RG, 05.05.1919 - IV 30/19

Daten
Fall: 
Verpflichtung eines Ehegatten zum Besuch einer Heilanstalt
Fundstellen: 
RGZ 95, 330
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
05.05.1919
Aktenzeichen: 
IV 30/19
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Stendal
  • OLG Naumburg

Kann ein Ehegatte von dem wegen Krankheit von ihm getrennt lebenden anderen Ehegatten unter Umständen verlangen, daß er zur Wiedererlangung seiner Gesundheit eine Heilanstalt aufsucht?

Tatbestand

Die Parteien sind Eheleute, leben aber seit Jahren voneinander getrennt. Für ihre Ehe besteht der gesetzliche Güterstand des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Mit der jetzt zur Entscheidung stehenden Klage verlangt die Klägerin die Aufhebung der dem Manne zustehenden Verwaltung und Nutznießung ihres eingebrachten Vermögens. Das Landgericht wies die Klage ab, das Oberlandesgericht gab ihr statt. Die Revision des Beklagten hatte Erfolg.

Gründen

... "Die von der Klägerin geforderte Aufhebung der dem Beklagten zustehenden Verwaltung und Nutznießung sieht das Oberlandesgericht auf Grund des § 1418 Abs. 1 Nr. 2 BGB. als gerechtfertigt an. Es ist der Meinung, daß der Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin den Unterhalt durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren, daß er diese Verpflichtung verletzt habe und daß sein Verhalten auch die Besorgnis einer erheblichen Gefährdung des Unterhalts für die Zukunft rechtfertige.

Die Annahme, daß der Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin den Unterhalt durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren, begründet das Oberlandesgericht folgendermaßen: Die Klägerin sei psychisch erkrankt, sie leide an Hysterie, und ihr Leiden sei von solcher Art, daß es durch Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft zweifellos verschlimmert werden würde, da sich bei ihr die Idee einer systematischen schädigenden Behandlung festgesetzt habe, die ihr der Beklagte angedeihen lasse. Sie sei deshalb für befugt zu erachten, die Herstellung der ehelichen Gemeinschaft gemäß § 1353 Abs. 2 Satz 1 BGB. abzulehnen. Sei das aber der Fall, so könne sie ihren Aufenthalt nach eigenem Ermessen wählen. Dabei habe sie nur darauf Rücksicht zu nehmen, daß der Aufenthalt ihrer Genesung förderlich sei und den Lebensverhältnissen der Parteien entspreche. Daß der Aufenthalt der Klägerin in dem Haushalt ihres Bruders, in dem sie jetzt lebe, diesen Vorbedingungen nicht entspreche, habe der Beklagte nicht dargetan. Sein Erbieten, die Klägerin in der Heil- und Pflegeanstalt U. oder in der Anstalt in G. unterzubringen, sei danach unerheblich. Denn da sich die Klägerin von der ehelichen Gemeinschaft fernhalten dürfe, so sei die Frage ihres Aufenthaltsortes keine das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffende Angelegenheit, in der dem Beklagten nach § 1354 BGB. die Entscheidung zustehen würde. ...

Der gegen diese Begründung von der Revision erhobene Angriff schlägt durch.

Von der Revision nicht bemängelt ist die Annahme des Oberlandesgerichts, die Klägerin sei psychisch erkrankt und ihr Leiden von solcher Art, daß es durch die Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft verschlimmert werden würde. Aber aus der Erkrankung der Klägerin und dem Umstande, daß sich in ihr die Idee einer systematischen schädigenden Behandlung festgesetzt hat, die ihr der Beklagte angedeihen lasse, folgt zunächst nur, daß sie nicht verpflichtet ist, die eheliche Lebensgemeinschaft in vollem Umfange wiederherzustellen, daß sie insbesondere berechtigt ist, die Wiederherstellung der häuslichen Gemeinschaft, wie sie früher bestanden hat, abzulehnen. Nicht aber ergibt sich daraus ohne weiteres, daß die Klägerin in jeder Beziehung von der ehelichen Gemeinschaft befreit, daß sie namentlich in der Wahl ihres Aufenthalts vom Beklagten völlig unabhängig wäre und nur darauf Rücksicht zu nehmen hätte, daß der Aufenthalt ihrer Genesung förderlich ist und den Lebensverhältnissen der Parteien entspricht. Das in dem Erbieten des Beklagten, die Klägerin in einer der bezeichneten Anstalten unterzubringen, liegende Verlangen, daß sie sich auf seine Kosten zur Wiedererlangung ihrer Gesundheit in eine Heilanstalt begebe, um nach ihrer Genesung zu ihm zurückzukehren, mag zwar in § 1354 BGB. keine Stütze finden. Es fragt sich aber, ob es nicht nach § 1353 gerechtfertigt ist.

