RG, 12.05.1919 - VI 374/18

Daten
Fall: 
Klageberechtigung des Teilhabers einer offenen Handelsgesellschaft
Fundstellen: 
RGZ 95, 339
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
12.05.1919
Aktenzeichen: 
VI 374/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • KG Berlin

1. Klageberechtigung des Teilhabers einer offenen Handelsgesellschaft zur Abwehrklage auf Unterlassung weiterer gegen die Gesellschaft gerichteter beleidigender Behauptungen.
2. Zulässigkeit der vorbeugenden Unterlassungsklage, wenn die zu untersagende Handlung unter öffentliche Strafe gestellt ist, die Strafverfolgung aber nur im Wege der Privatklage stattfindet?
3. Ist die Abwehrklage auf Unterlassung weiterer ehrverletzender Behauptungen auch dann zulässig, wenn dem Behauptenden der Schutz der Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB.) zur Seite steht?
1

Tatbestand

Der Kläger ist Mitinhaber eines in Berlin von der offenen Handelsgesellschaft G. & Co. betriebenen Wäschegeschäftes, in dem die Waren durch Provisionsreisende unmittelbar an die privaten Verbraucher abgesetzt werden. Der Beklagte ist Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schwindelfirmen in L.; in dieser Eigenschaft hat er Personen, die wegen der mit den Reisenden der Firma des Klägers abgeschlossenen Verträge auf Kauf von Wäschestücken in Prozesse geraten waren, die Dienste der genannten Zentralstelle angeboten und sie aus ihren Erfahrungen um weiteres Material gebeten. In einem Rechtsstreite Sch. w. H. - die 1916 aufgelöste Firma Berliner Wäscheindustrie vorm. J. Sch. stand mit der Firma des Klägers in engster Verbindung - richtete er an den Prozeßvertreter des Beklagten Rechtsanwalt S. in Berlin am 19. August 1915 ein Schreiben, in welchem er die Firma des Klägers als eines "der zweifelhaftesten Wäscheversandgeschäfte" bezeichnete und aussprach, daß "allem Anscheine nach" die Firma Kenntnis von den Betrügereien ihrer Reisenden habe oder sie gar zu den unreellen Machenschaften anstifte. Der Kläger hat nun gegen den Beklagten Klage erhoben mit dem Antrage, daß er verurteilt werde, die Behauptung zu unterlassen, daß die Inhaber der Firma G. & Co. allem Anscheine nach von Betrügereien ihrer Reisenden Kenntnis hätten und diese sogar zu unreellen Machenschaften anstifteten, und überhaupt Behauptungen aufzustellen, wodurch dem Kläger als Teilhaber der Firma G. & Co. ein unreelles kaufmännisches Verhalten nachgesagt werde.

Das Landgericht wies die Klage ab; das Kammergericht verurteilte abändernd den Beklagten bei Androhung einer Geldstrafe von 1500 M für jeden Fall der Zuwiderhandlung zur Unterlassung der aufgestellten Behauptung, im übrigen - hinsichtlich des allgemeinen Antrags auf Unterlassung ähnlicher Behauptungen - wies es die Berufung zurück.

Auf die Revision des Beklagten wurde dieses Urteil aufgehoben aus folgenden Gründen:

