RG, 05.06.1880 - I 452/79

Daten
Fall: 
Rechtrealisierung durch Verkauf von Gegenstände im Konkursfall
Fundstellen: 
RGZ 2, 35
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
05.06.1880
Aktenzeichen: 
I 452/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Stadtgericht Berlin
  • KG Berlin

Ist der Gläubiger, dem das Zurückbehaltungsrecht der Artt. 313, 314 H.G.B, zusteht, im Falle des Konkurses des Schuldners nach bisherigem preußischen Konkursrecht auf Verlangen des Konkursverwalters zur Realisierung des Rechtes durch Verkauf der Gegenstände verpflichtet? Verhältnis des Art. 315 H.G.B. zu §. 264 preuß. Konk.-Ordn.

Tatbestand

Die beklagte Bank hatte Effekten des Gemeinschuldners im Besitz, für welche sie wegen einer Forderung an denselben das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht in Anspruch nahm. - Dieses wurde ihr in Voraussetzung des Bestehens jener Forderung vom Konkursverwalter nicht bestritten, wohl aber die Forderung selbst. Während der Prozeß über die Forderung noch schwebte, verlangte der Konkursverwalter, sich auf §. 264. Abs. 3 preuß. Konk.-Ordn. stützend, daß die Bank die Effekten durch Verkauf realisiere. Das sie hierzu verurteilende zweitinstanzliche Erkenntnis wurde aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Aus den Gründen

"Art. 315 H.G.B. verleiht dem Zurückbehaltungsgläubiger des Art. 313 das Recht, mangels anderweitiger rechtzeitiger Sicherung den Verkauf der zurückbehaltenen Gegenstände wider den Schuldner im Wege der Klage zu beantragen und sich aus dem Erlös vor den anderen Gläubigern zu befriedigen, und dieses Recht besteht auch nach gedachter Bestimmung gegenüber der Konkursmasse des Schuldners.

Die klagende Konkursmasse nimmt aber eine Verpflichtung eines solchen Gläubigers zu gedachten Schritten der Realisierung, sobald der Konkursverwalter es verlangt, an. Exemplifiziert man auf das Pfandrecht, so ist hervorzuheben, daß, während allerdings nach §. 221 A.L.R. I. 20 der Pfandgläubiger auf Verlangen des Pfandschuldners bei Fälligkeit der Schuld auch die Pflicht zum Pfandverkauf der dem Schuldner eigentümlich gehörigen Sachen hat, nach gemeinem Recht der Pfandverkauf nur ein Recht und keine Pflicht des Pfandgläubigers ist. (Vgl. l. 6 pr. D. de pigner act. 13,7; 1.15. §. 5. D. de re jud. 42,1; 1. 22. §. 1. D. de jure fisci 49, 14; Dernburg, Pfandrecht Bd. II S. 145.) Das für das Geltungsgebiet des H.G.B.'s eingeführte kaufmännische Zurückbehaltungsrecht kann aber weder überhaupt einem territorialen Pfandrechte, sei es auch nur als ein gleichartiges Recht von geringerer Kraft, gleichgestellt, noch können die besonderen das Pfandrecht betreffenden Bestimmungen eines Partikularrechts auf dasselbe angewendet werden.

Mangels einer ausdrücklichen Bestimmung vermag der Konkurs über das Vermögen des Schuldners die Natur eines dem Gläubiger zustehenden Pfand-, Realisierungs- oder Deckungsrechts nicht zu ändern. Nur insoweit die Konkursordnungen durch ausdrückliche Bestimmungen diese Rechte dem Einfluß des Konkurses dahin unterwerfen, daß die betreffenden Gläubiger an dem Konkurse durch Geltendmachung bloßer Absonderungsrechte teilnehmen müssen und dieser Konkursmasse den überschießenden Erlös einer Realisierung schulden, kann eine Veränderung des Inhalts jener Rechte eintreten. Die preuß. Konk.-Ordn. v. 8. Mai 1855 kennt aber das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht im Sinne des Art. 313 H.G.B. oder ein diesem analoges Recht nicht (vgl. §§. 32, 33). Es kann daher die Vorschrift des §. 264 Abs. 3 nicht ohne weiteres auf dieses Recht angewendet werden, auch wenn man an sich der älteren partikularen Konkursordnung solche Einwirkung auf ein durch das spätere, zu umfassenderer Wirksamkeit bestimmte Gesetz behandeltes Rechtsinstitut beimessen wollte. Ebensowenig enthält das preußische Einführungsgesetz zum H.G.B. vom 24. Juni 1861 Bestimmungen, aus welchen solche Anwendung zu schließen wäre. Es handelt sich um keine das Prozeßrecht betreffende Bestimmung im Sinne des Art. 60 Nr. 3 dieses Gesetzes, denn die Pflicht zur Realisierung auf Verlangen des Verwalters verändert in Wahrheit den materiellen Inhalt des Rechts, wie sich daraus ergiebt, daß die Realisierung zu verschiedenen Zeitpunkten, den einen als günstig, den anderen als ungünstig vorausgesetzt, für den Gläubiger wesentlich verschiedene Ergebnisse haben kann. Die Erwägung, daß danach das Zurückbehaltungsrecht den Gläubiger nach bisherigem Recht günstiger stellen könne, als ein kaufmännisches Faustpfandrecht, vermag dieses Ergebnis nicht in Frage zu stellen. Zuvörderst kann in Frage kommen, ob überhaupt auch das kaufmännische Faustpfandrecht im Gegensätze zu dem territorialen Pfandrecht durch die Bestimmung des §. 264 Abs. 3 der preuß. Konk.-Ordn. betroffen worden sei (vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 13 S. 249). Sodann aber erscheint jene Erwägung nicht von Belang, wenn der Gesetzgeber selbst klar gesprochen hat. Hat der Zurückbehaltungsgläubiger dem Schuldner selbst gegenüber eine durch keine entsprechende Realisierungspflicht abgeschwächte Befugnis, die Realisierung zu dem von ihm zu wählenden Zeitpunkte herbeizuführen, so daß der Schuldner nur durch Einlösung oder anderweitige Sicherstellung eine Verwertung der zurückbehaltenen Gegenstände herbeizuführen vermag - und dies kann nicht bestritten werden -, so ergiebt mangels eines anderweitigen modifizierenden Gesetzes, welches auf den vorliegenden Fall anzuwenden wäre, der Schlußsatz des Art. 313: "der Gläubiger hat diese Rechte auch gegenüber der Konkursmasse des Schuldners", daß der Konkurs diese Rechte nicht ändert."