Das Oberlandesgericht geht selbst von § 1353 aus, indem es das entscheidende Gewicht darauf legt, daß die Klägerin die Herstellung der ehelichen Gemeinschaft gemäß § 1353 Abs. 2 Satz 1 ablehnen könne, weil sich das Herstellungsverlangen des Beklagten als Rechtsmißbrauch darstelle, § 1353 spricht von der Verpflichtung zur "ehelichen" Lebensgemeinschaft. Die eheliche Lebensgemeinschaft schließt zwar regelmäßig die Verpflichtung zur häuslichen Gemeinschaft ein, wird aber durch deren Aufhebung nicht notwendig beeinträchtigt. Es ist vielmehr anerkannten Rechtens (vgl. Mot. Bd. 4 S. 124, Prot. Bd. 4 S.111 und Warneyer 1918 Nr. 210), daß die eheliche Gemeinschaft unter Umständen auch ohne die häusliche Gemeinschaft bestehen kann. Dementsprechend hat das Reichsgericht die Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens im Sinne des § 1353 nicht bloß zur Beseitigung eines räumlichen Getrenntlebens, sondern auch in Fällen zugelassen, in denen ein häusliches Zusammenwohnen der Ehegatten gar nicht in Frage kam, es sich vielmehr nur darum handelte, ein dem Wesen der Ehe nach den besonderen Umständen des Falles entsprechendes Verhalten des anderen Teiles herbeizuführen. Das ist insbesondere gerade in Fällen geschehen (vgl. RGZ. Bd. 51 S.182 und Bd. 59 S. 256), in denen, wie hier, ein Ehegatte von dem wegen Krankheit getrennt lebenden anderen Ehegatten verlangte, daß er zur Wiedererlangung seiner Gesundheit eine Heilanstalt aufsuche und damit das Hindernis, das der Erfüllung seiner Verpflichtung zur vollen ehelichen Lebensgemeinschaft entgegenstand, nach Möglichkeit beseitige. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts hat zwar in der Rechtslehre hier und da Widerspruch erfahren, jedoch ist an ihr festzuhalten. Die Verpflichtung eines kranken Ehegatten, zur Ermöglichung voller Wiedervereinigung unter Umständen eine Heilanstalt aufzusuchen, ergibt sich ohne weiteres aus dem sittlichen Wesen der Ehe, das (vgl. Mot. Bd. 4 S. 104 und RGZ. Bd. 87 S. 62), wie im Schuldrechte Treu und Glauben, im Eherechte die Grundlage bildet, von welcher bei der Auslegung des Gesetzes und bei der Beurteilung aller Rechtsverhältnisse der Ehegatten untereinander auszugehen ist. Das Oberlandesgericht hätte deshalb prüfen müssen, ob es nach Lage der Sache im Sinne des § 1353 einen Rechtsmißbrauch darstellt, wenn der Beklagte nicht wünscht, daß die kranke Klägerin bei ihren Verwandten bleibt, die nach seiner Behauptung ein Interesse daran haben, sie und ihr Vermögen in den Händen zu behalten, sondern von ihr verlangt, daß sie zum Zwecke der Wiedererlangung ihrer Gesundheit eine Heilanstalt aufsuche. Daß sein Erbieten, die Klägerin auf seine Kosten in einer Heilanstalt unterzubringen, etwa nicht ernst zu nehmen wäre, ist nicht festgestellt, ebensowenig, daß der Aufenthalt in einer Heilanstalt zu einer Genesung der Klägerin und damit zur Ermöglichung einer späteren völligen Wiedervereinigung doch nicht führen würde.