Gründe

"Die Revision des Beklagten macht zuerst geltend, aus dem Berufungsurteil erhelle nicht, worauf das Gericht seine verurteilende Entscheidung stütze, auf § 823 oder § 824 oder § 826 BGB.; ob der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb oder die geschäftliche Ehre oder der Kredit des Klägers als verletzt betrachtet werde. Dieser Revisionsangriff ist unbegründet. Das Berufungsurteil führt im Einklange mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts aus, daß von einem widerrechtlichen Eingriff in den Gewerbebetrieb nur bei einem unmittelbaren Angriffe gegen den Bestand des Gewerbebetriebs, dessen tatsächlicher Hinderung oder rechtlicher Verneinung die Rede sein könne, und es spricht ausdrücklich aus, daß es im gegebenen Falle an der unmittelbaren Antastung der Grundlagen des Gewerbebetriebs des Klägers fehle. Ebenso klar und unzweideutig ist die Anwendung des §826 BGB. abgelehnt; von einem Verstoße des Beklagten gegen die guten Sitten könne, wenn man die sachliche Berechtigung seines in gutem Glauben betätigten Vorgehens ins Auge fasse, ebenfalls keine Rede sein. Die Anwendung des § 824 BGB. ist von dem Berufungsgerichte nicht besonders erörtert worden; indem es aber bemerkt, ein Unterlassungsanspruch könne nur insoweit in Betracht kommen, als der Beklagte sich einer Beleidigung des Klägers oder seiner Firma schuldig gemacht habe, ist auch dieser rechtliche Gerichtspunkt abgelehnt. Denn wenn auch § 824 BGB. einen ähnlichen Tatbestand behandelt wie § 186 StGB., so ist doch hierbei von einer Beleidigung, einer Verletzung der persönlichen Ehre, nicht die Rede; ob auch Kredit und Fortkommen des Klägers und seiner Firma im Sinne des § 824 BGB. als Gegenstand der Angriffe des Beklagten angesehen werden können, darüber hat sich das Berufungsgericht nicht ausgelassen. Aus allen seinen Ausführungen ist aber so viel klar, daß es seine Verurteilung lediglich auf Grund des § 186 StGB, in Verb. mit § 823 Abs. 2 BGB. ausgesprochen hat.

Die Klagebefugnis des Klägers wird von der Revision zu Unrecht bemängelt. Nach den Tatbeständen der Urteile der Vorinstanzen ist die Firma G. & Co. eine offene Handelsgesellschaft, also keine besondere juristische Persönlichkeit neben den physischen Personen der Gesellschafter. Als Gegenstand beleidigender Angriffe nach §§ 185 bis 187 StGB. können auch nur physische Personen in Betracht kommen, da nur solchen eine persönliche Ehre zu eigen ist. Die Teilhaber einer offenen Handelsgesellschaft sind nicht verschieden von dieser, sie sind nicht ihre Vertreter, sondern sie bilden in ihrer Gemeinschaft die Gesellschaft; in den Angriffen gegen die Gesellschaft werden sie getroffen; in der "Ehre" der offenen Handelsgesellschaft und deren Firma wird unmittelbar die Ehre der Gesellschafter angegriffen und verletzt.

Ohne Rechtsirrtum erblickt das Berufungsgericht in dem Klaganspruch eine vorbeugende Unterlassungsklage, die auf der Grundlage lediglich gegenständlich rechtswidriger Angriffe gegen die Ehre des Klägers durch den Beklagten in der Vergangenheit die Verhütung ihrer Wiederholung und das Verbot dieser Wiederholung für die Zukunft bezweckt. Es handelt sich um eine Abwehr fernerer Störungen, nicht um die Beseitigung einer gegenwärtigen; die Handlung, die die Grundlage des Unterlassungsanspruches bildet, liegt in der Vergangenheit und hat einen dauernden widerrechtlichen Zustand, dessen Beseitigung in Frage stünde, nicht hinterlassen (vgl. RGZ. Bd. 82 S. 59).

