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RG, 06.05.1919 - II 367/18

Daten
Fall: 
Kaufmännisches Zurückbehaltungsrecht
Fundstellen: 
RGZ 95, 334
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
06.05.1919
Aktenzeichen: 
II 367/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg
  • OLG Hamburg

Erfordert die Erlangung eines vollstreckbaren Titels gemäß § 371 Abs. 3 HGB. die Bezifferung der Forderung, deretwegen das Zurückbehaltungsrecht beansprucht wird?

Tatbestand

Der Kläger, kaufte von dem Beklagten im Mai 1916 einen Eisenbahnwagen Speisefett zu 2,50 M das Pfund. Der Wagen enthielt 6610 kg Fett. Er wurde nach Altona gesandt, wo ihn der Kläger, nachdem eine chemische Untersuchung ergeben hatte, daß die Ware nur 38.4% Fett, dagegen 52,9% Wasser und 8,7% Stärkemehl und Salz enthielt, wegen vertragswidriger Beschaffenheit der Ware dem Beklagten zur Verfügung stellte. Der Kläger hatte dem Beklagten bereits am 19. Mai 1916 1000 M und einige Tage später 20000 M auf den Kaufpreis bezahlt. Weil der Beklagte ihm zugesichert habe, daß die Ware ca. 50% Schmalz und ca. 50% andere edle Bestandteile enthalte, und weil die Ware auch nicht Handelsgut mittlerer Art und Güte sei, erhob der Kläger Klage mit dem Antrag, ihm zu gestatten, sich wegen seiner Forderung auf Rückzahlung der 21000 M und auf Ersatz des ihm entgangenen Verdienstes - er will die Ware wenigstens mit 5060 M Verdienst weiterverkauft haben - sowie der von ihm gemachten Auslagen aus dem Erlöse der in Altona lagernden Ware zu befriedigen. Auf Anordnung des Prozeßgerichts im Wege der einstweiligen Verfügung wurde die dem Verderben ausgesetzte Ware öffentlich verkauft und der 19018,85 M betragende Erlös bei der Gerichtskasse in Altona hinterlegt. Dem entsprechend geänderten Antrage des Klägers gemäß wurde der Beklagte vom Landgerichte verurteilt, darin zu willigen, daß die hinterlegten 19018,85 M nebst aufgelaufenen Zinsen dem Kläger zwecks Befriedigung wegen seiner Forderung auf Rückzahlung der angezahlten 21000 M und auf Ersatz des ihm entgangenen Gewinns sowie der von ihm gemachten Auslagen ausgekehrt werden.

Auf die Berufung des Beklagten wurde die Entscheidung von einem dem Kläger auferlegten Eide abhängig gemacht. Für den Fall der Eidesweigerung sollte die Klage abgewiesen werden. Für den Fall der Eidesleistung wurde der Beklagte verurteilt, in die Auskehrung der hinterlegten 19018,85 M nebst Zinsen an den Kläger zu willigen und zwar - abweichend von dem landgerichtlichen Urteile - zwecks Befriedigung wegen seiner Schadensersatzforderung von 26256,40 M, da dem Kläger nicht nur als Schadensersatz die Rückerstattung der angezahlten 21000 M, sondern auch als entgangener Gewinn im ganzen 5256,40 M zugebilligt wurden.

Die Revision des Beklagten führte zu einer Änderung der für den Fall der Eidesleistung ausgesprochenen Folge.

Gründe

"Das Berufungsgericht stellt fest, daß die gelieferte Ware dem Kläger als Kunstspeisefett und zwar unter dem Namen "Specosa" verkauft worden ist, daß sie aber weniger als 40% Fett und mehr als 50% Wasser und eine ziemliche Menge in solche Ware überhaupt nicht gehörigen Stärkemehls enthielt, daß sie daher nach den bestehenden Verkehrsanschauungen nicht als Speisefett, auch nicht als Kunstspeisefett gelten kann. Das Berufungsgericht erachtet daher den Wandlungsanspruch des Klägers, da er beim Kaufabschluß den Mangel zwar nicht kannte, aber seine Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruhte, gemäß §§ 459, 460 Satz 2 BGB. dann für begründet, wenn - was durch Leistung des dem Kläger auferlegten Eides festgestellt werden soll - der Beklagte dem Kläger zugesichert hat, daß die Ware aus etwa 50% Schmalz und etwa 50% anderen edlen Bestandteilen bestehe. Dann soll der Wandlungsanspruch gegeben sein, aber hinter den weitergehenden Schadensersatzanspruch zurücktreten.

