RG, 20.11.1917 - VII 335/17

Daten
Fall: 
Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts im Inlande"
Fundstellen: 
RGZ 91, 287
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
20.11.1917
Aktenzeichen: 
VII 335/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Braunschweig
  • OLG Braunschweig

Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts im Inlande" im Sinne des § 6 Abs. 2 des Reichserbschaftssteuergesetzes vom 3. Juni 1906.

Aus den Gründen

... "Unter den Parteien ist unstreitig, daß der Erblasser zur Zeit seines Todes kein Deutscher war und weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Bundesstaate hatte. Das dem Kläger angefallene Vermögen unterlag deshalb nach § 6 Abs. 2 des Erbschaftssteuergesetzes der Steuer nur dann, wenn er selber am 13. September 1914 "zur Zeit des Anfalls im Inlande seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt" gehabt hat. Wie er nicht mehr in Zweifel zieht, wird die Stempelpflicht dadurch nicht ausgeschlossen, daß er nach den Feststellungen beider Vorinstanzen seinen beim Ausbruche des Krieges im Auslande befindlichen Wohnsitz nicht aufgegeben hatte. Der Berufungsrichter hat nun in Übereinstimmung mit dem Landgericht angenommen, daß der Kläger am 13. September 1914 in der Stadt Braunschweig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 6 Abs. 2 EStG. gehabt hat, und hat demgemäß die Erhebung der Steuer für gerechtfertigt erklärt. Die Revision wendet sich lediglich gegen diese Annahme mit der Rüge der Verletzung des § 6 EStG. Sie konnte keinen Erfolg haben.

Nach dem Entwürfe des Erbschaftssteuergesetzes sollte das inländische Vermögen eines Ausländers der Steuer unterliegen 1. nach Abs. 1 des § 7, wenn er zur Zeit des Todes in einem Bundesstaate seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und 2. nach Abs. 2 das., wenn für den Fall, daß Abs. 1 nicht zutraf, der Erwerber "im Inlande seinen Wohnsitz" hatte. In der Begründung war ausgeführt, daß es nicht gerechtfertigt erscheine, den rein zufälligen Umstand des bloß vorübergehenden Sichaufhaltens im Inlande - etwa auf einer Durchreise - für die Steuerpflicht entscheidend sein zu lassen. In der Kommission wurde im Abs. 2 hinzugefügt "oder in Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt", und zwar aus der Erwägung, daß ebenso wie im Falle des Abs. 1 der gewöhnliche Aufenthalt geeignet sein solle, den Wohnsitz zu ersetzen. Der so geänderte § 7 des Entwurfs hat dann als § 6 Aufnahme in das Gesetz gefunden. Hieraus ergibt sich, daß der gewöhnliche Aufenthalt im Sinne beider Absätze des § 6 in Gegensatz gesetzt ist und begrenzt wird einerseits vom Wohnsitz, anderseits vom bloß vorübergehenden Aufenthalt.

Dem Berufungsrichter ist deshalb darin beizutreten, daß es zur Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne des Erbschaftssteuergesetzes ausreicht, wenn die bloße Tatsache eines nicht nur vorübergehenden Verweilens, eines Verweilens von einer gewissen Dauer und Regelmäßigkeit vorliegt. Mit Unrecht verlangt die Revision die Absicht, "wenigstens für einige Zeit den Mittelpunkt der Lebenshaltung an dem Orte des Aufenthalts zu begründen." Ein solches Erfordernis ist weder aus dem Wortlaute des Gesetzes noch mit der Revision daraus herzuleiten, daß der Grund der Besteuerung einer Person in deren territorialen Abhängigkeit vom Staate liege. Letzteres um so weniger, als Gegenstand der Besteuerung das im Inland und somit in territorialer Abhängigkeit vom inländischen Staate befindliche Vermögen des Erblassers ist, wenn auch nur unter der Voraussetzung, daß der Erbe sich im Inlande nicht nur vorübergehend aufhält, sondern dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Die Entscheidung, ob im einzelnen Falle das Verweilen im Inlande von einer die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts rechtfertigenden Dauer und Stetigkeit gewesen ist, liegt wesentlich auf dem Tatsachengebiete. Daß der Berufungsrichter hier auf Grund seiner eingehenden Würdigung der festgestellten Sachlage zu dem Ergebnisse gelangt ist, der Kläger habe sich nicht etwa nur zwecks Besuchs seiner Mutter und sonstiger Verwandten vorübergehend nach Braunschweig begeben, sondern dort zur kritischen Zeit seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt, läßt keinen Rechtsverstoß erkennen. Namentlich enthält es nicht, wie die Revision meint, einen Widerspruch, wenn er davon ausgeht, daß für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne des Erbschaftssteuergesetzes das tatsächliche Vorliegen eines Aufenthalts von längerer Dauer und Stetigkeit ausreicht, sodann aber im Fortgange seiner Begründung ausführt, der Kläger habe Braunschweig zu seinem regelmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalt "auserkoren". Auch wenn es rechtsgrundsätzlich auf den Willen der betreffenden Person entscheidend nicht ankommt, kann immerhin aus der bei der Aufenthaltsnahme bestehenden Absicht auf das Vorhandensein des Erfordernisses der Stetigkeit geschlossen werden. ...

Ist hiernach rechtlich nicht zu beanstanden, daß der Berufungsrichter einen gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers in der Stadt Braunschweig für den 13. September 1914 als dargetan angesehen hat, so kann unerörtert bleiben, ob nach dem Gesetze nicht die Feststellung genügt hatte, der Kläger habe in dem maßgebenden Zeitpunkte seinen gewöhnlichen Aufenthalt "im Inlande" gehabt, auch wenn eine bestimmte einzelne Stadt nicht zu ermitteln gewesen wäre." ...