RG, 18.05.1919 - III 562/18
1. Welche Behörde ist zur Vertretung des preußischen Staates berufen gegenüber der Ruhegehaltsklage eines Beamten, welcher zunächst in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden war und demnächst, nach Verlegung seines Wohnsitzes, mit Pension in den endgültigen Ruhestand getreten ist?
2. Zum Begriff der die Klagefrist in Lauf setzenden Entscheidung in § 23 des preußischen Pensionsgesetzes vom 27. März 1872/30. April 1884.
Tatbestand
Dem Kläger wurde, nachdem er als Regierungspräsident in Hannover am 17. März 1903 gemäß §87 Nr. 2 des Disziplinargesetzes vom 21. Juli 1832 in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden war und darauf seinen Wohnsitz in Berlin genommen hatte, durch Beschluß des Staatsministeriums vom 30. April 1915 die nachgesuchte Entlassung aus dem Dienste mit Pension erteilt. Seine Pension wurde durch Erlaß des Finanzministers und des Ministers des Innern von demselben Tage auf 9519 M festgesetzt. Am 16. Juli 1917 teilte ihm die Ministerial-Militär- und Baukommission in Berlin mit, daß bei der Festsetzung seines Ruhegehaltes der durchschnittliche Wohnungsgeldzuschuß unrichtig mit nur 690 M anstatt mit 1134 M angerechnet worden sei, und daß seine Pension deshalb 9852 M anstatt der früher festgesetzten Summe betrage. Der Kläger beantragte nunmehr eine anderweite Berechnung seiner Pension unter Zugrundelegung eines Gehaltes von 13000 M, wie es den Regierungspräsidenten nach der Besoldungsordnung vom 26. Mai 1909 zustand. Der Finanzminister und der Minister des Innern lehnten durch Schreiben vom 2. November 1917 diesen Antrag ab, und zwar sowohl wegen Ablaufs der Ausschlußfrist des § 23 PensG. als wegen sachlicher Unbegründetheit. Darauf erhob der Kläger Klage mit dem Antrage, den Beklagten zu verurteilen, die ihm zustehende Pension nach einem pensionsfähigen Diensteinkommen von 14134 M auf 10602 M statt auf 9852 M festzusetzen und ihm für die Zeit vom 1. Mai 1915 ab den Fehlbetrag von 750 M jährlich nachzuzahlen.
Die Klage wurde in beiden Rechtszügen abgewiesen. Auch die Revision wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
1.
"Die Urteile des Land- und Berufungsgerichts bezeichnen die Regierungspräsidenten in Potsdam und Hannover als die gesetzlichen Vertreter des beklagten Staates. Es kann jedoch nur der Regierungspräsident in Hannover als zur Vertretung des Staates im vorliegenden Falle berufen angesehen werden. § 3 des Gesetzes vom 24. Mai 1861, betr. die Erweiterung des Rechtsweges, bestimmt, daß die Klage wegen vermögensrechtlicher Ansprüche der Staatsbeamten aus ihrem Dienstverhältnis gegen die Provinzialbehörde zu richten ist, in deren Amtsbezirk der Beamte zu der Zeit, wo der streitige Anspruch entstanden ist, vermöge seines dienstlichen Wohnsitzes seinen persönlichen Gerichtsstand gehabt hat. Aus dem Wortlaute dieser Bestimmung ist die Frage, wer im vorliegenden Falle zur gesetzlichen Vertretung des Staates berufen sei, nicht zu beantworten, denn der in den einstweiligen Ruhestand versetzte Beamte hat keinen dienstlichen Wohnsitz mehr. Nach dem Zwecke des § 3 aber, der offenbar dahin geht, die Wahrnehmung der staatlichen Rechte derjenigen Behörde zu übertragen, welche im allgemeinen als mit den für die Entscheidung in Betracht kommenden tatsächlichen Verhältnissen am meisten vertraut anzusehen ist, muß hier die Provinzialbehörde des Bezirkes als die zuständige erachtet werden, in dem der Beamte seinen letzten dienstlichen Wohnsitz gehabt hat.
2.
Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß die Ausschlußfrist für die Beschreitung des Rechtsweges nach § 23 PensG. durch die Entscheidung der Minister des Innern und der Finanzen vom 30. April 1915 in Lauf gesetzt ist, und daß durch die Mitteilung der Ministerial-Militär- und Baukommission vom 16. Juli 1917 diese Frist nicht von neuem eröffnet ist.