Rechtlich ist dazu zu bemerken, daß der Kläger nicht einen Wandlungsanspruch, sondern einen Schadenersatzanspruch wegen Nichterfüllung des Kaufvertrags geltend gemacht hat und zulässigerweise im Rahmen des letzteren außer Ersatz des ihm entgangenen Gewinnes auch Rückerstattung des gezahlten Kaufpreises und Erstattung der in Erwartung der Erfüllung gemachten Aufwendungen begehrt. In diesem Sinne ist bereits in dem landgerichtlichen Urteile festgestellt, daß der Kläger mit der Klagschrift Klage auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung erhoben hat. Das trifft nur insofern nicht zu, als nicht auf Leistung von Schadensersatz geklagt ist, sondern gemäß § 371 Abs. 3 HGB. auf Gestattung der Befriedigung aus der vom Kläger zurückbehaltenen Ware wegen seiner Schadensersatzforderung. Nur für diese letztere Klage war die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts in Hamburg gemäß § 371 Abs. 4 HGB. begründet, da der Beklagte seinen Wohnsitz nicht in dem Bezirke des Landgerichts hatte.

Ist die durch den Eid festzustellende Zusicherung des Beklagten erfolgt, so ist übrigens auch der geltend gemachte Schadensersatzanspruch gemäß § 463 BGB. ohne weiteres begründet, da die zugesicherte Eigenschaft nach der festgestellten Art des Mangels der Ware zweifellos schon zur Zeit des Kaufes gefehlt hat. ...

Im Falle der Eidesleistung sind alle Voraussetzungen für die Klage aus § 371 Abs. 4 HGB. gegeben. Es steht dann fest, daß der Kläger gegen den Beklagten eine fällige Forderung auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung eines zwischen beiden geschlossenen beiderseitigen Handelsgeschäfts hat und daß für ihn deswegen gemäß § 369 HGB. ein Zurückbehaltungsrecht an den von dem Beklagten ihm abgelieferten Waren begründet wurde. Durch die Versteigerung der im Eigentum des Beklagten verbliebenen Ware ist deren Erlös an ihre Stelle getreten, so daß der Beklagte gegen die Hinterlegungsstelle ein Forderungsrecht auf Auszahlung des Erlöses hat, während dem Kläger anstelle seines früheren Zurückbehaltungsrechts an der Ware nunmehr zwecks Sicherung seiner Befriedigung aus dem Erlöse ein Verfügungen des Beklagten über das Forderungsrecht hinderndes Recht zusteht. Kraft des letzteren ist der Kläger berechtigt, seine Befriedigung wegen der Schadensersatzforderung durch Einziehung der Forderung des Beklagten gegen die Hinterlegungsstelle zu verwirklichen (§ 1282 BGB., § 371 Abs. 2 HGB.). Die Verurteilung des Beklagten, dies zu gestatten, begehrt Kläger mit der Klage. Diese Verurteilung ist im Falle der Eidesleistung in der Form gerechtfertigt, wie sie in dem landgerichtlichen Urteil ausgesprochen ist. Mit Recht rügt die Revision, daß das angegriffene Urteil die zu befriedigende Schadensersatzforderung des Klägers über die unstreitig gemachte Bezahlung von 21000 M hinaus auf 26256,40 M beziffert, indem es in seiner Begründung die Zusprechung von 5256.40 M als Ersatz für entgangenen Gewinn für berechtigt erachtet. Abgesehen davon, daß das Berufungsgericht die in der Klage neben anderen Auslagen erwähnten Aufwendungen für Porto und Fracht mit 196,40 M nicht als entgangenen Gewinn zusprechen durfte, verkennt es die Natur der Klage, die nicht auf Leistung, Zahlung eines Geldbetrags als Schadensersatz, sondern nur auf Erlangung eines vollstreckbaren Titels zur Verwertung des Zurückbehaltungsrechts zwecks Befriedigung wegen der Schadensersatzforderung des Klägers gerichtet ist. Es bedurfte nicht der Erlangung eines vollstreckbaren Titels für die Schadensersatzforderung selbst, in welchem Falle diese allerdings ziffermäßig zu bestimmen gewesen wäre. Ein solcher Titel war für den Kläger so wenig nötig wie für den Pfandgläubiger, der sich gemäß § 1228 BGB. aus der verpfändeten Sache oder gemäß § 1282 aus der verpfändeten Forderung befriedigen will. Es genügte die Feststellung, daß dem Kläger eine individualisierte Forderung zustand, deretwegen er das Zurückbehaltungsrecht hatte. Eine Bezifferung dieser Forderung war nicht nötig; der Kläger hat sie auch, wie die Revision mit Recht hervorhebt, nicht beantragt, und zwar, wie die Klageschrift ergibt, absichtlich nicht beantragt.

Es ergibt sich, daß die Revision mit der Maßgabe zurückzuweisen ist, daß die Folge der Eidesleistung die Verurteilung des Beklagten in der in dem landgerichtlichen Urteile gewählten Form auszusprechen ist. Auf die Kostenentscheidung hat diese Änderung keinen Einfluß, da sie dem Antrage des Klägers entspricht und der Streitwert nur durch den hinterlegten Erlös bestimmt wird. Daß dem Kläger überhaupt ein Gewinn entgangen ist, steht bei dem billigen Einkaufspreise fest; ob er in der in der Klageschrift erwähnten Höhe gerechtfertigt ist, bedurfte keiner Entscheidung."