Es kommt nun zunächst in Frage, ob für die erhobene vorbeugende Unterlassungsklage nach Maßgabe der Rechtsprechung des Reichsgerichts ein Rechtsschutzbedürfnis anzuerkennen ist. Die bezeichnete Rechtsprechung hat ein solches im allgemeinen dann verneint, wenn die Handlung, deren Unterlassung gefordert wird, durch ein Strafgesetz unter öffentliche Strafe gestellt ist. Das Berufungsgericht geht davon aus, daß dieser Gesichtspunkt für die Verfügung der Unterlassungsklage nicht zutreffe, wenn die Strafverfolgung nur im Wege der Privatklage möglich sei, oder wenigstens nur insoweit zutreffe, als es sich um ganz allgemeine Vorwürfe des Beklagten, nicht um bestimmte tatsächliche Behauptungen handle. Diese Stellungnahme des Berufungsgerichts entspricht jedoch nicht der Rechtsprechung des erkennenden Senats, der zwar in der Entscheidung RGZ. Bd. 77 S. 217 noch dahingestellt ließ, ob das Rechtsschutzbedürfnis für die Unterlassungsklage auch gegenüber der bloßen Privatklage zu verneinen sei, in der Entscheidung RGZ. Bd. 82 S. 59 aber aussprach, daß grundsätzlich ein Unterschied zwischen öffentlicher Strafverfolgung und Privatklage in dieser Frage nicht gemacht werden könne. Es muß, auch wenn die Handlung nur im Wege der Privatklage strafrechtlich verfolgbar ist, im einzelnen Falle ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis nachgewiesen werden, sei es, daß im Einzelfalle dem Verletzten die Abwehr ungewöhnlich erschwert sei oder die Privatklage keinen ausreichenden Schutz darstelle. Dabei ist der Senat auch in den späteren Entscheidungen RGZ. Bd. 88 S. 130 und Bd. 91 S. 265 und 350 verblieben. Die Frage, ob besondere Umstände vorliegen, die für den gegebenen Fall neben der Möglichkeit der Strafverfolgung im Wege der Privatklage ein Bedürfnis für eine Zivilklage auf Unterlassung als gegeben erscheinen lassen, hätte daher auch in der vorliegenden Sache der Prüfung bedurft.

