufs Verwirklichung in dem späteren Soldaten-Reichsgesetz festgelegt werden solle, sondern er besagt, wie sein Wortlaut schon für sich allein zum mindesten dringend nahe legt, daß neben der jetzt schon durch die Verfassung verwirklichten Offenhaltung des Rechtswegs nur die übrigen Fragen der Soldatenstellung dem späteren Reichsgesetze vorbehalten werden.

Aus der in Abs. 4 Satz 1 enthaltenen Rückverweisung auf den die Beamten betreffenden Abs. 1 erhellt auch, was als der Inhalt "der Offenhaltung des Rechtswegs" für die Berufssoldaten in Abs. 4 angesehen werden muß in betreff der Notwendigkeit eines Verwaltungsvorbescheids vor Erhebung der Klage. Die sich auf die Offenstellung des Rechtswegs an sich beschränkenden Worte "steht der Rechtsweg offen" in Abs. 1 Satz 3 schließen die Anordnung eines solchen Vorbescheids keineswegs aus, weder für das bestehende, noch für ein zukünftiges Reichs- oder Landesrecht, so daß also die bestehenden Rechtsregeln über Vorbescheidung unberührt bleiben und zukünftige derartige Rechtsregeln im Reiche und in den deutschen Ländern erlassen werden können, ohne daß darin eine Änderung des Art. 129 Abs. 1 Satz 3 über ein Verstoß gegen die Verfassung liegt. Soweit aber irgendwelchen deutschen Beamten der Rechtsweg bisher verschlossen war, können sie kraft des Art. 129 Abs. 1 Satz 3 den Rechtsweg ohne weiteres beschreiten, solange nicht eine Gesetzesregel über die Notwendigkeit eines Vorbescheids auch für sie geschaffen ist. Genau so liegt die Sache für die Berufssoldaten, insbesondere für die Angehörigen der vorläufigen Reichsmarine, deren vom Reichswehrminister erlassene Beschwerdeordnung für die Frage nach dem Inhalte des Art. 129 der Reichsverfassung von keinem Belang sein kann. Die heutigen Berufssoldaten sind eine völlig neue Rechtsschöpfung; ihnen ist durch Abs. 4 Satz 1 der Rechtsweg für ihre vermögensrechtlichen Ansprüche gegeben; das in Abs. 4 Satz 2 in Aussicht genommene Reichsgesetz könnte ohne Verfassungsänderung den Vorbescheid als Voraussetzung der Klagerhebung einführen; solange dies aber nicht geschehen ist, und das ist die gegenwärtige Rechtslage, steht den Berufssoldaten die Beschreitung des Rechtswegs ohne weiteres offen.

Ob alle Bestimmungen in Art. 129 Abs. 1 bis 3 den Beamten bereits gegenwärtige Rechte verleihen, oder ob nicht mehrere von ihnen nur Richtlinien und Grundsätze für eine zukünftige gesetzliche Ausgestaltung aufstellen, braucht nicht untersucht zu werden; jedenfalls ist die Bestimmung "der Rechtsweg steht offen" nach klarem Zweck und klarem Wortlaut ein wirkliches Beamtenvorgesetz."