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RG, 29.04.1919 - III 402/18

Daten
Fall: 
Pflicht des Notars zur Überprüfung der zuverlässigen Kenntnis vom Hypothekenstand
Fundstellen: 
RGZ 95, 299
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
29.04.1919
Aktenzeichen: 
III 402/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Köln
  • OLG Köln

Ist der Notar kraft seines Amtes verpflichtet, sich vor der Beurkundung eines Kaufvertrags über Grundstücke davon zu überzeugen, ob die Beteiligten, insbesondere der Käufer, zuverlässige Kenntnis von dem Hypothekenstande haben?

Tatbestand

Der Kläger kaufte im Juni 1914 von dem Architekten N. ein Grundstück in Köln zum Preise von 20000 M, wofür Hypothek bestellt werden sollte. Da als Eigentümer des Grundstücks nicht N., sondern der Kaufmann L. eingetragen war, von dem N. seinerseits das Grundstück gekauft hatte, so wurden von dem Beklagten als Notar mehrere Urkunden folgenden Inhalts aufgenommen: In einer Urkunde vom 9. Juni 1914 verkaufte ein Architekt V. als Vertreter ohne Vertretungsmacht für L. das Grundstück um 20000 M an den Kläger. Bezüglich des Kaufpreises war bemerkt, daß er durch Verrechnung getilgt sei. Der Käufer erklärte in der Urkunde, damit bekannt zu sein, daß auf dem Grundstück eine Hypothek von 8000 M eingetragen sei. In zwei anderen Urkunden vom gleichen Tage erklärte der Kläger, dem N. je 10000 M zu schulden, wofür er Hypothek bestellte. In einer Urkunde vom 12. Juni 1914 genehmigte L. den Verkauf. Später stellte sich heraus, daß auf dem Grundstücke mehrere bei den Verhandlungen nicht berücksichtigte Hypotheken eingetragen waren. Ein deshalb vom Kläger gegen N. betriebener Rechtsstreit endigte mit der vergleichsweisen Aufhebung des Kaufes. Der Kläger verlangte nun Schadloshaltung wegen der ihm durch den Kauf verursachten Kosten und Steuerleistungen vom Beklagten, weil dieser bei der Beurkundung fahrlässig gehandelt, insbesondere trotz Auftrags das Grundbuch nicht eingesehen habe.

Die erste Instanz erklärte den Klaganspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt. Die Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen. Auf die Revision des Beklagten wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe

"Das Berufungsgericht läßt dahingestellt, ob ein Auftrag zur Einsicht des Grundbuchs erteilt worden war, und findet eine schuldhafte Verletzung der dem Beklagten gegenüber dem Kläger obliegenden Amtspflicht in der Unterlassung der Einsicht, weil zur fachgemäßen Vorbereitung eines Kauf- und Auflassungsvertrags eine zuverlässige Kenntnis des Grundbuchinhalts gehöre, und diese Kenntnis der Notar im vorliegenden Falle bei den unklaren Eigentumsverhältnissen nur durch Einsicht des Grundbuchs hätte erlangen können. Was zur Begründung der Revision vorgebracht wird, richtet sich weniger gegen den vom Berufungsgericht aufgestellten Grundsatz als gegen seine Anwendung auf den vorliegenden Fall und ist nicht geeignet, die Revision zu stützen. Insbesondere kann, wenn man die Ausführungen des Berufungsgerichts zusammenhält, nicht angenommen werden, daß es den Inhalt der notariellen Urkunden verkannt habe. Es braucht aber auf die Revisionsangriffe im einzelnen nicht eingegangen zu werden. Das Berufungsurteil kann nicht aufrecht erhalten werden, weil der darin aufgestellte Grundsatz nicht berechtigt ist. Der erkennende Senat hat wiederholt ausgesprochen, daß der preußische Notar nicht kraft seines Amtes, sondern nur im Falle eines besonderen dahingehenden Vertrags die Pflicht zur Grundbucheinsicht hat (vgl. Urteil vom 27. September 1918. Jur. Wochenschr. 1919 S. 241). An diesem Grundsatz ist auch für den vorliegenden Fall festzuhalten. Wenn auch die sachgemäße Vorbereitung eines Kaufvertrags über Grundstücke eine Klarstellung des Grundbuchinhalts erfordert, so ergibt sich daraus doch noch nicht eine Pflicht des Notars zur Grundbucheinsicht. Die Klarstellung kann auch in anderer Weise geschehen. Der besondere Grund aber, aus dem das Berufungsgericht hier die Notwendigkeit der Grundbucheinsicht durch den Notar folgert, nämlich eine Unklarheit der Eigentumsverhältnisse, trifft nach dem festgestellten Sachverhalte nicht zu. Es stand fest, daß das zu verkaufende Grundstück noch dem L. gehörte und daß N., der es von L. gekauft hatte und an den Kläger verkaufen wollte, mangels Eintragung im Grundbuche noch nicht Eigentümer geworden war.