Einer Untersuchung der Frage, ob das Verlangen des Beklagten einen Mißbrauch seines Rechtes darstellt (wofür die Klägerin beweispflichtig wäre), hat sich das Oberlandesgericht überhaupt nicht, mindestens aber nicht in einer die Sache tatsächlich und rechtlich erschöpfenden Weise unterzogen. Es übersieht nicht, daß der von ihm vertretenen Auffassung das Urteil des erkennenden Senats vom 10. Juni 1911 (Warneyer 1911 Nr. 381) entgegengehalten werden könnte, das in einem Falle ergangen ist, in dem sich der auf Entrichtung einer Geldrente aus § 1361 BGB. verklagte Ehemann einer an schwerer Nervenzerrüttung leidenden Frau erboten halte, dieser ein ganzes Stockwerk seines Hauses zur alleinigen Verfügung zu stellen und ihr dabei jede erforderliche ärztliche Behandlung und Krankenpflege zuteil werden zu lassen. Dort hat der Senat ausgesprochen, die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft im Sinne des § 1353 bleibe auch dann fortbestehen, wenn eine persönliche Begegnung der Ehegatten bis auf weiteres vermieden werden müsse; selbst dann habe der Mann ein Recht darauf, an der Fürsorge für die Frau, soweit es angeht, unmittelbar teilzunehmen, weil es darauf ankomme, die Hindernisse einer vollen Wiedervereinigung nach Möglichkeit und sobald es sein kann zu beseitigen, dem Manne aber, der die Mittel dafür aufzubringen habe, auch die Gelegenheit geboten sein müsse, soviel wie möglich selbst sich darum zu kümmern und dazu beizutragen. Das Oberlandesgericht meint, diesen Ausführungen sei unbedingt beizupflichten, im vorliegenden Falle gehe es aber wegen der krankhaften Abneigung der Klägerin gegen den Beklagten nicht an, daß er unmittelbar an der Fürsorge für sie teilnehme. Dabei legt es aber dem im angeführten Urteile gebrauchten Ausdruck "unmittelbar" eine Bedeutung bei, die ihm nicht zukommt. Eine persönliche Teilnahme, an die das Oberlandesgericht offenbar denkt, kam auch dort nicht in Frage, und eine krankhafte Abneigung der Frau gegen den Mann bestand dort ebenfalls. Der damals entschiedene Fall hat mit dem jetzt vorliegenden um so mehr Ähnlichkeit, als sich auch hier der Beklagte, wenn die Klägerin eine Heilanstalt nicht sollte aufsuchen wollen, erboten hat, ihr in seinem zweigeschossigen Gutshaus eine gesonderte Wohnung einzuräumen oder an seinem Wohnort eine Mietwohnung zu beschaffen, ihr alles zu ihrem Unterhalt Erforderliche zur Verfügung zu stellen und auch eine besondere Aufwartung zu halten. Auch dieses Erbieten des Beklagten hat das Oberlandesgericht nicht oder doch nicht ausreichend gewürdigt. Sein Urteil unterliegt deshalb wegen ungenügender Erörterung der entscheidenden Frage, ob dem Beklagten im Sinne des § 1353 ein Mißbrauch seines Rechtes zur Last fällt, der Aufhebung. Die Frage, welchem Ehegatten in den Fällen, in denen der eine verpflichtet erscheint, zur Wiedererlangung seiner Gesundheit eine Heilanstalt aufzusuchen, die Auswahl der Heilanstalt zusteht, ist bis jetzt von keiner Seite angeschnitten. Auch die Antwort auf sie ist auf Grund der besonderen Umstände des gegebenen Falles letzten Endes aus § 1353 Abs. 2 Satz 1 zu gewinnen." ...