Das Berufungsgericht hat nun aber weiter hinsichtlich der vorbeugenden Unterlassungsklage in Anlehnung an die Entscheidung des Reichsgerichts RGZ. Bd. 60 S. 7 ausgesprochen: Jeder auch nur gegenständlich widerrechtliche Eingriff in ein vom Gesetze geschütztes Recht berechtige zu einer Klage auf Unterlassung, wenn weitere Wiederholungen zu befürchten sind. Das Schuldmoment komme bei einer solchen Klage nicht in Betracht, ebensowenig die Wahrnehmung berechtigter Interessen. Die Ausschaltung des Schuldmoments für die Unterlassungsklage ist nach Inhalt und Zweck der vorbeugenden Unterlassungsklage, die der abwehrenden Eigentumsklage nachgebildet ist und nur das Vorliegen eines gegenständlich rechtswidrigen Eingriffes in das geschützte Recht voraussetzt, zutreffend; hinsichtlich der Ausschaltung der Frage der Wahrnehmung berechtigter Interessen bei den Angriffen des Beklagten verkennt indessen das Berufungsgericht die Tragweite der Entscheidung RGZ. Bd. 60 S. 6. Hier wie in den weiteren Entscheidungen bei Warneyer 1914 Nr. 17, 1915 Nr. 20 lag der Tatbestand vor, daß die gegenständliche Unwahrheit der behaupteten Tatsache feststand; das Berufungsgericht hat jedoch den Beweis der Wahrheit der behaupteten Tatsache dem Beklagten aufgebürdet und lediglich diesen Beweis nicht für geführt erachtet. Das ist rechtsirrig. Daß die Wahrnehmung berechtigter Interessen auch für die vorbeugende Unterlassungsklage, wenn diese auf Grund der §§ 185, 186 StGB, in Verb. mit § 823 Abs. 2 BGB. wegen eines widerrechtlichen Angriffes gegen die Ehre des Klägers erhoben wird, nicht an sich gleichgültig sein kann, ergibt sich aus dem Umstände, daß die Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht sowohl die Schuldhaftigkeit des Handelnden als die Widerrechtlichkeit des Handelns ausschließt (vgl. auch RGZ. Bd. 82 S. 59, 63). Demgemäß ist auch in den Entscheidungen Warneyer 1918 Nr. 95 und Urt. vom 25. Oktober 1913 VI 349/13 - hier sowohl für § 193 StGB, wie für § 824 Abs. 2 BGB. - (vgl. dazu Komm. v. RGR. Vorb. 6 III b vor § 823) ausgeführt, daß zunächst durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen der Äußerung der Charakter der Widerrechtlichkeit genommen werde; aber die Interessen hören auf, berechtigte zu sein, sobald der Betroffene bewiesen hat, daß die Äußerung objektiv unwahr ist. Erbringt der Betroffene den Beweis der Unwahrheit der von dem Beklagten über ihn aufgestellten Behauptungen, so kann er auf Grund dieser Beweisführung jede Wiederholung derselben, auch eine solche, die an sich in den Grenzen der Wahrnehmung berechtigter Interessen gelegen wäre, verbieten lassen. Hiervon ist auch im gegebenen Falle auszugehen. Steht dem Beklagten der Schutz des § 193 StGB. zur Seite, so kann der Kläger von ihm die fernere Unterlassung der Behauptung nur dann verlangen, wenn er seinerseits den Nachweis der Unwahrheit der Behauptung führt, also der Tatsache, daß er und die übrigen Inhaber der Firma G. & Co. von den "Betrügereien", d. i. von den unreellen Machenschaften ihrer Reisenden bei der Aufnahme ihrer Bestellungen, wie sie in dem Urteil erster Instanz dargestellt worden sind, keine Kenntnis gehabt und sie dazu auch nicht in irgendeiner Weise angestiftet haben. Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, daß, obwohl die Äußerung des Beklagten in die Form des Verdachts gekleidet ist - mehr als einen solchen Verdacht mochte und konnte der Beklagte redlichen Glaubens nicht aussprechen - damit doch die Behauptung einer Tatsache aufgestellt ist. Dann muß aber nunmehr der Kläger den Beweis der Unwahrheit übernehmen, um dem Beklagten die Berufung auf den § 193 StGB. zu entziehen. Von diesem Gesichtspunkt aus hat aber das Berufungsgericht den Sachverhalt nicht betrachtet; es nimmt nur an, daß der Beklagte den Beweis der Wahrheit zu führen nicht vermocht und es unterlassen habe, bestimmte einzelne Fälle vorzubringen und bestimmte Tatsachen zur Begründung seines Verdachtes zu bezeichnen. Ob diese letztere Begründung zutrifft, kann hier unerörtert bleiben, weil dem Beklagten, sofern ihm die Wahrnehmung berechtigter Interessen zuzubilligen ist, dieser Beweis nicht obliegt. Deshalb sind auch die Prozeßbeschwerden der Revision nicht weiter zu prüfen, die die Nichterhebung der von dem Beklagten noch angetretenen Beweise rügen, aus denen sich ergeben soll, daß die zahlreichen Fälle unreeller Machenschaften der Reisenden und die Jahre hindurch fortlaufend überaus große Anzahl von Prozessen der Firmen J. Sch. und G. & Co. gegen die Besteller nicht wohl die Geschäftsinhaber ohne Kenntnis von den Ausschreitungen der Reisenden lassen konnten. Ob der Beklagte in Wahrnehmung berechtiger Interessen gehandelt hat, hat das Berufungsgericht nicht geprüft: es war dazu von seinem, allerdings rechtsirrigen, Standpunkt aus auch nicht veranlaßt. Der Beklagte ist Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schwindelfirmen und hat als Geschäftsführer dieser Stelle gehandelt, als er den die Grundlage des gegenwärtigen Prozesses bildenden Brief an den Rechtsanwalt S. als den Prozeßvertreter einer von der Firma J. Sch. beklagten Partei schrieb. Es handelt sich um keine öffentliche Äußerung gegenüber unbeteiligten Dritten, sondern um ein unmittelbar zum Zwecke der Bekämpfung der unreellen Machenschaften in den Reisegeschäften der Wäscheindustrie, zur Sammlung von Überführungsmaterial gegen solche Firmen und zur Unterstützung der von ihnen durch die Reisenden auf unreelle Weise gewonnenen Besteller in ihrer Rechtsverteidigung gegenüber jenen Firmen an den berufenen Vertreter gerichtetes Schreiben. Nach den Grundsätzen, wie sie in der Rechtsprechung mehrfach entwickelt worden sind (vgl. RGZ. Bd. 60 S. 5) wird daher der Schutz des § 193 StGB. dem Beklagten nicht versagt werden können; Form und Umstände der Äußerung aber lassen das Vorhandensein einer Beleidigung nicht erkennen."...

  • 1. Vgl. zu 2.: Bd. 77 S. 217, Bd. 82 S. 59, Bd. 88 S. 180, Bd. 91 S. 256 und 350; zu 3.: Bd. 78 S. 256, Bd. 82 S. 59 und die angezogenen Entscheidungen im 88. und 91 Bd.