RG, 06.05.1884 - III 30/84

Daten
Fall: 
Natürliche Vormundschaft des Vaters
Fundstellen: 
RGZ 15, 192
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
06.05.1884
Aktenzeichen: 
III 30/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Braunschweig
  • OLG Braunschweig

1. Die natürliche Vormundschaft des Vaters über seine minderjährigen Kinder; Verhältnis derselben zu seinen Rechten aus der väterlichen Gewalt.
2. Voraussetzungen der Restitution wegen Minderjährigkeit, insbesondere gegen ein von einem Vater für sein minderjähriges Kind vorgenommenes Rechtsgeschäft. Zulässigkeit derselben gegen eine Aktienzeichnung.

Tatbestand

Der in Braunschweig wohnhafte W. zeichnete für jeden seiner beiden minderjährigen Söhne eine Aktie einer in der Gründung begriffenen Rückversicherungsgesellschaft unter Übernahme der Verpflichtung, 40 % des Aktienbetrages einzuzahlen und über die übrigen 60 % einen Wechsel auszustellen. Demnächst zahlte er auch die 40 %, im Namen seiner beiden Söhne an die Gesellschaft ein, und zwar angeblich aus einem bis dahin in einer Sparkasse für sie angelegten, aus Geschenken von Pathen und Verwandten angesammelten Vermögen derselben; die beiden Wechsel über die 60 %, wurden von den beiden Söhnen selbst mit Genehmigung ihres Vaters gezeichnet. Die Gesellschaft mußte infolge des ungünstigen Verlaufes ihrer Geschäfte schon nach einigen Jahren in Liquidation treten. Sie stellte danach gegen W., als Vertreter seiner beiden Söhne, Klage an, in welcher sie auf Grund der Aktien- und Wechselzeichnung Zahlung der übrigen 60 % verlangte. Den beiden Söhnen wurde auf Antrag ihres Vaters von der obervormundschaftlichen Behörde ein Kurator behufs ihrer Vertretung in diesem Prozesse bestellt. Derselbe bestritt die Klage, indem er für seine Pflegebefohlenen Restitution wegen Minderjährigkeit gegen die Aktienzeichnung und die Wechselzeichnungen nachsuchte, und beantragte hieraufhin zugleich widerklagend, die Klägerin zur Rückzahlung der bereits eingezahlten 40 %, zu verurteilen. Die erste Instanz erkannte nach den Antragen des Beklagten und Widerklägers, wogegen die zweite Instanz auf die jenseitige Berufung den Beklagten nach dem Klagantrage verurteilte und mit seiner Widerklage abwies. Die zweitinstanzlichen Entscheidungsgründe (mitgeteilt in der Zeitschrift für Rechtspflege im Herzogtume Braunschweig Jahrgang 32 S. 101) führten aus: Sowohl die Aktienzeichnung des Vaters als auch die beschlussjussu patrisbeschluss von den Söhnen vollzogenen Wechselzeichnungen seien anzusehen als Akte der Ausübung der väterlichen Gewalt, es sei aber in anbetracht der Grundsätze über die väterliche Gewalt unstatthaft, die Grundsätze über die Befugnisse und Verpflichtungen des Vormundes, wie von der ersten Instanz geschehen, ohne weiteres auf den Vater zu übertragen, und insbesondere könne einem Vater die Befugnis nicht versagt werden, das adventitische Vermögen seiner Hauskinder in merkantilen oder industriellen Unternehmungen anzulegen; die erbetene Restitution würde nur dann gerechtfertigt sein, wenn die Beteiligung an der Gesellschaftsgründung von Anfang an mehr Aussicht auf Verlust als, auf Gewinn dargeboten hätte und deshalb als Ursache späterer Verluste betrachtet werden müßte; vorliegend handele es sich aber um Beteiligung an einer beschlussres quae fortuitis casibus subjecta estbeschluss, und der Mißerfolg des Unternehmens sei anzusehen als ein beschlusscasusbeschluss, der eben so auch einen Volljährigen habe treffen können und deshalb nach den Vorschriften der beschlussI. 7 §. 8 I. II §. 4 I. 24 §. 1 Dig. de. min. 4, 4beschluss eine Restitutionsbitte nicht zu begründen vermöge. - Auf die Revision des Beklagten und Widerklägers wurde das zweitinstanzliche Urteil aufgehoben und die gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegte Berufung zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Durch die angestellte Klage wird eine beschlusspersönliche Verbindlichkeitbeschluss der minderjährigen Pflegebefohlenen des Beklagten geltend gemacht, welche begründet worden sei durch die von dem beschlussVaterbeschluss derselben beschlussals ihrem Vertreterbeschluss vorgenommenen Aktienzeichnungen, sowie durch die von ihnen selbst mit Genehmigung ihres Vaters vorgenommenen Wechselzeichnungen. Der Beklagte bestreitet die Klage auf Grund der von ihm für seine Pflegebefohlenen wegen ihrer Minderjährigkeit erhobenen Bitte um Restitution gegen diese Rechtsgeschäfte. Zugleich verlangt er widerklagend gleichfalls auf Grund dieses Restitutionsgesuches die Rückerstattung der von dem Vater in Erfüllung eines Teiles der durch die Aktienzeichnungen übernommenen Verbindlichkeiten bereits geleisteten Zahlungen. ...

