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RG, 09.05.1919 - III 556/18

Daten
Fall: 
Fortdauer der Prozeßvollmacht
Fundstellen: 
RGZ 95, 337
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
09.05.1919
Aktenzeichen: 
III 556/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • OLG Breslau
  • LG Gleiwitz

Fortdauer der Prozeßvollmacht des bisherigen Armenanwalts nach Beiordnung eines anderen.

Tatbestand

Der Kläger war bis zur Schlußverhandlung erster Instanz von dem Rechtsanwalt Dr. B. als Armenanwalt vertreten worden. Auf einen von Rechtsanwalt N. für B. eingereichten Antrag wurde durch einen in der Schlußverhandlung verkündeten Gerichtsbeschluß N. an Stelle des Dr. B. dem Kläger als Armenanwalt beigeordnet. N. verhandelte im Anschluß daran sofort für den Kläger und wurde auch in dem die Klage abweisenden Urteil als Prozeßbevollmächtigter des Klägers bezeichnet. Das Urteil wurde auf Betreiben des Beklagten am 2. November 1916 dem Rechtsanwalte Dr. B. und am 22. Dezember 1916 dem Rechtsanwalte N. zugestellt. Die am 2. Dezember 1916 eingelegte Berufung des Klägers wurde vom Berufungsgericht als unzulässig verworfen, weil zur Zeit der Zustellung vom 2. November 1916 Dr. B. nicht mehr Prozeßbevollmächtigter des Klägers gewesen, die Berufungsfrist daher durch diese Zustellung nicht eröffnet worden und die Einlegung der Berufung nach § 516 Abs. 2 ZPO. wirkungslos gewesen sei. Auf die Revision des Klägers wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe

"Das Berufungsgericht stellt selbst fest, daß Rechtsanwalt Dr. B. bis zur Schlußverhandlung der ersten Instanz Prozeßvollmacht des Klägers gehabt habe und in Verhandlungen wiederholt für ihn aufgetreten sei. Diese Prozeßvollmacht konnte nur auf prozeßordnungsmäßigem Wege aufgehoben werden. Dazu genügte die Beiordnung eines anderen Anwalts ebensowenig, wie etwa der beigeordnete Anwalt schon durch die Beiordnung zum Prozeßbevollmächtigten der armen Partei wird (RGZ. Bd. 89 S. 42). Zur Aufhebung der Prozeßvollmacht bedarf es vielmehr einer Erklärung, die namens der Partei an das Gericht und an den Gegner abgegeben wird. Nach § 87 Abs. 1 ZPO. erlangt dem Gegner gegenüber die Kündigung des Vollmachtsvertrags erst durch die Anzeige des Erlöschens der Vollmacht, in Anwaltsprozessen erst durch die Anzeige der Bestellung eines anderen Anwalts rechtliche Wirksamkeit. Entsprechendes muß für das Verhältnis zum Gericht gelten. Eine ausdrückliche Anzeige dieser Art hat im vorliegenden Falle nicht stattgefunden. Die Anzeige bedarf nun zwar, wie im Anschluß an RGZ. Bd. 38 S. 416 überwiegend angenommen wird, keiner besonderen Form, insbesondere nicht der Zustellung eines Schriftsatzes. Sie kann auch in schlüssigen Handlungen, z. B. durch sachliches Verhandeln eines neuen Anwalts, geschehen (vgl. RGZ. Bd. 89 S. 42, 44). Eine solche stillschweigende Anzeige kann aber nur dann angenommen werden, wenn das Verhalten der Partei zu erkennen gibt, daß sie nicht mehr durch den bisherigen, sondern nur noch durch einen anderen Prozeßbevollmächtigten vertreten sein wolle. Der Ausdruck dieses Willens ist weder in den Vorgängen der Schlußverhandlung noch in dem späteren Verhalten des Klägers zu finden. In der Verhandlung trat im Anschluß an die Verkündung des beiordnenden Beschlusses der dadurch beigeordnete Rechtsanwalt N. für den abwesenden Kläger auf. Er hatte keinen Anlaß, zum Fortbestand der Prozeßvollmacht des Rechtsanwalts Dr. B. Stellung zu nehmen. Sein Auftreten kann daher nur dahin verstanden werden, daß er für den Kläger tätig sein wolle. Ist aber sein Verhalten in diesem beschränkten Sinne zu verstehen, dann kann auch in dem Verhalten des Klägers, der zu diesem Vorgange, soweit er davon überhaupt erfuhr, schwieg, nichts weiter gefunden werden als eine Genehmigung der Prozeßführung des Rechtsanwalts N. Die Vollmacht des Rechtsanwalts Dr. B. war also, als ihm am 2. November 1916 das Urteil zugestellt wurde, noch nicht erloschen. Das Urteil konnte ihm wirksam zugestellt werden. Ob er bis dahin neben N. noch für den Kläger tätig war, ist unerheblich. Ebenso ist im Hinblick auf § 84 ZPO. für die Wirksamkeit der Zustellung vom 2. November 1916 ohne Bedeutung, ob in diesem Zeitpunkt auch N. Prozeßbevollmächtigter des Klägers war. Die innerhalb der gesetzlichen Frist des § 516 Abs. 1 ZPO. eingelegte Berufung war daher zulässig. Es muß demgemäß das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden."