RG, 20.11.1917 - III 341/17

Daten
Fall: 
Pfändbarkeit des Gehalts eines Krankenkassenarztes
Fundstellen: 
RGZ 91, 159
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
20.11.1917
Aktenzeichen: 
III 341/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Düsseldorf
  • OLG Düsseldorf

Ist das Gehalt eines von einem Krankenkassenverband angestellten Arztes in vollem Umfange pfändbar?

Tatbestand

Der beklagte Verband hatte den Arzt Dr. W. unter Zusicherung von Gehalt auf die Zeit vom 1. Januar 1914 bis 31. Dezember 1923 als Kassenarzt angestellt. Nach Behebung der Unstimmigkeiten mit den ortseingesessenen Ärzten D.s, die zu der Anstellung Anlaß boten, teilte er dem Arzte mit, es bedürfe der Aufnahme seiner Tätigkeit nicht. § 21 des Vertrags bestimmt nämlich:

"Sollte der Verband ohne Verschulden des Dr. W. seine Tätigkeit als Kassenarzt nicht in Anspruch nehmen, insbesondere sollte er daran durch Maßnahmen gegnerischer Ärzte oder Behörden verhindert werden, so ist er gleich' wohl verpflichtet, das vertragsmäßig festgelegte Gehalt bis zum Ablauf des Vertrags an Dr. W. zu zahlen."

Der Kläger, dem Dr. W. seine Ansprüche aus dem Vertrag abgetreten und der von dem auf das erste Vierteljahr 1915 entfallenden Gehalte bereits 900 M mit Erfolg eingeklagt hat, macht im jetzigen Rechtsstreite den Restbetrag geltend. Das Landgericht entsprach der Klage. Berufung und Revision wurden zurückgewiesen, die letztere aus folgenden Gründen:

Gründe

"Das Berufungsgericht hat die Abtretung, auf welche sich der Kläger stützt, in vollem Umfange für rechtswirksam und den Einwand des Beklagten, daß die Gehaltsforderung des Dr. W. gemäß § 850 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. verb. mit § 1 und § 2 Abs. 2 LohnBG. teilweise unpfändbar und insoweit nicht abtretbar sei, für unbegründet angesehen. Wenn es auch nicht - so führt das Urteil aus - an der für die Annahme eines Dienstverhältnisses erforderlichen Abhängigkeit des Arztes vom Kassenverbande fehle und die durch die Ablehnung des Verbandes herbeigeführte Untätigkeit des Dr. W. die Anwendung des § 1 LohnBG. noch nicht ausschließe, so sei doch dem Erfordernisse dieser Vorschrift nicht genügt, daß das Dienstverhältnis die Erwerbstätigkeit des Vergütungsberechtigten vollständig oder hauptsächlich in Anspruch nähme. Denn Dr. W. sei nach der Ablehnung außerhalb des Dienstverhältnisses tätig geworden und habe sich hierdurch seinen Lebensunterhalt erworben.

Die Revision tritt dieser Begründung mit Unrecht entgegen. Es steht sogar in Frage, ob die Ausführungen nicht insofern zu günstig für den Beklagten ausgefallen sind, als sie die zu den begrifflichen Merkmalen eines Dienstverhältnisses gehörende Voraussetzung für gegeben ansehen, daß ein gewisses Maß von Abhängigkeit des zur Dienstleistung Verpflichteten vom Dienstherrn besteht. Jedenfalls sind die sonstigen Erwägungen des Berufungsgerichts bedenkenfrei. Das Lohnbeschlagnahmegesetz will durch die Pfändungsbeschränkung in § 1 verb. mit § 4 Nr. 4 (abgeändert durch die Verordnung des Bundesrats vom 17. Mai 1915) dem Schuldner den zur Deckung der Lebensbedürfnisse unentbehrlichen Teil des Lohnes. Gehalts usw. sichern. Im Hinblick auf diesen Zweck darf zwar dem Schuldner der Schutz des Gesetzes nicht schon dann entzogen werden, wenn er die Dienste, um die es sich bei der zu pfändenden Lohn- oder Gehaltsforderung handelt, lediglich infolge der ablehnenden Haltung des Dienstherrn nicht geleistet hat. Benutzt jedoch der Vergütungsberechtigte die durch die Ablehnung gewonnene Bewegungsfreiheit dazu, sich anderweit zu betätigen und dadurch seinen Unterhalt zu verdienen, so muß bei Berücksichtigung des Gesetzeszwecks die Voraussetzung des § 1 verneint werden, daß die Tätigkeit des Leistenden durch das Dienstverhältnis mindestens in einem überwiegenden Grade beansprucht wird. Die Revision glaubt gegen diese Ansicht mit dem Hinweis ankämpfen zu können, daß bei deren folgerichtiger Durchführung die Pfändungsbeschränkung auch auf die Dienstbezüge eines Angestellten unanwendbar sein müßte, der noch ein beträchtliches Einkommen aus den Nutzungen von Kapitalvermögen habe. Sie verkennt, daß der Schutz des Gesetzes dem Arbeitseinkommen und zwar ohne Rücksicht darauf gilt, ob noch andere Einkommensarten des Schuldners daneben in Betracht kommen.

Die Rechtswirksamkeit der Abtretung wird auch durch die Vorschriften in § 400 BGB. und § 850 Nr. 8 ZPO. nicht beeinträchtigt. Der in der Rechtsprechung aufgetauchte Zweifel, ob die zuletzt bezeichnete Vorschrift eine Vergünstigung für alle Ärzte mit Diensteinkommen oder nur für solche an öffentlichen Anstalten enthält, ist im Sinne der engeren Meinung zu lösen, so daß Ärzten, die von Krankenkassenverbänden angestellt sind, bei der körperschaftlichen, nicht anstaltlichen Natur dieser Vereinigungen (§§ 406 flg. RVO.) die Befreiung des § 850 Nr. 8 nicht zustatten kommt. Für diese Auslegung spricht schon die sprachliche Zusammenfassung der Ärzte und Lehrer zu einer engeren Gruppe mittels des Wortes "und" sowie die Verwendung des Ausdrucks Diensteinkommen, der auf Ärzte in Beamtenstellung oder beamtenähnlicher Stellung hinweist. Hinzu kommt, daß gerade bei Ärzten an öffentlichen Anstalten die Dienstbezüge nicht selten die ausschließliche Grundlage der wirtschaftlichen Existenz bilden. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ist aber, wenn auch keine Stütze für die hier vertretene, so doch auch kein Anhalt für die abweichende Auffassung zu entnehmen. Die Ausdehnung der Bestimmung auf die Ärzte ist durch das Gesetz betr. Änderungen der Zivilprozeßordnung vom 17. Mai 1898 im Anschluß an die Erweiterung erfolgt, welche der § 715 Nr. 7 ZPO. a. F. (jetzt § 811 Nr. 8) erfahren hat. Der Antrag auf Aufnahme der Ärzte in die hier umschriebene Personengruppe wurde damit begründet, daß in bezug auf das Vorrecht des § 715 Nr. 6 die Ärzte den Offizieren usw. ebenfalls gleichgestellt seien. Der Äußerung eines Regierungsvertreters, daß Ärzte mit Diensteinkommen Beamte seien und sich schon als solche des Schutzes des § 717 Nr. 7 erfreuten, wurde mit dem Bemerken widersprochen, daß sich die Unrichtigkeit dieser Behauptung z. B. bei den Ärzten an berufsgenossenschaftlichen Heilanstalten zeige. Der Antrag wurde sodann angenommen und gleichzeitig die Ersetzung des Wortes "Unterrichtsanstalten" durch das Wort "Anstalten" aus dem Gedanken heraus beschlossen, daß Lehrer in öffentlicher Stellung auch an anderen Anstalten tätig sein können (Hahn, Mater. zu den Reichsjustizges. Bd. 8 S.408, 418). Die Erwähnung der Ärzte an den bezeichneten Heilanstalten läßt sich zwar bei Berücksichtigung des Zusammenhanges, in dem sie erfolgte, nicht für die engere Auslegung verwerten. Ebensowenig läßt sich aber die Tatsache, daß bei dem Antrag auf die die Anstalten betreffende Änderung nur der Lehrer gedacht wurde, als Unterlage für die weitere Auslegung benutzen." ...