RG, 18.05.1920 - II 42/20

Daten
Fall: 
Prozessbevollmächtigter und Rechtsmittel
Fundstellen: 
RGZ 99, 272
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
18.05.1920
Aktenzeichen: 
II 42/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Trier
  • OLG Köln

1.Darf der Auftrag zur Einlegung eines an eine Notfrist gebundenen Rechtsmittels dem bei dem übergeordneten Gerichte zugelassenen Rechtsanwalte mit einfachem Briefe oder Pakete zugesandt werden?
2.Hat der Prozeßbevollmächtigte der unteren Instanz zu prüften, ob der dem Rechtsanwalte der höheren Instanz zugesandte Auftrag zur Einlegung des Rechtsmittels bei diesem eingetroffen ist?

Tatbestand

Die Klägerinnen haben auf Feststellung der Richtigkeit gewisser mit dem Beklagten abgeschlossener Verträge geklagt. Das Landgericht Trier hat die Entscheidung des Rechtsstreits von der Leistung eines dem Beklagten auferlegten Eides abhängig gemacht. Dieses Urteil ist den Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen am 24. Januar 1919 zugestellt worden. Am 19. Februar 1919 haben diese ihre Handakten nebst Urteilsausfertigung und brieflichem Auftrage zur Einlegung der

Berufung an den Rechtsanwalt Dr. L. in Köln und zwar in einfachem Pakete gesandt. Das Paket ist beim Adressaten nicht eingetroffen. Am 29. März 1919 erfuhren die Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen von diesem Sachverlaufe. In ihrem Auftrage legte nunmehr Dr. L. durch einen am 4. April 1919 beim Oberlandesgericht Köln eingegangenen Schriftsatz Berufung gegen das landgerichtliche Urteil ein und beantragte am gleichen Tage Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Das Berufungsgericht hat jedoch die Berufung als unzulässig verworfen. Auch die Revision der Klägerin blieb erfolglos.

Aus den Gründen

... "Wenn das Berufungsgericht und die Revision die Frage erörtern, ob es der äußersten, den Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen zuzumutenden Sorgfalt entsprach, die Handakten nebst dem Auftrage zur Einlegung des Rechtsmittels erst am 19. Februar, d. h. also 5 Tage vor Ablauf der Rechtsmittelfrist abzusenden, so ist dieser Ausgangspunkt nicht richtig gewählt. Eine verspätete Postbestellung kommt vorliegend nicht in Frage. Das Paket ist vielmehr bei Dr. L. überhaupt nicht eingetroffen. Da nun unstreitig bei Versendung des Pakets am 19. Februar ein rechtzeitiges Eintreffen desselben beim Adressaten möglich gewesen wäre, so ist eine Erörterung der Frage, ob die Anwälte der Klägerinnen die Absendung erst am 19. Februar vornehmen durften, gegenstandslos. Es kann sich vielmehr nur darum handeln, ob die Absendung in der Form, wie sie vorgenommen worden ist, zulässig war. Das aber ist zu verneinen. Schon in normalen Zeiten pflegt man wichtige Briefe oder sonstige Sendungen nicht ohne die zur Verfügung stehenden Verkehrssicherungen zur Post zu geben. Während des Krieges und noch weit mehr in den nachfolgenden unruhigen Zeiten gebot dies die einfachste Vorsicht in noch weit höherem Grade. Jedermann weiß, daß einfache Briefe und Pakete sehr häufig ihre Bestimmung nicht erreichen. Dabei braucht nicht einmal an Beraubung gedacht zu werden, die ja im vorliegenden Falle nicht in Betracht käme. Es war eine Fahrlässigkeit der Anwälte, eine so wichtige Sendung nicht als Wertpaket oder aber die Urteilsausfertigung nebst dem den Auftrag zur Einlegung des Rechtsmittels enthaltenden Schreiben als eingeschriebenen Brief zu befördern. Lag aber eine derartige Fahrlässigkeit vor, so kann auch bei Zugrundelegung der in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung niedergelegten Grundsätze nicht von einem unabwendbaren Zufalle die Rede sein.

Dem Berufungsgericht ist ferner darin beizutreten, daß auch die Verstreichung der in § 234 ZPO. vorgeschriebenen Frist den Anwälten der Klägerinnen als Verschulden anzurechnen ist. Sie waren verpflichtet, sich davon zu überzeugen, ob der dem Dr. L. erteilte Auftrag von diesem angenommen werde. Wie es einerseits üblich ist, daß der beauftragte Anwalt alsbald die Annahme des Auftrags bestätigt, so war es anderseits geboten, wenn die Bestätigung ausblieb, den Sachverhalt durch eine demnächstige Anfrage aufzuklären (vgl. Urt. des RG. v. 13. April 1904 1/04 und RG. in Warneyer 1909 Nr. 168). Die von der Revision angezogene Entscheidung des Reichsgerichts v. 5. Dezember 1919 II 252/19 behandelt einen tatsächlich völlig anders gelagerten Fall. Die Anwälte der Klägerinnen haben im vorliegenden Falle die Angelegenheit wochenlang auf sich beruhen lassen. Erst als sie am 29. März ohne ihr Zutun erfuhren, daß das Paket bei Dr. L. nicht eingetroffen war, unternahmen sie Schritte zugunsten ihrer Auftraggeber. Dieses Verfahren war fahrlässig. Mit Recht auch hat das Berufungsgericht angenommen, daß die Anwälte den wirklichen Sachverhalt schon Ende Februar, Anfang März hätten in Erfahrung bringen müssen, und daß von diesem Zeitpunkt an der Lauf der Frist des § 234 ZPO. beginne (vgl. RGZ. Bd. 67 S. 186, Bd. 78 S 121)."