Die Vorinstanz hält es nun für unstatthaft, daß der Vater hinsichtlich der Erfordernisse des Restitutionsgesuches, der erstrichterlichen Annahme gemäß, einem Vormunde gleichgeachtet werde, und will vielmehr die betroffenen Handlungen desselben - seine Aktienzeichnungen und seine Genehmigung der Wechselzeichnungen seiner Söhne - als Akte der Ausübung des ihm kraft seiner väterlichen Gewalt an dem Vermögen seiner Söhne zustehenden Nutzungs- und Verwaltungsrechtes angesehen haben. Diese Auffassung ist unrichtig. Die Befugnisse, welche die väterliche Gewalt dem Vater an dem beschlussVermögenbeschluss seiner Hauskinder gewährt, gehören zu den Vermögensrechten des Vaters und sind deshalb von ihm, abgesehen von dem hier nicht in Betracht kommenden Falle einer notwendigen Veräußerung beschluss (I. 8 §§. 4. 5 Cod. de bon. quae lib. 6, 61) beschluss, nicht im Namen seiner Kinder, sondern in seinem eigenen Namen auszuüben. Und daher ist auch die Bitte um Restitution wegen Minderjährigkeit gegen die Geschäfte, welche ein Vater vermöge seiner beschlussväterlichen Gewaltbeschluss vorgenommen hat, überhaupt nicht statthaft beschluss (I. 3 §. 4 Dig. de min. 4, 4; I. 8 §. 5 Cod. cit.) beschluss. Der Vater ist aber durch die beschlussväterliche Gewaltbeschluss nicht berechtigt auch die beschlussPersonenbeschluss seiner minderjährigen Hauskinder beschlusszu vertretenbeschluss und dieselben durch seine in ihrem Namen vorgenommenen Handlungen zu obligieren oder den Mangel ihrer Dispositionsfähigkeit durch seinen Konsens zu ergänzen. Insbesondere darf einem väterlichen beschlussjussusbeschluss nicht die Wirksamkeit eines vormundschaftlichen Konsenses beigemessen werden; die Bedeutung desselben besteht nur darin, daß der beschlussVaterbeschluss obligiert wird durch die von seinem Hauskinde beschlussjussu patrisbeschluss eingegangenen Verbindlichkeiten. Die väterliche Gewalt erstreckt sich gleichmäßig sowohl über die großjährigen, wie über die minderjährigen Hauskinder. Die Befugnis des Vaters zur vermögensrechtlichen Vertretung der beschlussPersonenbeschluss seiner beschlussminderjährigenbeschluss Kinder kann nur darauf beruhen, daß er deren Vormund ist. Während nach dem Rechte der Quellen der Vater die Stellung eines Vormundes oder Kurators seiner minderjährigen Kinder nur in besonderen Fällen einnahm, giebt ihm das heutige Recht, neben den Rechten der väterlichen Gewalt, auch beschlussallgemeinbeschluss die Rechte eines beschlussnatürlichen Vormundesbeschluss derselben.

Vorliegend hat der Vater der Pflegebefohlenen des Beklagten keineswegs bloß über das seiner väterlichen Gewalt unterworfene Vermögen derselben disponiert; er hat vielmehr durch seine in ihrem Namen vollzogenen Aktienzeichnungen und durch seine Genehmigung ihrer Wechselzeichnungen dieselben beschlusspersönlichbeschluss obligiert, dergestalt, daß sie für die kontrahierten Verbindlichkeiten beschlussunbeschränktbeschluss, nicht bloß mit ihrem gegenwärtigen, sondern auch mit allem ihrem künftigen Vermögen verhaftet sind. Da die diesen Obligationen an sich zukommende Gültigkeit nur aus der beschlussvormundschaftlichenbeschluss Befugnis des Vaters herzuleiten ist, so ist auch das Restitutionsgesuch des Beklagten hier in gleicher Weise zulässig, als wenn die betroffenen Rechtsgeschäfte von einem durch richterliche Bestellung berufenen Vormunde vorgenommen wären beschluss (I. 29 pr. Dig. de min. 4, 4) beschluss.