In ständiger Rechtsprechung haben das preußische Obertribunal (Entsch. Bd. 61 S. 40), das Reichsoberhandelsgericht (Bd. 24 S. 114) und das Reichsgericht den Grundsatz festgehalten, daß derjenige Erlaß der zuständigen obersten Landes- oder Reichsbehörde, welcher dem Beamten auf seinen Antrag auf Versetzung in den Ruhestand eröffnet, daß seinem Antrage stattgegeben und die ihm zustehende Pension auf einen bestimmten Betrag festgesetzt werde, die Entscheidung ist, von deren Kundgebung die Frist für die Beschreitung des Rechtsweges beginnt (vgl. RGZ. Bd. 31 S. 130, Bd. 36 S. 74, Bd. 47 S. 46; Jur. Wochenschr. 1911 S. 829 Nr. 53). Von diesem Rechtsgrundsatze, dem auch das Schrifttum, insbesondere in den Erläuterungen zum Reichsbeamtengesetz, allgemein zustimmt, ist der erkennende Senat auch in neuester Zeit niemals abgewichen, insbesondere auch nicht in dem von der Revision angezogenen Urteile RGZ. Bd. 92 S. 116. Der Versuch der Revision, aus dem Wortlaute des § 23 PensG. herzuleiten, daß nur eine solche Entscheidung der Minister des Innern und der Finanzen die Ausschlußfrist in Lauf setze, welche auf eine Beschwerde oder doch auf eine Vorstellung des Beamten, mit der ein weitergehender Anspruch geltend gemacht worden, ergangen sei, welche also die Ablehnung eines geforderten höheren Ruhegehaltes enthalte, ist verfehlt. Gerade der Wortlaut dieser Vorschrift in der Fassung des Gesetzes vom 30. April 1884 ergibt mit völliger Klarheit, daß die Entscheidung des Departementschefs und des Ministers der Finanzen maßgebend ist, ohne Rücksicht darauf, ob sie auf eine Beschwerde oder zur sonstigen Abweisung weitergehender Ansprüche des Beamten ergangen ist, oder schlechthin auf den Antrag des Beamten, ihn in den Ruhestand zu versetzen. Die Entscheidung über die Versetzung in den Ruhestand erfolgt nach der gemäß § 22 Abs. 2 des Gesetzes erfolgten Ordnung bei einer großen Zahl von Beamten nicht unmittelbar durch den Departementschef, sondern durch ihm nachgeordnete Behörden. In § 23 wird nun sowohl diese Entscheidung der nachgeordneten Behörden als die - sei es im Beschwerdewege, sei es unmittelbar ergehende - Entscheidung des Departementschefs und des Finanzministers berücksichtigt und bestimmt, daß die Klage innerhalb sechs Monaten nach Bekanntmachung "dieser" Entscheidung, d. h. dieser letzteren, der des Departementschefs und des Finanzministers, zu erheben ist. Nichts deutet darauf hin, daß diese die Klagefrist in Lauf setzende Entscheidung eine andere wäre als die im § 22 Abs. 1 bezeichnete.
Die Meinung der Revision, daß der Beamte, der die Entscheidung des Departementschefs und des Finanzministers über die Höhe seines Ruhegehalts zunächst widerspruchslos hingenommen hat, noch nach Jahren dagegen vorstellig werden könne mit dem Erfolge, daß erst die daraufhin ergehende Entscheidung die Frist für die Klagerhebung in Lauf setze, widerspricht auch durchaus dem Zwecke der Vorschrift, die Ordnung des Staatshaushalts zu sichern.
Die Mitteilung der Ministerial-Militär- und Baukommission vom 16. Juli 1917 und die Entscheidung der Minister des Innern und der Finanzen vom 2. November 1917 konnten die einmal abgelaufene Frist zur Beschreitung des Rechtsweges nicht von neuem eröffnen, weil sie nur eine dem Kläger günstige Änderung der Ruhegehaltsfestsetzung, zufolge einer anderweiten Berechnung des Wohnungsgeldzuschusses, brachten. Wenn in dem Urteile des erkennenden Senats RGZ. Bd. 62 S. 238 gesagt ist, daß wenn - wie dies auch hier anscheinend der Fall gewesen ist - durch eine Erinnerung der Oberrechnungskammer die Änderung einer das Ruhegehalt festsetzenden Entscheidung veranlaßt wird, der Rechtsweg gegen die die Änderung aussprechende Verfügung von neuem eröffnet werde, so bezieht sich dies selbstverständlich nur auf eine die frühere Pensionsfestsetzung zuungunsten des Beamten ändernde Verfügung. Auch bei der Kommissionsberatung des Abänderungsgesetzes vom 30. April 1884 im Abgeordnetenhause (vgl. Drucks. 1883/1884 Bd. 4 Nr. 140) ist nur der Fall einer Herabminderung des festgesetzten Ruhegehalts aus Veranlassung einer Erinnerung der Oberrechnungskammer als ein solcher bezeichnet, der den Rechtsweg von neuem eröffne. Vgl. auch § 2 des Ges. vom 24. Mai 1861."