Die Verletzung einer Amtspflicht kann also nicht darin gefunden werden, daß der Beklagte das Grundbuch nicht eingesehen hatte, als er die Beurkundung vornahm. Wohl aber muß es grundsätzlich als die Amtspflicht des Notars betrachtet werden, daß er sich vor der Beurkundung eines Kaufvertrags über Grundstücke davon überzeugt, daß die Beteiligten, insbesondere der Käufer, zuverlässige Kenntnis von dem Hypothekenstande haben. Das folgt aus dem in der Rechtsprechung anerkannten allgemeinen Grundsatze, daß der Notar sich nicht ohne weiteres mit äußerlich einwandfreien Erklärungen der Beteiligten begnügen darf, vielmehr ihren wirklichen Willen erforschen muß, um danach der Urkunde den Inhalt zu geben, der dem Willen der Vertragsteile und dem Zwecke der Urkundenerrichtung entspricht (RGZ. Bd. 85 S. 409). Daß für den Willen der Beteiligten bei einem Kaufvertrag über Grundstücke die Belastungsverhältnisse eine wesentliche Rolle spielen, bedarf keiner Darlegung. Der hier aufgestellte Grundsatz entspricht einem dringenden Bedürfnis und dient auch dem eigenen Interesse der Schadensersatzansprüchen ausgesetzten Notare. Erfahrungsgemäß entstehen sehr oft Schädigungen und Streitigkeiten daraus, daß die Beteiligten beim Vertragsschluß über den Inhalt des Grundbuchs, insbesondere über Hypotheken und andere Belastungen, nicht oder nicht genügend unterrichtet sind. Dem läßt sich mit Erfolg nur dadurch vorbeugen, daß der Notar selbst die Beteiligten aufmerksam macht und feststellt, ob sie sich zuverlässige Kenntnis von dem Inhalte des Grundbuchs verschafft, ob sie es selbst eingesehen haben, oder auf welche Unterlagen sich sonst ihre Kenntnis stützt. Läßt sich auf diese Weise eine genügende Klarheit nicht gewinnen, so muß der Notar, wenn er das Grundbuch nicht selbst einsehen will oder kann, die Beteiligten wenigstens darauf aufmerksam machen, daß die Beurkundung nur auf ihre Gefahr geschehen könne. Das letztere kann auch in dringlichen Fällen geschehen. Der Beklagte kann sich daher nicht damit entschuldigen, daß die Beteiligten es mit der Aufnahme der Urkunden eilig hatten. Eine Ausnahme ließe sich nur denken, wenn der Notar nach den besonderen Umständen des Falles, insbesondere nach der Persönlichkeit der Beteiligten, ohne weiteres davon überzeugt sein darf, daß sie sich von dem Inhalte des Grundbuchs zuverlässig unterrichtet haben, wenn sie eine Beurkundung verlangen. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ist nicht zu entnehmen, daß der Beklagte seiner Amtspflicht in der angegebenen Richtung nachgekommen ist. Es ist nicht einmal festgestellt, aus welchem Anlaß und auf wessen Veranlassung das Bekenntnis des Käufers bezüglich einer Hypothek von 8000 M in den Kaufvertrag aufgenommen worden ist. Da das Berufungsgericht unter diesem Gesichtspunkte den Sachverhalt noch nicht geprüft, auch die Parteien nicht zur Äußerung veranlaßt hat, und es namentlich geboten erscheint, dem beklagten Notar Gelegenheit zur Verteidigung zu geben, so muß die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden." ...