Nun ist zwar anzuerkennen, daß die Restitution wegen Minderjährigkeit gegen ein von dem beschlussVormundebeschluss eines Minderjährigen oder von letzterem selbst mit der Genehmigung seines Vormundes vorgenommenes Geschäft nur dann zu erteilen ist, wenn der Vormund bei der Vornahme dieses Geschäftes es an der gehörigen Vorsicht hat fehlen lassen oder sonst zum Nachteile seines Mündels etwas versehen hat beschluss (I. 2. 3 Cod. si tutor intervenerit 2, 25) beschluss. Diese Voraussetzung ist aber in dem vorliegenden Falle offenbar vorhanden. Der Vater hat seine minderjährigen Söhne an einer zu begründenden Aktiengesellschaft beteiligt nicht bloß mit einer Kapitalanlage, sondern auch überdies mit der Übernahme einer erheblichen persönlichen Verpflichtung, und zwar sogar festgestelltermaßen lediglich in Spekulation auf den Wiederverkauf der gezeichneten Aktien nach einer erhofften baldigen Steigerung des Kurses. Soll nun ein Vormund nach gesetzlicher Vorschrift schon bei der Anlegung des Vermögens seiner Mündel mit größter Vorsicht verfahren, so muß es für durchaus unstatthaft erachtet werden, daß ein Vormund - der Vater ebenso, wie ein bestellter Vormund - seine Mündel behufs der Eingehung solcher beschlussgewagtenbeschluss Geschäfte mit persönlichen Verbindlichkeiten belastet. Daß derartige Geschäfte von Großjährigen häufig eingegangen werden, kann sie nicht auch für Minderjährige als thunlich erscheinen lassen. Die Bezugnahme der Vorinstanz auf den Ausspruch der beschlussI. 7 §. 8 Dig. de minor. 4, 4beschluss ist unzutreffend und rechtsirrtümlich. Die Stelle bespricht die Frage, ob gegen eine stattgefundene Versteigerung von Sachen eines Minderjährigen Restitution zu erteilen sei, wenn sich nachher ein Kauflustiger finde, der einen größeren Preis geben wolle; der Jurist sagt, man müsse mit der Erteilung einer solchen Restitution sehr behutsam verfahren, denn wer werde sonst noch mit Minderjährigen kontrahieren wollen, und knüpft hieran die Bemerkung, daß in beschlussrebus, quae fortuitis casibus subjectae suntbeschluss, der Minderjährige gegen den nachteiligen Ausfall des Geschäftes nur zu schützen sei, wenn sein Vormund eigennützig oder parteilich gehandelt habe. Der Rechtsirrtum, durch welchen die Vorinstanz sich bei ihrer Entscheidung hat wesentlich leiten lassen, besteht darin, daß dieselbe sich für berechtigt gehalten hat, dasjenige, was in dieser Stelle gesagt ist, in bezug auf die nicht vorherzusehenden Zufälligkeiten des Erfolges eines an sich beschlusssolidenbeschluss und den Geboten der Vorsicht nicht zuwiderlaufenden, häufig sogar durch Notwendigkeit erforderten Geschäftes, auch zu beziehen auf die Gefahren des Ausfalles eines durch ein Spekulationsgeschäft absichtlich übernommenen Risikos.

Auch die von der Revisionsbeklagten gegen die Erteilung der Restitution noch vorgebrachten besonderen Einwendungen sind unbegründet.

Der Umstand, daß die betroffenen Rechtsgeschäfte zu Gunsten einer beschlussAktiengesellschaftbeschluss eingegangen sind, ist nicht imstande, das Restitutionsgesuch als unzulässig erscheinen zu lassen. Die von der Revisionsbeklagten in Bezug genommenen Erwägungen des in den Entscheidungen des Reichsgerichtes in Civils. Bd. 9 Nr. 6 S. 38. 39 mitgeteilten Urteiles treffen den vorliegenden Fall nicht.

Daß den Pflegebefohlenen des Beklagten wegen des erlittenen Nachteiles ein Regreßanspruch gegen ihren Vater zustehen mag, ist kein Hindernis der Zulässigkeit des Restitutionsgesuches.

Ist denselben dem obigen nach die erbetene Restitution gegen ihre eingegangenen Obligationen zu erteilen, so müssen ihnen auch die von ihrem Vater als ihrem Vertreter zur teilweisen Erfüllung dieser Obligationen geleisteten Zahlungen zurückerstattet werden.

Daß die gezahlten Beträge in dem Vermögen der Aktiengesellschaft nicht mehr vorhanden und durch den Mißerfolg der auf Gesellschaftsrechnung geführten Geschäfte verloren gegangen sind, ist für die Beurteilung der Widerklage umsomehr ohne Belang, als die zur Rechtfertigung der die Widerklage begründenden Restitutionserteilung erforderliche Läsion keineswegs erst durch diesen Mißerfolg existent geworden ist, vielmehr schon durch die Gefahren, welche die Zeichnung der Aktien den Pflegebefohlenen des Beklagten auferlegte, gegeben war."